Der Dritte Weg muss Reichsflagge vorläufig nicht entfernen
Das OVG Münster (Beschl. vom 01.03.2023, Az. 5 B 167/23) kassierte einen Bescheid, mit dem die Partei „Der Dritte Weg“ aufgefordert werden sollte, die aufgezogene Reichsflagge zu entfernen.
Reichsflagge vor dem Parteibüro aufgezogen
Vor ihrem Büro hatte die Partei „Der Dritte Weg“ die Reichsflagge (Farbenfolge: Schwarz-Weiß-Rot) an einem Fahnenmast aufgezogen.
Die Stadt gab der Partei auf, die Reichsflagge zu entfernen. Begründet wurde die Anordnung mit einer Gefahr für die öffentliche Ordnung, die zum Einschreiten verpflichte.
Die Partei „Der Dritte Weg“ rief das VG an, das den Eilantrag ablehnte. Ein Protest gegen die aus Sicht der Partei bestehenden politischen Bestrebungen, den Deutschen „sämtliche identitätsstiftenden Merkmale austreiben zu wollen“, könne auch durch andere Mittel als das Zeigen der Reichsflagge kommuniziert werden, begründete das VG seinen Beschluss. Die unterlegene Partei „Der Dritte Weg“ rief das OVG Münster an.
Was ist der „Der Dritte Weg“?
Der Dritte Weg ist eine rechtsextreme Partei mit neonazistischer Ideologie. Sie versucht, durch provokative Aktionen ihre völkischen Ansichten in einer größeren Öffentlichkeit zu platzieren (Aussage der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung; weitere Informationen unter https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/die-extreme-rechte/parteien-der-rechten-szene/der-dritte-weg).
Kleine Flaggenkunde
Reichskriegsflagge 1903–1919
Das Führen dieser „Reichskriegsflagge“ ist nicht strafbar. Bei einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann die Fahne eingezogen und ein Bußgeld verhängt werden (siehe unten).
Reichskriegsflagge 1938–1945
Das Verwenden und Verbreiten der Reichskriegsflagge mit dem Hakenkreuz ist wegen des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen bzw. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 bzw. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Die Strafbarkeit tritt auch ein, wenn das Zeigen der Reichskriegsflagge im inneren und äußeren Zusammenhang mit dem Skandieren nationalsozialistischer Parolen, etwa der Parole „Ausländer raus“, steht (Volksverhetzung, § 130 StGB).
Reichsflagge
Diese Fahne war von 1871 bis 1919 die Nationalflagge des Deutschen Kaiserreichs und von 1933 bis 1935 die Flagge des nationalsozialistischen „Dritten Reichs“. 1935 wurde sie von der Hakenkreuzflagge als alleinige Nationalflagge abgelöst. Das Zeigen der Reichsflagge ist nicht strafbar. Eingeschritten werden kann, wenn damit eine nachhaltige Beeinträchtigung der Voraussetzungen für ein geordnetes staatsbürgerliches und menschliches Zusammenleben verbunden ist und sich daraus eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ergibt.
In welchen Fällen besteht eine Gefahr für die öffentliche Ordnung?
Die öffentliche Ordnung kann in Zusammenhang mit dem Zeigen einer nicht verbotenen Reichskriegsflagge oder Reichsflagge beispielsweise in folgenden Fällen gefährdet bzw. gestört sein:
- Eine dieser Flaggen wird an einem Ort oder zu einem Datum mit historischer Symbolkraft gehisst, z.B. am Tag der Machtübernahme am 30. Januar oder am Tag des Geburtstags Adolf Hitlers am 20. April.
- Es werden ausländer- bzw. fremdenfeindliche Parolen oder Liedtexte gesungen, andere einschüchternde Texte skandiert oder Ausländer durch bedrohliches Auftreten bedrängt.
- Weitere Zeichen oder Symbole mit Bezug zum Nationalsozialismus werden gezeigt.
- Eine paramilitärisch anmutende Versammlung oder ein Aufzug wird veranstaltet, z.B. mit Trommeln, Fackeln, Uniformen.
Welche Maßnahmen können getroffen werden?
Stellt die Polizei oder die Ordnungsbehörde fest, dass durch das Zeigen dieser Flaggen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Ordnung oder deren Störung vorliegt, können die Fahnen nach dem Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetz des Bundeslandes sichergestellt werden. Zudem ist zu prüfen, ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Verantwortlichen nach § 118 OWIG eingeleitet werden kann.
Zurück zum Fall
Der Bescheid der Stadt spielte dem OVG voll in die Karten: Das Gericht musste die Kernfrage des Problems, ob das Zeigen der Reichsflagge eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im konkreten Fall darstellt oder diese stört, nicht beantworten. Die Ordnungsverfügung leidet an einem Ermessensfehler, rügte das OVG. Die Stadt hat das ihr zustehende Ermessen nicht erkannt und entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 40 VwVfG nicht ausgeübt.
Erlass des Landes keine Rechtfertigung für den Ermessensnichtgebrauch
Eine strikte Bindung zum Entfernen der Flagge kann auch nicht aus dem Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 03.08.2021 zum Umgang mit dem öffentlichen Zeigen von Reichs(kriegs)flaggen abgeleitet werden, auf den sich die Stadt gestützt hatte. Denn dieser Erlass hat die Notwendigkeit der Ermessensausübung im Einzelfall ausdrücklich betont.
Ergebnis
Das OVG hatte keine andere Wahl, als die Verfügung der Stadt aufzuheben. Der Fehler ist zwar nicht heilbar, jedoch kann die Stadt einen neuen Bescheid erlassen, in dem sie ihr pflichtgemäßes Ermessen deutlich sichtbar ausübt.
Hinweise
- Nähere Ausführungen zum Bekämpfen des politischen und religiösen Extremismus siehe https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/verbotsmassnahmen/verbotsmassnahmen_artikel.html.
- Den Lesern dieses Newsletters ist es bekannt, dass wir nicht müde werden, darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, das gesetzlich eingeräumte Ermessen auszuüben und dies auch deutlich zum Ausdruck zu bringen. Gefährden Sie daher nicht Ihre Arbeit und legen Sie dem Empfänger des Bescheids dar, welche Aspekte Sie bewogen haben, die ausgesprochene Entscheidung zu treffen.
- Nähere Ausführungen zum Ausüben des Ermessens siehe Schmidt, Uwe, Grundlagen der Gefahrenabwehr, Rechtsanwendung im Ordnungsamt praktisch dargestellt, WEKA-Media-Verlag, Kissing