14.12.2016

Beseitigungsaufforderung: Wann darf ein stillgelegtes Fahrzeug abgeschleppt werden?

Vor dem VG Düsseldorf (Urteil vom 21.06.2016, Az. 14 K 6661/15) stand die Abschlepppraxis der Landeshauptstadt auf dem Prüfstand, nicht zugelassene und im öffentlichen Verkehrsraum stehende Fahrzeuge allein nach dem Anbringen eines Aufklebers mit Beseitigungsaufforderung nach Fristablauf abzuschleppen.

Abschleppen bei offenem Autofenster

Der Halter eines PKW zahlte die Versicherungsprämie seiner Haftpflichtversicherung nicht. Das auf dem Seitenstreifen einer Fahrbahn stehende Fahrzeug wurde von Amts wegen stillgelegt und die Kennzeichen entstempelt. Mitarbeiter der Ordnungsbehörde brachten Aufkleber an dem Fahrzeug an, mit denen der Halter aufgefordert wurde, das Kfz spätestens bis zum 19.08.2015 aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen. Andernfalls werde das Fahrzeug auf seine Kosten beseitigt. Am 25.08.2015 stand das Fahrzeug noch an der gleichen Stelle. Die Ordnungsbehörde ließ das Fahrzeug sogleich abschleppen.

Gegen das Abschleppen seines PKW klagte der Halter.

Die Gerichtsentscheidung

  • Rechtsgrundlagen des Abschleppens sind u.a. § 77 Abs. 1 VwVG NRW sowie §§ 43 Nr. 1, 46 Abs. 3 und 52 PolG NRW bzw. entsprechende landesrechtliche Vorschriften.
  • Die Abschleppmaßnahme erfolgte im Wege des Sofortvollzuges. Bei der am Fahrzeug angebrachten Aufforderung, das Fahrzeug bis zum 19.08.2015 zu entfernen, ansonsten werde es zwangsweise entfernt, handelt es sich nicht um eine vollstreckbare Grundverfügung mit Zwangsmittelandrohung. Diese müsste dem Adressaten bekannt gegeben und darüber hinaus auch zugestellt werden.
  • Nach § 55 Abs. 2 VwVG NW kann der Verwaltungszwang (auch in Form der Ersatzvornahme) ausnahmsweise im sofortigen Vollzug, d.h. ohne vorausgehenden, dem Pflichtigen das geforderte Verhalten aufgebenden Grundverwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung mit Strafe oder Geldbuße bedrohter Handlungen oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und wenn die Behörde dabei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt.
  • Besteht für die Behörde die Möglichkeit, im Wege des gestreckten Verfahrens vorzugehen, gegebenenfalls auch mittels mündlicher Ordnungsverfügung, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und mittels kurzer Fristen, so muss sie davon Gebrauch machen. Denn der Sofortvollzug ist ein besonders schwerwiegender Eingriff, der im Interesse des rechtsstaatlichen Schutzes des Betroffenen auf besonders dringliche Ausnahmefälle begrenzt bleiben muss.
  • Bei der Prüfung eines besonders dringlichen Ausnahmefalls ist im Hinblick auf das (sofortige) Abschleppen eines verkehrswidrig abgestellten Fahrzeugs die höchstrichterliche Rechtsprechung zu berücksichtigen, nach der ein bloßer Verstoß etwa gegen straßenverkehrsrechtliche Verbote ohne konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer allein nicht ohne Weiteres eine Abschleppmaßnahme rechtfertigt.
  • Auch ohne konkrete Behinderungen sind Abschleppmaßnahmen nicht ausgeschlossen. Eine rechtmäßige Abschlepppraxis darf dabei in zulässiger Weise auch spezial- und generalpräventive Zwecke verfolgen. Soweit Verkehrsteilnehmer nach Erfahrung der zuständigen Behörden zunehmend dazu übergehen, mithilfe entsprechender Angaben unter Inkaufnahme von Bußgeldern, aber in Erwartung eines hieraus folgenden „Abschleppschutzes“ Verkehrsverstöße zu begehen, die andere Verkehrsteilnehmer behindern, steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Abschlepppraxis, die solche Missstände zurückzudrängen sucht, nicht entgegen.
  • Mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Fahrzeuges auch dann, wenn mit dem verkehrswidrigen Parken eine Funktionsbeeinträchtigung der Verkehrsfläche verbunden ist.
  • Bei Anwenden dieser Grundsätze rechtfertigt das verbotswidrige Parken eines nicht zugelassenen Fahrzeugs auf einem Seitenstreifen einer Fahrbahn nicht die Notwendigkeit des Eingreifens im sofortigen Vollzug. Es lag kein Verstoß vor, der ein sofortiges Handeln der Behörde erforderte.

Ergebnis

Das Abschleppen des nicht zugelassenen Kfz im Wege des Sofortvollzugs war rechtswidrig.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)