Amtshaftung wegen Verletzung des Rechts auf Totenfürsorge?
In einer zunehmenden Anzahl von Fällen müssen die Ordnungsbehörden hoheitlich tätig werden, um einen Verstorbenen von Amts wegen zu bestatten, weil die Angehörigen dies nicht tun. In Berlin wurde eine Bestattung vorgenommen, ohne die Angehörigen zu informieren. Diese klagten auf Schadensersatz. Das KG Berlin musste entscheiden, ob eine Gemeinde verpflichtet ist, in diesem Fall wegen immaterieller Beeinträchtigung des Rechts auf Totenfürsorge eine Geldentschädigung zu zahlen (Urteil vom 05.04.2016, Az. 9 U 41/15).
Nach dem Auffinden eines Verstorbenen veranlasste die Gemeinde dessen Bestattung in einem Urnengemeinschaftsgrab. Der von der Polizei aufgefundene Verstorbene hatte eine telefonisch erreichbare Lebensgefährtin, welche die Angehörigen des Verstorbenen kannte. Diese wurden aber nicht kontaktiert. Später erfuhren Bruder und Schwager des Verstorbenen von dem Todesfall. Sie klagten auf eine Geldentschädigung für ihre erlittenen immateriellen Schäden in Höhe von jeweils 3.000 Euro.
Die Gerichtsentscheidung
- Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 839 BGB).
- Rechtsfolge der Amtspflichtverletzung ist ein Schadensersatz in Geld (§§ 249 ff., 842 ff. BGB).
- Hinsichtlich des Begriffs „Beamter“ ist nicht auf das statusrechtliche Amt im Sinne des Beamtenrechts abzustellen. Es gilt der weite haftungsrechtliche Beamtenbegriff, der auch Tarifbeschäftigte umfasst.
- Jeder, der hoheitlich tätig geworden ist, ist somit Beamter im Sinne des § 839 BGB und zu rechtmäßigem Handeln im Sinne des Artikels 20 Abs. 3 GG verpflichtet.
- Weil das Recht der Totenfürsorge den Angehörigen zusteht, waren die Bediensteten der Gemeinde verpflichtet, diese ausfindig zu machen und von dem Todesfall zu unterrichten. Mit Hilfe der telefonisch erreichbaren Lebensgefährtin hätte die Gemeinde die Angehörigen des Verstorbenen ermitteln und benachrichtigen können.
- Weil die Gemeinde dies unterlassen hat, liegt der Tatbestand der Amtspflichtverletzung vor.
- Die Amtspflicht bestand aber nur gegenüber den bestattungspflichtigen Angehörigen, denen das Recht auf Totenfürsorge zustand. Bestattungspflichtig war nur der Bruder, nicht jedoch der Schwager.
Ergebnisse
- Unterlässt es eine Gemeinde, die bestattungspflichtigen Angehörigen eines Verstorbenen zu ermitteln und sie von dem Todesfall zu unterrichten, liegt ein schuldhaft amtspflichtwidriger Eingriff in das Recht auf Totenfürsorge vor. Der Bruder des Verstorbenen konnte wegen der unzureichenden Ermittlungen der Gemeinde nicht über die Umstände der Bestattung entscheiden und daran mitwirken.
- Die Verletzung des Rechts auf Totenfürsorge begründet aber Geldentschädigungsansprüche wegen immaterieller Beeinträchtigungen der totenfürsorgeberechtigten Angehörigen nur dann, wenn ein schwerwiegender Eingriff in dieses Recht vorliegt.
Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis
Mitarbeiter der Verwaltung sollten ihr Handeln nicht von der Schlussfolgerung leiten lassen, dass die Amtspflichtverletzung nur Geldansprüche auslöst, wenn eine schwere Pflichtverletzung vorliegt. Respektieren Sie das Recht auf Totenfürsorge und gehen Sie, wenn Angehörige auf den ersten Blick nicht vorhanden sind, allen Hinweisen nach, die zum Auffinden der Angehörigen sachdienlich sein können. Und: Dokumentieren Sie Ihre Bemühungen, damit Ihnen keine Amtspflichtverletzung vorgeworfen werden kann.