Sind 1.840 Bußgeldbescheide wegen falscher Beweisfotos ungültig?
Eine Gemeinde in Nordhessen zog 1.840 Verwarnungs- und Bußgeldbescheide, die wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen erlassen wurden, wieder zurück, weil ihnen durch einen Fehler im Rechenzentrum die Fotos anderer Fahrer zugeordnet wurden. Wir gehen der Frage nach, ob ein Bußgeldbescheid ein Beweisfoto enthalten muss und welche Folgen eintreten, wenn das im Bescheid abgedruckte Foto nicht den Fahrer abbildet.
Innerhalb weniger Stunden „blitzte“ es auf der Bundesstraße 7 außerhalb der geschlossenen Ortschaft über 2.000 Mal. Wegen der damit verbundenen großen Datenmenge verschickte die zuständige Gemeinde die Datensätze nicht wie üblich einzeln, sondern im Blockverfahren zur ekom21, den kommunalen Datenverarbeitungsdienstleister in Nordhessen. Auf dem Übertragungsweg oder im Rechenzentrum wurden 1.840 Datensätzen falsche Bilder zugeordnet und infolgedessen die Verwarnungs- und Bußgeldbescheide jeweils mit den Bildern anderer Autofahrer verschickt.
Nachdem der Fehler entdeckt wurde, kündigte die Gemeinde an, alle 1.840 Bescheide mit den falschen Bildern aufzuheben. Sollte das Verwarnungs- oder Bußgeld bereits gezahlt sein, soll das Geld erstattet werden.
Dieser Fall wirft aus rechtlicher Sicht gleich mehrere Fragen auf:
Muss ein Verwarnungs- oder Bußgeldbescheid bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung das Foto des Fahrers beinhalten?
Nach § 66 Abs. 1 OWiG enthält der Bußgeldbescheid
- die Angaben zur Person des Betroffenen und etwaiger Nebenbeteiligter,
- den Namen und die Anschrift des Verteidigers,
- die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften,
- die Beweismittel,
- die Geldbuße und die Nebenfolgen.
Darüber hinaus muss dem Bußgeldbescheid ein Hinweis beigelegt werden, dass dieser, sofern kein Einspruch erhoben wird, rechtskräftig und vollstreckbar wird und ein Einspruch auch negative Folgen haben kann.
Das bedeutet:
Der Verwarnungs- oder Bußgeldbescheid muss das Foto des Fahrers nicht beinhalten. Er ist auch ohne Foto des Fahrers wirksam. Wenn die Gemeinden aus Gründen der Nachweisbarkeit Fotos beifügen, tragen sie nicht nur dem Servicegedanken Rechnung, sie schaffen sich auch, wie dieser Fall zeigt, eine zusätzliche Fehlerquelle.
Welche Bedeutung hat das Foto des Fahrers bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung?
Wegen der Fahrerhaftung muss sich nicht der Halter des Fahrzeuges bei einer Geschwindigkeitsüberschreitungen verantworten, sondern der Fahrer zum Zeitpunkt der Tat. Polizei- und Ordnungsbehörden müssen somit den Fahrer ermitteln. Aus diesem Grund ist das Foto des Fahrers ein wichtiges Beweismittel.
Wie kann der Fahrer ermittelt werden?
Ist kein Beweisfoto vorhanden oder ist dies unbrauchbar, kann die Ordnungsbehörde den Fahrer selbst ausfindig machen. Sie sendet dem Halter einen Zeugenfragebogen zu und bittet um Angabe des Fahrers. In den meisten Fällen ist dies ein Mitglied der Familie. Daher kann das Beweisfoto mit den Fotos der beantragten Personalausweise abgeglichen werden. Die Polizeidienststellen können im Wege der Amtshilfe gebeten werden, den Fahrer vor Ort zu ermitteln. Verweigert der Halter (als Zeuge) die Auskunft, kann eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden.
Denkbar sind auch Recherchen im Bereich Social Media, z.B. facebook.
War es richtig, die Verwarnungs- bzw. Bußgeldbescheide wegen den falschen Fotos aufzuheben?
Wird der Tatnachweis erschüttert, ist die Verwaltungsbehörde zu Nachermittlungen verpflichtet. Sie kann auf die o.g. Möglichkeiten zurückgreifen und eine (ggf. erneute) Anhörung durchführen.
Ergibt sich durch diese neuen Ermittlungen, dass der erlassene Verwarnungs- bzw. Bußgeldbescheid nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, wird dieser zurückgenommen und ein neuer Bescheid erlassen.
Unsere Meinung
Wir halten es für nicht angemessen, alle Bescheide wegen fälschlich beigefügter Beweisfotos unisono aufzuheben. Die Ordnungsbehörde hat genügend Möglichkeiten, die Täter der Ordnungswidrigkeiten in jedem Einzelfall zu ermitteln. Auch wenn es der Ordnungsbehörde (was zu vermuten ist) an Personal mangelt, 1.840 Falle innerhalb der Verjährungsfrist aufzuklären, wäre es durchaus angebracht gewesen, nur die Verstöße mit geringer Überschreitung der Geschwindigkeit einzustellen und die Täter bei bedeutenden Verstößen zu ermitteln.