Waren Betriebsschließungen des ersten Lockdowns rechtmäßig?
Zwei Oberverwaltungsgerichte urteilten im Hauptsacheverfahren über die Rechtmäßigkeit von Coronaschutzmaßnahmen im Jahr 2020.
Erfolgreicher Normenkontrollantrag gegen die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften über 800 m² Verkaufsfläche
Nach der Vierten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (4. SARS-CoV-2-EindV), die am 20.04.2020 in Kraft trat und am 21.04.2020 geändert wurde, waren Ladengeschäfte jeder Art mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 m² geschlossen zu halten. Größere Ladengeschäfte waren hiervon nur betroffen, wenn sie besonders aufgezählt waren.
Die Warenhäuser der Antragstellerin, die im gesamten Bundesgebiet eine Vielzahl von Warenhäusern mit branchenübergreifendem Sortiment betreibt, das neben allgemein nachgefragten Konsumgütern insbesondere auch Lebensmittel sowie Hygiene- und Drogerieartikel für den täglichen Bedarf umfasst, hatten alle eine Verkaufsfläche von deutlich mehr als 800 m². Die Inhaberin klagte gegen die Schließungsanordnung.
Das OVG Magdeburg (Urteil vom 30.06.2022, Az. 3 K 55/20) gab der Klage statt und entschied, dass § 7 Abs. 1 und 2 der 4. SARS-CoV-2-EindV unwirksam waren. Zum einen seien sie inhaltlich zu unbestimmt, zum anderen blieb der erforderliche Anteil des privilegierten Warensortiments an Gesamtsortiment unklar.
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Schließung von Gaststätten war rechtswirksam
§ 6 Abs. 1 der 4. SARS-CoV-2-EindV Sachsen-Anhalt ordnete das Schließen von Gaststätten für den Publikumsverkehr an. Diese Regelung ist nach Ansicht des OVG Magdeburg (Urteil vom 30.06.2022, Az. 3 K 72/20) weder formell noch materiell zu beanstanden.
Die Maßnahme war geeignet, die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu verhindern und damit den Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zu gewährleisten. Sie war auch erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn.
Die Antragstellerin habe zwar neben einer Vielzahl anderer Gastronomiebetriebe einen empfindlichen Eingriff in ihre Berufsausübung und massive Einkommenseinbußen mit der Gefahr existentieller Folgen hinnehmen müssen. Durch eine Reihe von flankierenden staatlichen Maßnahmen sei aber versucht worden, diese Eingriffe und deren Folgen aufzufangen bzw. zu kompensieren. Das private, vorwiegend wirtschaftliche Interesse der Betroffenen habe anhand der vorhandenen Bedrohungen hinter dem öffentlichen Interesse an Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung zurückzutreten.
§ 32 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG als Rechtsgrundlage ausreichend
In drei Hauptsacheverfahren klagten der Betreiber
- eines Fitnessstudios (Az. 1 S 926/20),
- ein Inhaber von drei Restaurants (Az. 1 S 1067/20) und
- ein Betreiber von Parfümerien (Az. 1 S 1079/20)
auf Feststellung, dass die Schließung ihrer Betriebe im ersten Lockdown rechtswidrig war.
Fitnessstudios mussten bis zum 01.06.2020 schließen, Gaststätten bis zum 17.05.2020. Nicht grundversorgungsrelevante Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 m² konnten ab dem 20.04.2020 öffnen.
Die Betriebsuntersagungen für Fitnessstudios, Gaststätten und den nicht grundversorgungsrelevanten Einzelhandel waren materiell rechtmäßig, entschied der VGH Mannheim am 04.07. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage § 32 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG ermächtigte auch zu Maßnahmen der Gefahrenvorsorge, die tatbestandlich bereits weit im Vorfeld einer konkreten oder abstrakten Gefahr ansetzen. Sie eröffne die Möglichkeit zum Erlass von Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit, ohne dass hierfür die strengen Anforderungen der gefahrenabwehrrechtlichen Inanspruchnahme des Nichtstörers vorliegen müssten.
Für die Betriebsuntersagungen des ersten Lockdowns sei § 32 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG eine dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt genügende Ermächtigungsgrundlage gewesen. Für einen Beobachtungs- oder Übergangszeitraum seien diese Vorschriften verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zudem verstießen die Betriebsuntersagungen für Fitnessstudios, Gaststätten und den nicht grundversorgungsrelevanten Einzelhandel nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.
Wie die Eilanträge der drei Antragstellerinnen blieben auch ihre Klagen im Hauptsacheverfahren erfolglos.