01.04.2021

Suez-Kanal: Diskussion um Alternativen nimmt Fahrt auf

Knapp eine Woche war die „Ever Given“ krank – jetzt schwimmt das Container-Schiff im Suez-Kanal wieder, Gott sei Dank. Mit ihr können rund 400 Schiffe an beiden Enden des Kanals Fahrt aufnehmen – und damit auch die Diskussion um alternative Routen. Noch aber lohnen die kaum.

Suez-Kanal

400 Millionen US-Dollar pro Stunde

Noch sechs weitere Tage oder länger könne es dauern, bis die gesamte Warteschlange abgelaufen ist, zitiert dpa die dänische Containerreederei Maersk. Der Kanalbehörde zufolge warteten zuletzt rund 370, laut Finanznachrichtendienst Bloomberg 450 Schiffe auf Durchfahrt durch den Kanal.

Einer Kalkulation des Informationsdienstes Lloyd´s List zufolge kostet die Blockade die Weltwirtschaft aufgrund der Verzögerung von Waren rund 400 Millionen US-Dollar pro Stunde. Jeden Tag fließen demnach Waren im Wert von 9,6 Milliarden Dollar durch den Kanal,

  • westgehender Verkehr im Wert von etwa 5,1 Milliarden Dollar täglich,
  • ostgehender Verkehr etwa 4,5 Milliarden Dollar.

Bergung mit Hilfe aus den Niederlanden

Unter anderen die niederländische Bergungsfirma Boskalis hatte Ägypten bei der Bergung des festgefahrenen Containerschiffes „Ever Given“ im Suezkanal unterstützt. Am 28.03.2021 gelang dessen vollständige Freilegung. Das Schiff sei am Nachmittag flott gemacht worden und der Kanal damit wieder frei, teilte Boskalis mit.

Wann die „Ever Given“ ihre Fahrt nach Rotterdam fortsetzen kann, ist noch unklar. Der Frachter war am 23.03.2021 auf Grund gelaufen. Bagger und Schlepper hatten seither versucht, das 400 Meter lange und mit 20.000 Containern beladene Schiff freizulegen. Die Kanalbehörde will das Containerschiff zunächst am Großen Bittersee am nördlichen Ende des Suezkanals einer genauen Untersuchung unterziehen, um die Ursache für den Unfall klären.

Chemie- und Autoindustrie sowie Maschinen- und Anlagenbau betroffen

Von der Blockade waren in Deutschland insbesondere die Chemie- und Autoindustrie sowie der Maschinen- und Anlagenbau betroffen. Sie bekommen über den Suezkanal Bestandteile für ihre Produktion aus Asien, berichtet die Presseagentur und beruft sich auf Mitteilungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK).

Unternehmen planen demnach bei Seetransporten zwei bis fünf Tage Puffer ein. Bei einer längeren Sperrung drohe Stillstand der Produktion. Die Lage für die deutsche Industrie sei auch ohne die Sperrung bereits angespannt gewesen. Gartenmöbel, Autoteile, Chemiewaren, Fernsehgeräte, Smartphones: Der Suezkanal ist die wichtigste Frachtverbindung zwischen Europa und Asien. Zehn bis zwölf Prozent des Welthandels werden über den Suezkanal abgewickelt. 19.000 Containerschiffe, Massengutfrachter und Tanker nehmen laut dem „Manager Magazin“ jährlich die Passage durch die Wasserstraße in Ägypten, viele davon mit Deutschland als Ziel oder als Ausgangsort.

Diskussion um alternative Routen

Unterdessen nimmt die Diskussion um alternative Routen Fahrt auf. Mehrere Reedereien hatten bereits während der Wartezeit auf die Freilegung der „Ever Given“ damit begonnen, ihre Schiffe über das Kap der Guten Hoffnung um Afrika herum zu schicken. Diese Strecke beträgt 8.000 Seemeilen oder eine Fahrtzeit von 17 Tagen. Diese Strecke kam für die Mehrzahl der Schiffe nicht in Frage, die bereits im Stau stehen. Sie hätten diese dafür wieder ein Stück zurückfahren müssen. Zudem ist der Weg um Südafrika je nach Geschwindigkeit sechs bis zehn Tage länger. Teurer sei er aber nicht unbedingt.

„Denn die Reedereien sparen die hohe Gebühr, die bei der Passage des Suezkanals anfällt“, zitiert „Manager Magazin“ Reederverbands-Sprecher Christian Denso
. Ägypten erzielte aus den Durchfahrtsrechten durch den Suezkanal 2020 einen Erlös von umgerechnet 4,2 Milliarden Euro. Der Suezkanal ist für Schiffe bis 70 Meter Breite und für 20 Meter Tiefgang zugelassen. Hapag-Lloyd teilte laut „Epochtimes“ mit, von der Blockade des Kanals seien derzeit fünf Schiffe des Unternehmens betroffen. Man prüfe demnach die Option, die Schiffe um das Kap der Guten Hoffnung umzuleiten.

Rosatom baut Arktik-Route aus

Der russische staatliche Kernenergiekonzern Rosatom hat auf Twitter als effektive Alternative zum Suezkanal die arktische Seeroute ins Spiel gebracht. Sie brächte eine Abkürzung auf 13.000 km statt 21.000 km. Konkurrenzfähig könnte die Strecke aus Sicht von Wissenschaftlern erst ab 2035 werden – zumal in Zeiten fortschreitender Erderwärmung kein unerreichbar erscheinender Zeithorizont.

Allerdings dürfte der ständige Eisgang im Nordmeer den Zeitplan der im Linienverkehr fahrenden Containerschiffe durcheinander bringen. Zudem müssten nordfahrende Schiffe mit stärkeren Wandungen ausgestattet sein, um Eisberührungen einigermaßen sicher zu überstehen. Russland hat schon mal vorsorglich kürzlich die Entwicklung der arktischen Seeroute zu einer der wichtigsten strategischen Prioritäten des Staates gemacht.

Al-Sisi baut Suez-Kanal aus

Dass man auch am Suez-Kanal sich einer wachsenden Konkurrenz aus dem Hohen Norden durchaus bewusst ist, zeigt die ägyptische Strategie. Auf einer Länge von 72 Kilometer will das Land parallel zur bestehenden Wasserstraße einen neuen Suezkanal bauen lassen. Schon 2014 hatte Staatspräsident Al-Sisi das Projekt groß im Staatsfernsehen angekündigt. Am Projekt seien 17 Firmen beteiligt, die unter die Aufsicht des ägyptischen Militärs arbeiten sollten. Innerhalb drei Jahren wollte man das Projekt durchführen.

Das ist zwar nicht gelungen. Es wäre auch nicht ohne: der Suez-Kanal befindet sich im Grunde noch auf dem Ausbaustand des 19. Jahrhunderts. Zukunftsfähig wäre er aber erst, wenn er mindestens den Ausbaustand des Panama-Kanals erreichen würde. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es wäre aber nicht ausgeschlossen, dass die Havarie der „Ever Given“ jetzt und die russischen Ankündigungen auch hierfür neuen Auftrieb gäben. Die Diskussion ist jedenfalls wieder in Fahrt gekommen – zusammen mit der „Ever Given“.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)