Dürfen auf einer Autobahn Fahrraddemos stattfinden?
Die Befürworter der Maßnahmen zum Klimaschutz haben mit dem Urteil des BVerfG Aufwind bekommen. Dies äußert sich nicht zuletzt in der Zunahme von Fahrraddemos auf Bundesautobahnen. Weil eine Versammlungsbehörde die Fahrraddemo auf einer Autobahn untersagte, rief der Veranstalter das OVG Lüneburg an (Beschluss vom 04.06.2021, Az. 11 ME 126/21).
Anti-Autobahn-Aktionstag
Die Veranstalterin zeigte mit E-Mail vom 14.05.2021 gegenüber der Versammlungsbehörde im Namen der Initiative „Fridays for Future“ für Sonntag, den 06.06.2021, ab 15:00 Uhr eine Fahrraddemonstration mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von 250 Personen auf einer Bundesautobahn an. Als Anlass der Demonstration wurde der bundesweit stattfindende dezentrale „Anti-Autobahn-Aktionstag“ angegeben. Die Veranstalterin gab an, die Versammlung vor der Stadthalle in der Innenstadt von A-Stadt zu beginnen, anschließend von der Anschlussstelle Fledder bis zum Ende der Autobahn in Belm zu fahren und danach wieder in die Innenstadt zurückzukehren.
Die Versammlungsbehörde bestätigte die Anzeige der Demonstration, erließ aber mehrere Auflagen und untersagte das Befahren der Autobahn mit Fahrrädern. Gegen die Untersagung klagte die Veranstalterin.
Versammlungsrecht schafft kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten
Das der Versammlungsbehörde durch das VersG des Bundes bzw. das der Länder eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters ist nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Daher verschafft das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten.
Zweckbestimmung der Autobahn ist zu beachten
Demgegenüber gehört der öffentliche Straßenraum grundsätzlich zu den Orten, an denen ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Vor allem innerörtliche Straßen werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustauschs sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen. Bei Bundesautobahnen stellt sich die Situation allerdings anders dar, da diese an sich nach § 1 Abs. 3 FStrG „nur für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt“ sind und tatsächlich ganz überwiegend ausschließlich im Rahmen dieses Widmungszwecks genutzt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich dabei grundsätzlich um versammlungsfreie Räume handelt. Im Einzelfall ist stets eine Bewertung der konkreten Umstände vorzunehmen.
Erhebliche Belastungen auf Umleitungsstrecken zu erwarten
Autobahnen sind nur für den Schnellverkehr von Kraftfahrzeugen bestimmt. Davon ausgehend liegt das besondere Gefahrenpotenzial der Inanspruchnahme einer Autobahn für eine Demonstration mit Fahrrädern, die mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 10 km/h lediglich ein Sechstel der auf Autobahnen geltenden Mindestgeschwindigkeit erreichen, darin, dass mit hoher Geschwindigkeit fahrende Fahrzeuge stark abbremsen müssen, was die Verkehrssicherheit gefährden kann. Die damit verbundenen Gefahren lassen sich nur durch eine mehrstündige Vollsperrung der Autobahn in dem fraglichen Abschnitt vermeiden. Dies hätte zur Folge, dass der Verkehr durch Wohngebiete umgeleitet werden muss. In Verbindung mit einem am Tag der Versammlung zu erwartenden erheblichen Verkehrsaufkommen würde die Kapazität der Umleitungsstrecken überschritten. Es besteht somit eine besondere Gefährdung, insbesondere für die Bewohner und Verkehrsteilnehmer der betroffenen Wohngebiete.
Ergebnis
Die von der Versammlungsbehörde verfügte Routenänderung kann auf das VersG des Bundes bzw. der Länder gestützt werden und wird sich im Hauptverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
Hinweis
Vgl. hierzu auch VG Braunschweig, Beschlüsse vom 01.06.2021, Az. 5 B 160/21, und vom 02.06.2021, Az. 5 B 158/21.