Österreich will Alpentransit mit dem Lkw radikal begrenzen
Die Tiroler sind schon nicht lustig beim Lkw-Transit. Jetzt zieht Österreich weiter an: Es will den Alpentransit mit dem Lkw über den Brenner ab Januar 2020 für zwei Drittel aller Güter verbieten. Die Logistikwirtschaft schlägt Alarm. Sie warnt vor Versorgungsengpässen und sogar Unternehmenspleiten.
Brandbrief an die Bundesregierung
Der EU-Kommission liegen seit Juli 2019 Hilfeersuchen vor. Trotzdem ist sie untätig. Nach Neujahr sollen keine Lkw-Transporte von bestimmten Gütern mehr durch Österreich fahren dürfen. Betroffen sind etwa zwei Drittel aller bisher auf diesem Weg transportierten Güter – der Alpentransit mit dem Lkw würde massiv eingeschränkt. Das berichtet der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL).
Der BGL fordert in einem Brandbrief an die Bundesregierung, sie möge dringend gegen die ab Januar 2020 geplante Verschärfung des sektoralen Fahrverbots im Brenner-Transit vorgehen. Sie solle Klage gegen Österreich einreichen.
Nadelöhr Brennerpass
Der Brennerpass ist von jeher die wichtigste alpenquerende Verbindung im Personen- wie im Güterverkehr. Österreich will ab Januar 2020 das sektorale Fahrverbot drastisch verschärfen. Dadurch würde der Alpentransit mit dem Lkw massiv eingeschränkt, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands.
BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt: „Die EU-Kommission schaut bislang untätig zu, wie die vertraglich garantierte Warenverkehrsfreiheit hier komplett ausgehebelt wird.“
Deswegen sei eine Klage Deutschlands gegen Österreich unausweichlich. Durch die Transit-Blockade Österreichs befürchtet man Versorgungsengpässe beiderseits der Alpen, außerdem Unternehmensinsolvenzen in der mittelständischen Transportwirtschaft.
Tiroler sektorale Fahrverbotsverordnung
Das österreichische Bundesland Tirol hat Ende 2016 die sektorale Fahrverbotsverordnung erlassen. Sie enthält eine unbefristete Befreiung für alle Euro VI-Fahrzeuge. Nach der jetzt kommenden Verschärfung wären entgegen einer Vereinbarung mit der EU-Kommission von 2016 sogar Lkws dieser saubersten Schadstoffklasse Euro VI betroffen. Sie sieht überdies eine Ausweitung der vom Fahrverbot betroffenen Güterarten von 8 auf 13 vor.
Deswegen würde mit dem Brennerpass die wichtigste europäische Nord-Süd-Verbindung für zwei Drittel der Güter faktisch gesperrt, so der BGL. Damit erhebe sich die Tiroler Landesregierung über eine der vier europäischen Grundfreiheiten – den freien Warenverkehr. Dies habe nicht nur unter den betroffenen Transportunternehmen und deren Auftraggebern in ganz Europa für helle Empörung gesorgt.
Den Vorschriftentext der sektoralen Fahrverbots-Verordnung finden Sie auf der Website „Rechtsinformationssystem des Bundes“. Diese wird vom österreichischen Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort betrieben: Landesrecht konsolidiert Tirol.
RoLa keine Alternative zum Alpentransit mit dem Lkw
Die von Tirol als Alternative angebotene Rollende Landstraße (RoLa) ist nach Auffassung des BGL keine wirkliche Alternative. Derzeit gebe es gerade einmal 40 RoLa-Züge pro Tag über den Brenner. Um alle Lkws auf die RoLa zu verlagern, müsse man 444 RoLa-Züge täglich fahren lassen – der Brenner habe aber nur eine Tageskapazität von 240 Zugtrassen. Darin seien bereits alle Personenzüge und herkömmlichen Güterzüge enthalten.
Versorgungsengpässe drohen
Um die drohenden Versorgungsengpässe zu vermeiden, wendet sich Engelhardt direkt an Bundeskanzleramt, Bundesverkehrs- und Wirtschaftsminister. Er schreibt in seinem Brandbrief:
„Sollte die EU-Kommission, die sich derzeit in einer Konstituierungsphase befindet, nicht die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof anstrengen, so bitten wir die Bundesregierung dringend, zum Schutze der deutschen Bevölkerung und Wirtschaft ihrerseits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Sektorale Fahrverbot einzuleiten und dabei eine einstweilige Anordnung zu erwirken.“
Auch in Italien Protest
Auch auf der anderen Alpenseite regt sich Widerstand gegen den neuerlichen österreichischen Alleingang. Wie „suedtirol.news“ berichtet, hat der italienische Frächterverband „Anita“ bei einem Treffen mit Italiens Verkehrsministerin Paola De Micheli einen entschlossenen Einsatz der Regierung in Rom gegen Tirols Lkw-Fahrverbote gefordert. Die Regionalplattform zitiert Anita-Präsident Thomas Baumgartner mit den Worten:
„Wir sind äußerst besorgt.“
Er beklagt vor allem, dass nur noch nach August 2018 zugelassene Lkws eine Reihe italienischer Exportprodukte – wie etwa Fliesen – über den Brenner transportieren dürften.
Ministerin De Micheli schaltet sich ein
Laut dem Frächterverband überqueren 70 Prozent der Warenströme zwischen Italien und dem Rest Europas die Alpen und zum Großteil den Brenner. Italien dürfe protektionistische Maßnahmen nicht mehr erdulden, die den freien Warenaustausch auf dieser lebenswichtigen Achse für die italienische Wirtschaft verhindern, so Baumgartner.
Man begreife nicht, warum Österreich das Umweltthema nicht mit Vernunft in Angriff nehme. Nicht Fahrverbote, sondern technologische Innovation sei der Weg, den man beschreiten müsse. Mit neuen Lkws könne man schädliche Emissionen und Motorlärm stark reduzieren. Der Frächterverband forderte von der italienischen Regierung Anreize zur Modernisierung der Lkws. Außerdem solle man den kombinierten Schienen- und Straßenverkehr fördern. Ministerin De Micheli habe ihren Einsatz zur Lösung des Problems versprochen.