14.02.2022

Anliegergebrauch: Anspruch auf Haltebucht im Ortskern?

Jahrelang konnte die Inhaberin eines Lebensmittelmarkts eine vor ihrem Geschäft eingerichtete Haltebucht für den Lieferverkehr nutzen. Weil die Stadt den Umzug der Haltebucht an einen anderen Ort plant, rief sie den VGH München (Beschl. vom 10.08.2021, Az. 8 CE 21.1989) an.

Anliegergebrauch Haltebucht

Umzug einer Haltebucht

Die Inhaberin eines Lebensmittelmarkts im innerstädtischen Bereich war nicht damit einverstanden, dass eine vor ihrem Ladengeschäft seit Jahren vorhandene Haltebucht, die auf ihren Antrag hin eingerichtet wurde, an eine andere Stelle in der Innenstadt umziehen sollte. Die Haltebucht für Kraftfahrzeuge (Zeichen 286 StVO, eingeschränktes Halteverbot) konnte von jedermann werktags von 7 bis 18 Uhr zum Halten sowie zum Be- und Entladen und damit auch von der Inhaberin als Anlieferzone für den Lebensmittelmarkt genutzt werden. Sie klagte gegen den geplanten Umzug „ihrer“ Haltebucht vor dem VGH München.

Gericht prüfte systematisch die infrage kommenden Anspruchsgrundlagen:

Besteht ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch?

Anspruchsgrundlage für das Begehren der Inhaberin des Lebensmittelmarkts könnte ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch sein. Er wird aus den Grundrechten, dem Rechtsstaatsprinzip (Folgenbeseitigung) oder einer analogen Anwendung der §§ 906, 1004 BGB hergeleitet. Der Anspruch richtet sich gegen hoheitliche Maßnahmen und setzt die begründete Besorgnis voraus, der Hoheitsträger werde künftig durch sein hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des betroffenen Bürgers eingreifen.

Diese Voraussetzungen sind in diesem Fall nicht erfüllt, weil die Stadt durch die Beseitigung der Haltebucht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht rechtswidrig in subjektive Rechtspositionen der Inhaberin eingreift.

Steht der Inhaberin aus der Baugenehmigung für den Markt ein Anspruch auf Beibehaltung der bestehenden Haltebucht zu?

Auch wenn ein Anlieferungskonzept, das sich auf die Haltebucht stützt, ein Bestandteil der Baugenehmigung ist, lässt sich hieraus kein Anspruch auf ihr Beibehalten ableiten. Denn eine Baugenehmigung hat nach ihrer Rechtsnatur neben der Baufreigabe lediglich die Wirkung der verbindlichen Feststellung, dass das Bauvorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, die im jeweils einschlägigen Genehmigungsverfahren Maßstab für die Prüfung der Zulässigkeit sind.

Wurde eine Sondernutzungserlaubnis erteilt?

Es könnte ein Anspruch aus dem Straßenrecht entstanden sein, wenn zugunsten des Bauherrn im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens nach dem Straßengesetz des Bundeslandes (hier: Art. 18, 21 BayStrWG) eine Sondernutzungserlaubnis oder eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung für das Benutzen der Haltebucht erteilt worden ist. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht geschehen.

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Anspruch aus Treu und Glauben?

Auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben kann entsprechend § 242 BGB das Verhalten einer Behörde einen Vertrauenstatbestand begründen, wenn der andere Teil im Hinblick hierauf Dispositionen getroffen hat.

Für die Stadt war aufgrund der Vorlage des Anlieferungskonzepts im Baugenehmigungsverfahren erkennbar, dass die Inhaberin ihren Lebensmittelmarkt unter der Prämisse geplant hat, dass Waren angeliefert werden können, zumal ein Lebensmittelmarkt sonst nicht betrieben werden kann. Die Inhaberin hat aber erst nach dem Erteilen der Baugenehmigung das Einrichten der Anlieferzone entsprechend ihrem Anlieferkonzept beantragt. Somit scheidet auch dieser Anspruch aus.

Anspruch aus der Baugenehmigung für eine Zufahrt?

Eine Baugenehmigung kann für ein innerörtliches Grundstück im Einzelfall ausnahmsweise einen Anspruch auf Einräumung einer in den genehmigten Plänen konkret vorgesehenen Zufahrt begründen. Dies setzt aber voraus, dass die Gemeinde an der Erteilung der Baugenehmigung mitgewirkt (§ 36 BauGB) und durch zustimmendes Verhalten die Erwartung begründet hat, die geplante Zufahrt straßenrechtlich nicht zu untersagen. Dies gilt aber nur für eine Zufahrt zu einem Baugrundstück, nicht aber für die Schaffung einer Anlieferzone.

Anspruch aus einem Verstoß gegen Anliegerrechte?

Eigentümer oder sonstige (auch gewerbliche) Nutzungsberechtigte eines Grundstücks, das an eine Straße grenzt und ausschließlich durch diese erschlossen wird, können sich auf den Anliegergebrauch berufen, weil sie nur so Verbindung mit dem Straßennetz haben. Der Anlieger einer öffentlichen Straße hat gestützt auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) und den Anliegergebrauch (hier Art. 17 BayStrWG) eine besondere Stellung inne und dem Grunde nach einen Anspruch auf Zugang zu dieser Straße.

Der gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf deren Vorhandensein in spezifischer Weise angewiesen ist. Er garantiert keine optimale, sondern nur eine nach den jeweiligen Umständen zumutbare Erreichbarkeit des Grundstücks. Aus ihm lässt sich insbesondere kein Anspruch auf den Fortbestand einer Verkehrsverbindung herleiten, die für eine bestimmte Grundstücksnutzung von besonderem Vorteil ist. Er bietet auch keine Gewähr dafür, dass ein Grundstück ohne jegliche Einschränkung angefahren werden kann.

Abgestellt auf diesen Fall bedeutet dies

  • Es muss die tägliche Anlieferung von Waren gewährleistet sein, ohne die der Betrieb eines Lebensmittelmarkts nicht möglich ist.
  • Es besteht aber kein Anspruch auf tägliche Anlieferung unmittelbar vor dem Markt, auch wenn dies bisher der Fall war.
  • Der Gewerbebetrieb hat daher keinen Anspruch auf die optimale Anlieferungsmöglichkeit.
  • Der Anliegergebrauch gewährleistet keine bestmögliche, sondern nur eine zumutbare Erreichbarkeit des Markts für den Lieferverkehr.

Ergebnis

Einem auf die Anlieferung von Waren angewiesenen Gewerbebetrieb steht im innerstädtischen Bereich weder baurechtlich noch straßenrechtlich ein Anspruch auf die bestmögliche Anlieferungsmöglichkeit zu. Der Antrag der Inhaberin des Lebensmittelmarkts wurde daher vom Gericht abgewiesen.

Deb Beschluss finden Sie hier.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)