28.04.2020

Einstweiligen Anordnung gegen Versammlungsverbot teilweise erfolgreich

Versammlungen sind auch während der Corona-Pandemie unter Einhaltung verschiedener Schutzmaßnahmen möglich (BVerfG, Beschluss vom 15.04.2020, Az. 1 BvR 828/20).

Corona Versammlungsverbot

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer meldete bei der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens mehrere Versammlungen unter dem Motto „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ an. Die Versammlungsteilnehmer würden durch Hinweisschilder zur Einhaltung von Sicherheitsabständen angehalten und von Ordnern auf entsprechend markierte Startpositionen gelotst. Die Markierungen der Startpositionen befänden sich in einem Abstand von 10 Metern nach vorn und nach hinten und 6 Metern zur Seite. Weitere Vorsichtsmaßnahmen waren genannt. Für Vorschläge zu weiter gehenden Infektionsschutzmaßnahmen sei man dankbar; entsprechende Auflagen werde man befolgen. Die Behörde untersagte die Versammlung. Widerspruch und Verwaltungsgerichtsverfahren hiergegen blieben erfolglos.

Wesentliche Erwägungen des Gerichts

§ 32 Abs. 1 BVerfGG

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Allerdings können die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde dann maßgeblich werden, wenn verwaltungsgerichtliche Beschlüsse betroffen sind, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind und die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, insbesondere wenn die behauptete Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme.

Grundrecht auf Versammlung

Ausgehend davon ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten, weil die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin den Antragsteller offensichtlich in seinem Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet für alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Die Verordnung der Hessischen Landesregierung zur Bekämpfung des Coronavirus enthält jedenfalls kein generelles Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel für mehr als zwei nicht dem gleichen Hausstand angehörige Personen. Sie ist in ihrer Verbotsverfügung erkennbar jedenfalls von einem generellen Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen ausgegangen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören. Auf der Grundlage dieser unzutreffenden Einschätzung hat die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens Art. 8 Abs. 1 GG verletzt, weil sie verkannt hat, dass § 1 der Verordnung der Versammlungsbehörde für die Ausübung des durch § 15 Abs. 1 VersG eingeräumten Ermessens gerade auch zur Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit einen Entscheidungsspielraum lässt. Der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1 GG konnte sie schon deshalb von vornherein nicht angemessen Rechnung tragen. Darüber hinaus wird die Entscheidung der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens den verfassungsrechtlichen Maßgaben von Art. 8 Abs. 1 GG auch deshalb nicht gerecht, weil sie über die Vereinbarkeit der Versammlung mit § 1 der Hessischen Verordnung nicht unter hinreichender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden hat. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens macht überwiegend Bedenken geltend, die jeder Versammlung entgegengehalten werden müssten, und lässt auch damit die zur Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 GG bestehenden Spielräume von § 1 der Verordnung ins Leere laufen.

Hinweis

Unter den Gesichtspunkten des BVerfG sind einige bisherige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen teilweise obsolet. Nach den Begründungen des BVerfG sind demnach Versammlungen nach genannten Grundsätzen zu betrachten und Entscheidungen zu treffen.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG

Autor*in: Georg Huttner (Oberamtsrat a.D. Georg Huttner ist Autor für die Titel Ordnungsamts- und Gewerbeamtspraxis.)