Für 65 Meter Tempo 30: Blitzen erlaubt?
Ist das Überwachen der Geschwindigkeit durch Aufstellen von Messgeräten zulässig, wenn die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit nur für wenige Meter gilt?
Böse Überraschung für Autofahrer
Eine Stadt in Nordhessen beschränkte innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h. Zuvor waren 50 km/h erlaubt. Begründet wurde das Absenken der Geschwindigkeit mit Auffahrunfällen beim Abbiegen nach rechts in eine Seitenstraße („Arnimstraße“).
Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt nun für eine Strecke von 65 m. Viele Autofahrer bemerkten die neuen Beschilderung nicht und wurden von den am Ende des Tempolimits aufgestellten Messgeräten erfasst, weil sie mit Tempo 50 und mehr unterwegs waren.
Wir gehen der Frage nach, ob das Aufstellen von Geräten zum Messen der Geschwindigkeit zulässig ist, wenn die Geschwindigkeitsbeschränkung nur für eine kurze Strecke angeordnet ist.
Details der Geschwindigkeitsüberwachung regeln die Länder
Im Erlassweg haben alle Bundesländer das Verfahren und die Einzelheiten der Geschwindigkeitskontrollen festgelegt, z.B. in Hessen durch den „Erlass Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden“.
In allen Bundesländern soll die Geschwindigkeitsüberwachung vorrangig an Unfallhäufungsstellen und auf Unfallhäufungsstrecken sowie in schutzwürdigen Zonen, z. B. an Kindertagesstätten, Schulen, Seniorenheimen, erfolgen. Teilweise wird auch verfügt, dass Messstellen in der Regel nur so eingerichtet werden dürfen, dass Beginn und Ende des gerätespezifischen Messbereichs eine bestimmte Entfernung von einer Geschwindigkeitsbeschränkung entfernt sein sollen, z.B. 100m in Hessen oder Rheinland-Pfalz, 150m in Niedersachsen.
Was ist ein Unfallschwerpunkt?
Von einem Unfallschwerpunkt bzw. einer Unfallhäufungsstelle ist auszugehen,
- wenn sich an einem Knotenpunkt oder auf einem Straßenabschnitt von maximal 300m Länge mindestens 5 Unfälle eines Unfalltyps innerhalb eines Kalenderjahres oder
- mindestens 3 Unfälle mit schwerem Personenschaden innerhalb von 3 Jahren
ereignet haben.
Was sagt die Statistik?
Die Polizei registrierte im Jahr 2020 fünf Unfälle im Bereich der Kreuzung „Arnimstraße“. Vier Unfälle hatten ihre Ursache beim Einbiegen. Beim fünften Unfall verlor der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug.
Im Jahr 2021 ereigneten sich vier Unfälle an der Kreuzung „Arnimstraße“ (zwei beim Abbiegen, die anderen beiden Unfälle beruhten auf anderen Gründen). Schwerverletze gab es bei den insgesamt 9 Unfällen nicht.
Auch im Jahr 2018 wurden weniger als 5 Unfälle eines Unfalltyps gezählt.
Durfte die Geschwindigkeit reduziert werden?
Das Anbringen von Verkehrszeichen verlangt eine „qualifizierte Gefahrenlage“. Diese liegt vor, wenn eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, mithin eine konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht, vorliegt. Dies ist hier der Fall, auch wenn die betreffende Strecke keinen Unfallschwerpunkt darstellt.
Durfte die Geschwindigkeit kontrolliert werden?
In Hessen lagen die Voraussetzungen zum Aufbau einer Messstelle nicht vor, denn es fehlt an dem Ausnahmegrund „Unfallhäufungsstelle“. In den Bundesländern ohne Vorgabe einer Mindestentfernung kommt es jeweils auf die konkrete Formulierung des Erlasses an.
Was ist mit den Bußgeldbescheiden?
Die Mehrzahl der Autofahrer war nach Abzug der Toleranz 21 bis 25 km/h zu schnell. Das Bußgeld beträgt in diesem Fall 115 Euro; im Verkehrszentralregister wird 1 Punkt eingetragen. Fahrzeugführer, die 26 bis 30 km/h zu schnell waren, erwartet ein Bußgeld in Höhe von 180 Euro, 1 Punkt und ein Monat Fahrverbot.
Angesichts der hohen Zahl der geblitzten Verkehrsteilnehmer ist sehr wahrscheinlich mit dem Anrufen der Gerichte zu rechnen. Wir erwarten nach der Rechtslage in Hessen das Aufheben der Bußgeldbescheide.
Wie kann solchen Fällen vorgebeugt werden?
Das Bild der Verwaltung verwandelt sich immer mehr vom obrigkeitsstaatlichen Denken zum Dienstleistungsbetrieb. Dies gilt auch für die Ordnungsbehörden. Wir empfehlen daher Maßnahmen, die eine seit Jahren bestehende Verkehrsregelung gravierend ändern nur nach eingehender Information der Öffentlichkeit, z.B. im Amtsblatt der Gemeinde oder in Tageszeitungen, zu realisieren und zu erläutern, warum diese Maßnahme erforderlich ist.
Zudem sollte den Verkehrsteilnehmern genug Zeit eingeräumt werden, um sich auf die neue Beschilderung einzustellen, z.B. 2 Wochen. Diese Vorgehensweise zielt auf Akzeptanz und Verständnis und reduziert zudem den Verwaltungsaufwand. Damit kommen die Behörden dem Ziel, die Unfallzahlen zu senken, eher näher als durch Geschwindigkeitskontrollen, die mit empfindlichen Bußgeldern und teilweise Fahrverboten verbunden sind.
>>> Tipp der Redaktion: Lesen Sie auch den Beitrag „Sind 1.840 Bußgeldbescheide wegen falscher Beweisfotos ungültig?“