22.02.2022

Wasserstoff-Roadmap für Deutschland

Wasserstoffland Deutschland – so klingt es seit einigen Monaten verstärkt aus den Chefetagen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Wie weit ist man damit wirklich? Das Fraunhofer-Institut hat die Roadmap untersucht. Elektrolyse macht das Rennen um Grünen Wasserstoff.

Wasserstoff-Roadmap

Bundesländer in der technologischen Weiterentwicklung

Das föderale Prinzip gilt auch für die Zukunft der Wasserstoff-Energie in Deutschland. Viel ist  noch offen. Schon jetzt stehen verschiedene Schwerpunkte der technologischen Weiterentwicklung einzelner Bundesländer fest:

  • Serientauglichkeit und Markthochlauf z. B.:
    • Baden-Württemberg,
    • Nordrhein-Westfalen
  • Pilotierung und Betrieb z.B. im Testfeld für elektrische Eigenschaften, Bremen.
  • umfangreiche Kompetenzen in der Produktion von Elektrolyseuren, beispielsweise in Sachsen,
  • günstige Ansiedlungsbedingungen auf Grundlage bestehender Infrastrukturen und der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien z.B.:
    • Mecklenburg-Vorpommern
    • Sachsen-Anhalt
    • Brandenburg.

Fraunhofer untersucht Wasserstoffwirtschaft

Das sind Ergebnisse einer Untersuchung des Fraunhofer ISI. Das Institut schafft im Rahmen des Projekts „H2 D – Eine Wasserstoffwirtschaft für Deutschland“ die Grundlage für die allmähliche Entwicklung einer technologiezentrierten Wasserstoff-Roadmap für Deutschland. Erste Ergebnisse zeigen einen Fokus auf der Elektrolyse als zentrale Technologie zur Synthese von grünem Wasserstoff. Dabei nimmt die Untersuchung unter die Lupe:

  • Strategien von Bund- und Ländern,
  • zentrale Akteure der Wasserstoff-Forschung und -Förderung oder
  • Kennzahlen zur Entwicklung des Wasserstoffmarktes.

Das Vorhaben „H2 D“ adressiert alle wesentlichen Elemente des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft in vier Schwerpunkten, darunter:

  • Schwerpunkt 1 Klammer um alle vier Schwerpunkte: die systemische Gesamtbetrachtung, mit Einbettung
    • der zukünftigen Wasserstoffwirtschaft sowie
    • deren Integration in das Gesamtenergiesystem und
    • dessen Entwicklung

Ein wesentliches Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung ist ein räumlich hochaufgelöster Potenzialatlas für eine deutsche Wasserstoffwirtschaft mit allen Quellen und Senken sowie deren Verknüpfung durch stoffliche Transport- und Verteilstrukturen einschließlich unterschiedlicher Speichersysteme und der Anbindung an internationale Lieferketten. Besonderes Augenmerk wird somit auch auf die Frage des benötigten Importanteils von Wasserstoff zur Defossilisierung heimischer Sektoren gerichtet.

  • Schwerpunkt 2 Produktion von Wasserstoff mittels Elektrolyse
  • Schwerpunkt 3 sichere Infrastruktur und sichere Technologien für Transport, Speicherung, Verteilung und Anwendung von Wasserstoff.
  • Schwerpunkt 4 H2 digital für die Nutzung von Wasserstoff auf vielen Anwendungsfeldern mit ausgewählten, hochrelevanten Anwendungsbeispielen aus Industrie und Gewerbe.

Ausgangspunkt Nationale Wasserstoffstrategie

Ausgangspunkt der Veröffentlichung ist die Nationale Wasserstoffstrategie vom Juni 2020. Sie gilt als wichtige Säule der Energiewende und zur Verringerung von CO2-Emissionen. Allerdings seien viele Aspekte zur Ausgestaltung einer deutschen Wasserstoffwirtschaft noch offen wie etwa zu:

  • Erzeugung, Transport und Nutzung des grünen Wasserstoffs,
  • Entwicklung von Netzwerken
  • Finanzierungsfragen.

Das Fraunhofer ISI greift etliche dieser Fragen in wissenschaftlichen Untersuchungen auf, deren Ergebnisse in eine umfassende Technologie-Roadmap für die Entwicklung einer grünen Wasserstoffwirtschaft einfließen.

Unterschiedliche Strategien der Bundesländer

Eine Analyse der Aktivitäten der Bundesländer liefert einen Überblick darüber, welche Projekte und Initiativen bereits starteten, welche Potenzial- oder Machbarkeitsstudien durchgeführt und welche Strategien oder Roadmaps zum Aufbau einer (regionalen) Wasserstoffwirtschaft realisiert wurden. Analysen der Forschungsnetzwerke zu den verschiedenen Elektrolyse-Technologien geben zudem einen Einblick in die Innovationslandschaft zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Deutschland.

Die meisten Projekte mit Membran

Dabei entfallen die meisten Projekten und Akteuren auf:

  • das Netzwerk zu membranbasierten Elektrolysetechniken
  • Hochtemperatur- und alkalischen Verfahren als besonderes Augenmerk der fördernden deutschen Bundesministerien
  • Alkalische Elektrolyseure stellen die etablierte Alternative dar und erfordern weniger intensive Grundlagenforschung
  • Membranbasierte Verfahren insbesondere die PEM-Elektrolyse mit zunehmender Marktdurchdringung
  • Hochtemperatur-Elektrolyseure versprechen vor allem großes Anwendungspotenzial im industriellen Maßstab.

Wasserstoffstrategien der deutschen Bundesländer – ein Überblick

Der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger erfordert neben wissenschaftlichen und technologischen Lösungen zu Erzeugung, Transport und Nutzung des grünen Wasserstoffs Ansätze zur Entwicklung:

  • neuer Netzwerke und Wertschöpfungszusammenhänge,
  • neuer regulatorischer Rahmenbedingungen und Qualifikationsprofile,
  • neue Steuerungsstrukturen und Anschubfinanzierungen.

Zusätzlich zur Bundesebene engagieren sich die Bundesländer in der Strategieentwicklung, um ihre spezifischen Stärken und Potenziale für den Auf- und Ausbau der Wasserstoffwirtschaft in ihren Regionen zu nutzen und umsetzungsrelevante Rahmenbedingungen zu schaffen.

Bundeslandübergreifende Aktivitäten

Unterschiedliche Aktivitäten finden gegenwärtig in den Bundesländern statt, die von Projekten und Initiativen über (Potenzial- oder Machbarkeits-) Studien zu Strategien und Roadmaps zum Aufbau einer (regionalen) Wasserstoffwirtschaft reichen. Zusätzlich zu länderspezifischen Strategie- und Roadmap-Prozessen bzw. entsprechenden vorbereitenden Untersuchungen beobachten die Forscher bundeslandübergreifende Aktivitäten, wie z.B.:

  • das auf Strukturwandel und Kohleausstieg in Ostdeutschland ausgerichtete Eckpunktepapier der ostdeutschen Kohleländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen zur Entwicklung einer regionalen Wasserstoffwirtschaft
  • die Norddeutsche Wasserstoffstrategie (Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen), die die spezifischen Alleinstellungsmerkmale und Standortfaktoren Norddeutschlands adressiert.
  • Zusätzlich zur Norddeutschen Wasserstoffstrategie hat Schleswig-Holstein ein landesspezifisches Strategiedokument und einen entsprechenden Handlungsrahmen für grünen Wasserstoff erstellt.
  • In Brandenburg, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie im Saarland sind 2021 landesspezifische Wasserstoffstrategien publiziert worden, vorgesehen auch für die Sächsische Wasserstoffstrategie.
  • Die drei bevölkerungsreichsten Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben ihre Wasserstoff-Roadmaps bzw. -strategien 2020 fertiggestellt.
  • Rheinland-Pfalz hat im Sommer 2021 eine Wasserstoffstudie mit Roadmap in Auftrag gegeben, die eine landesspezifische Wasserstoffstrategie einschließlich konkreter Maßnahmen zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft entwickeln wird.

Kapazitäten, Kompetenzen, Infrastrukturen

Die vorliegenden Dokumente adressieren bestehende Kapazitäten, Kompetenzen und Infrastrukturen in Forschung und (Technologie-) Entwicklung, Speicherung und Transport wie auch potenzielle Anwendungen und bestehende Herausforderungen. Weitere Schwerpunkte liegen in:

  • der Erzeugung regenerativer Energien
  • der Wasserstoffelektrolyse
  • der Sektorenkopplung.

Bestehende Netzwerke, Verbünde, Cluster und Reallabore stellen ebenfalls spezifische Standortvorteile dar. Basierend auf den landesspezifischen Ist-Situationen können zukunftsorientierte Schwerpunkte entwickelt und dargestellt werden. Diese werden bereits in zentralen Projektvorhaben auch bundeslandübergreifend und auf europäischer Ebene sowie in anwendungsnahen Verbundprojekten realisiert,  beispielsweise in:

  • Reallaboren,
  • Forschungs- und
  • Kooperationsvorhaben.

Das Spektrum der Anwendungen reicht von

  • Verkehr und Mobilität z. B. Schienen- und Lastverkehr über
  • Industrie z. B. Kraftwerke, Chemie, Stahl bis hin zur
  • Wärmeerzeugung.

Patentanalyse: Deutschland international gut aufgestellt

Die drei Elektrolyse-Verfahren waren auch Bestandteil einer Patentanalyse, die Aufschluss über die Verteilung geistigen Eigentums im jeweiligen Bereich und den Entwicklungsstand auf aktuellen und künftigen Märkten für Elektrolyseure geben – sowohl auf nationaler wie auf europäischer und globaler Ebene. Die Patentanalyse offenbart eine steigende Tendenz für jeden betrachteten Technologiebereich. Sie hat nach Erkenntnissen der Wissenschaftler in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Patentierungen zur alkalischen Elektrolyse, die als ausgereifteste unter den drei Technologien gilt, steigen in ähnlichem Maße wie die Entwicklung alternativer Elektrolyseverfahren an. Das zunehmende politische und öffentliche Interesse für eine nachhaltige Energieversorgung steigere die wirtschaftlichen Bedarfe und schlage sich in mehr Patenten für Technologien zur Herstellung von grünem Wasserstoff nieder. Deutschland ist besonders im Bereich der membranbasierten Elektrolyse, aber auch bei der Hochtemperatur-Elektrolyse europaweit sowie global im Hinblick auf angemeldete Patente stark aufgestellt.

Weltmarkt für Wasserstoff-Elektrolyseure

Eine Meta-Markt-Analyse liefert zudem erste Erkenntnisse darüber, wie sich der globale Markt für Wasserstoff-Elektrolyseure in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Die Vorhersagen, basierend auf zahlreichen Marktstudien, weichen aber zum Teil stark voneinander ab:

  • So schwanken die Wachstumsraten zwischen sechs und 60 Prozent und der weltweite Jahresumsatz könnte im Jahr 2025 zwischen 230 Millionen und 4,2 Milliarden US$ liegen.

Die großen Unterschiede führen die Fraunhofer-Forscher auf die hohe Dynamik der Energiewende zurückführen.

Projektleiter Dr. Henning Döscher: „Wasserstoff wird im nachhaltigen Energiesystem der Zukunft eine wichtige Rolle spielen, aber es bestehen weiterhin große Unsicherheiten hinsichtlich der Intensität künftiger Wasserstoffnutzung, auch im Vergleich zu anderen Energieträgern und der Geschwindigkeit der Transformation.“
Nach Döschers Ansicht hängt die Marktentwicklung in naher Zukunft zunächst noch stark von öffentlichen Mitteln und großen Initiativen ab, welche im Rahmen der Wasserstoff-Forschung am Fraunhofer ISI stetig weiter beobachtet werden.

Die Analysen zur Weiterentwicklung der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland wurden im Rahmen des H2D-Projekts durchgeführt, an dem unter Federführung des Fraunhofer ISE insgesamt 25 Fraunhofer-Institute beteiligt sind.

Zielmärkte: Anlagenbauer, Infrastrukturbetreiber, Grundstoffindustrie

Wesentliche Zielmärkte sind sowohl die Anlagenbauer und Infrastrukturbetreiber als auch die Unternehmen der Grundstoffindustrie und des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland und Europa. Hersteller von Elektrolyseuren werden von den Kostensenkungen auf Basis neuartiger Materialen bei der Elektrolyse profitieren. Infrastrukturinvestoren und –betreiber können auf Basis neuartiger Optimiermodelle Unsicherheiten bei künftigen Investitionsentscheidungen deutlich reduzieren. Unternehmen der Grundstoffindustrie und Energieversorger können den Umbau von Industriestandorten zielgerichtet planen und den Betrieb der Anlagen für Wasserstoff-Nutzung und –Erzeugung optimieren. Somit findet sich der Markt für dieses Projekt auf nahezu allen Stufen der Wertschöpfungskette einer künftigen Wasserstoffwirtschaft.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)