14.02.2023

Öffentliche Beschaffung: Hebel gegen die Klimakrise?

Eine halbe Billion Euro – für so viel Geld beschafft die Öffentliche Hand jährlich Waren und Dienstleistungen. Eine zentrale Marktmacht mit erheblichem Einfluss auf die ökologische Transformation. Nutzt síe sie für Nachhaltigkeit, wie die Bundesregierung fordert? Kritiker haben Zweifel.

Öffentliche Beschaffung

Forderung der Regierung: nachhaltige Beschaffung

Die Bundesregierung hat sich zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung bekannt. Jedoch bleiben Behörden aller Verwaltungsebenen hinter den Erwartungen zurück. Dabei hätten die Beschaffungsstellen von Bund, Ländern und Kommunen mit einem Einkaufs- und Vergabevolumen von etwa 500 Milliarden Euro pro Jahr eine dafür notwendige zentrale Marktmacht, rechnet der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e. V. (BNW) vor. In einem Positionspapier zeigt er auf, mit welchen Maßnahmen die öffentliche Beschaffung nachhaltig werden kann.

Wirksamer Hebel

„Die öffentliche Beschaffung muss als wirksamer Hebel im Kampf gegen die Klimakrise genutzt werden“, sagt BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter. Sie hält es für dringend notwendig, diesen Geldfluss sofort in nachhaltige Produkte und Dienstleistungen umzulenken zumal für:

  • Strom
  • Wärme
  • Transportfahrzeuge
  • Nahrungsmittel

Deshalb fordert der BNW von der Bundesregierung ein Sofortprogramm für die Dekarbonisierung der Beschaffung in diesen Bereichen. Eine Negativliste für grundsätzlich nicht zu beschaffende, klimaschädliche Produkte und Dienstleistungen könne als wirksame Sofortmaßnahme auf allen Verwaltungsebenen eingesetzt werden.

Hinter den Erwartungen

Die öffentliche Beschaffung laufe den Erwartungen hinterher:

  • In vielen Behörden fehle ein klares Bekenntnis der Leitungsebene zu nachhaltiger Beschaffung.
  • Das Vergaberecht sei kompliziert.
  • Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Praxis sei zweitrangig.
  • In den meisten Fällen sei der Angebotspreis das einzige Zuschlagskriterium.
  • Die rein preisorientierte Vergabe benachteilige Anbieter von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen.

Soziale und ökologische Aspekte

Dr. Antje von Dewitz, BNW-Vorstand und Geschäftsführerin von Vaude Sport GmbH & Co. KG, Tettnang: „Erst wenn positive und negative Umwelteffekte bei der Vergabe eingepreist werden, kann fairer Wettbewerb zwischen den bietenden Unternehmen stattfinden.“ Deshalb fordere man die Spielräume im Vergaberecht dafür zu nutzen, soziale und ökologische Aspekte stärker zu berücksichtigen. Eine Erweiterung der Vergabekriterien könne den Kreis bietender Unternehmen und so das Angebot vergrößern. Hiervon würden wiederum die öffentliche Hand und die gesamten Märkte profitieren.

Messbare Zielsetzung

Der BNW fordert zudem:

  • eine klare und messbare Zielsetzung für die nachhaltige öffentliche Beschaffung und
  • eine bundesweite Kontrolle zur Einhaltung dieser Ziele.

Dafür sei eine transparente Datenerfassung und -pflege notwendig. Um die zahllosen kleinen Vergabestellen auf kommunaler Ebene zu entlasten, sei eine zentrale Vergabekompetenz erforderlich. Der BNW schlägt deshalb Kompetenzcluster auf der mittleren Verwaltungsebene der Länder vor, die für die Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen von Ländern, Landkreisen und Kommunen zuständig sind.

Rechtssichere Verhandlungsposition

„Durch die Nachfragebündelung haben diese Kompetenzcluster eine starke rechtssichere Verhandlungsposition und können von Einkaufsvorteilen profitieren. Die Verankerung auf mittlerer Verwaltungsebene fördert zudem die Akzeptanz auf Anbieterseite. Die Regionalität der Beschaffung auch von kleinen und mittelständischen Lieferanten bleibt dadurch bestehen“, macht BNW Vorstand und Unternehmensberater Jan-Karsten Meier deutlich.

Einsatz für nachhaltige öffentliche Beschaffung

Der BNW setzt sich schon seit Langem für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung ein. So war Reuter gemeinsam mit 60 weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Erstunterzeichnerin des Aufrufs „Aktiv für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung“. BNW-Vorstandsmitglieder waren zudem als Experten zu Bundestagsanhörungen eingeladen. Mit dem Positionspapier unterstreicht der BNW erneut den dringenden Reformbedarf der öffentlichen Beschaffung und fordert eine stärkere sozial-ökologische Ausrichtung.

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Alternative Geschäfts- und  Finanzierungsmöglichkeiten

Die Möglichkeiten der öffentlichen Hand scheinen dem Positionspapier folgend kaum erschöpfbar:

  • Sie kann durch ihre Nachfrage Märkte für innovative und nachhaltige Produkte und Dienstleistungen etablieren.
  • Sie kann nachhaltig wirtschaftende Unternehmen fördern.
  • Sie kann alternative Geschäfts- und Finanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen sowie grüne Startups eröffnen.
  • Sie kann damit einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft leisten.

Die politische Verantwortung für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung müsse von der Leitungsebene der jeweiligen Institution getragen werden. Die Leitungsebene muss verdeutlichen, dass sie vor allem eine Berücksichtigung von nachhaltigen Kriterien in der Beschaffung nicht nur wünsche, sondern auch in aller Konsequenz mittrage. Das gebe den Mitarbeitern in den Vergabestellen die entsprechenden Leitplanken vor und sichere sie bei konkreten Vergabeentscheidungen ab.

Nachhaltige Beschaffung verbindlich für Gebietskörperschaften

Der Bund soll nach den Vorstellungen des BNW in seinem Papier die nachhaltige Beschaffung für alle Gebietskörperschaften verbindlich vorgeben. Zugleich solle er die nachhaltige öffentliche Beschaffung mit eigenen Zielen und Leistungsindikatoren ausstatten. Diese Ziele orientieren sich an der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und wären für Bund, Länder und Kommunen zu konkretisieren z.B.:

  • Zielwerte nachhaltiges Einkaufsvolumen,
  • Abfallreduzierung und CO2-Emissionen.

Bei der Überprüfung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Auftragsvergabe fehlten geeignete Mechanismen und Kapazitäten. Für die Überwachung sei eine verpflichtende Datenerfassung und kompetente Kontrolle notwendig.

Kernkennzahlen zu nachhaltiger öffentlicher Beschaffung

Dabei sollen zuständige Bundes- und Landesministerien regelmäßig Kernkennzahlen zu nachhaltiger öffentlicher Beschaffung in einem Dashboard veröffentlichen. Die Vergabestatistik des Statistischen Bundesamtes könne man bei entsprechender Anpassung als Grundlage nutzen. Darüber hinaus sollen Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe als unabhängige Instanzen alle zwei Jahre Fortschrittsberichte zum Status der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung erstellen. Wünschenswert aus Sicht des BNW wäre die Veröffentlichung eines Index‘ im zweijährlichen Rhythmus, um die Verbesserung der Zielerreichung der Bundesregierung transparent zu machen.

Potenzial nicht genutzt

Dieses Potenzial sieht das BNW-Papier als nicht genutzt an. Dabei seien die Beschaffungsstellen bereits jetzt gesetzlich dazu verpflichtet, neben  wirtschaftlichen auch die ökologischen und sozialen Kosten eines Einkaufs zu berücksichtigen. Darauf weist der Bundesrechnungshof (BRH) in seinem Bericht nach § 88 Absatz 2 Bundeshaushaltsordnung (BHO) an die Bundesregierung über die Prüfung der Nachhaltigen Vergabe in der Bundesverwaltung hin. Er liegt ihr seit Januar 2021 vor. Sie hat das aktualisierte „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung 2021“ am 25. August 2021 verabschiedet.

Das zur Zeit der BRH-Prüfungen geltende Maßnahmenprogramm 2015 forderte in Nummer 6,  dass die Behörden und Einrichtungen der unmittelbaren Bundesverwaltung ihre Beschaffung  am Leitprinzip einer nachhaltigen Entwicklung innerhalb der geltenden rechtlichen Bestimmungen und unter Beachtung des vergaberechtlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes ausrichten. Dabei hatten die Beschaffungsstellen der Behörden und Einrichtungen eine wesentliche Rolle als Manager, Förderer und Berater für eine nachhaltige Beschaffung. Das Maßnahmenprogramm 2015 sah in Nummer 6 Buchstabe c vor: „Die Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien in nationales Recht wird genutzt, um die nachhaltige Beschaffung in  Deutschland zu stärken und weiterzuentwickeln“.

EU-Vergaberichtlinien in nationales Recht umgesetzt

Mit der am 18. April 2016 in Kraft getretenen Vergaberechtsreform hat der Gesetzgeber die  EU-Vergaberichtlinien 2014 in nationales Recht umgesetzt. Nach der jetzigen Fassung des § 97 Absatz 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) werden ökologische und soziale Aspekte neben denen der Qualität und der Innovation bei der Vergabe nach Maßgabe des Vierten Teils des GWB berücksichtigt. Damit erklärt die Norm die genannten Aspekte ausdrücklich zu Zwecken des Vergaberechts. Sie lässt  ihre Einbeziehung ab Erreichen der Schwellenwerte für das gesamte Vergabeverfahren zu.

Mithin hält der BRH eine Berücksichtigung der nachhaltigen strategischen Belange in jeder Phase des  Vergabeverfahrens für möglich – von der Definition der Leistung über die Festlegung von Eignungs- und Zuschlagskriterien bis hin zur Vorgabe von Ausführungsbedingungen. Dies dehne den Spielraum des Öffentlichen Auftraggebers bei der Vorgabe von Nachhaltigkeitskriterien  erheblich aus, so der BRH. Durch das Maßnahmenprogramm der Bundesregierung sei die Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte bei der Beschaffung für alle Behörden und Einrichtungen der unmittelbaren Bundesverwaltung verbindlich. Danach habe die Verwaltung „ökonomische, ökologische und soziale Aspekte gleichermaßen zu beachten“.

Transformationshebel auf allen Verwaltungsebenen

Mit  den hier aufgeführten Maßnahmen wird die öffentliche Beschaffung ihr Potenzial als starker  Transformationshebel auf allen Verwaltungsebenen heben können. Zur praxisnahen Unterstützung der öffentlichen Auftraggeber bei der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung hat die Bundesregierung im Jahr 2010 die Kompetenzstelle für nachhaltige  Beschaffung (KNB) beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern eingerichtet.  Sie bietet u. a.:

  • Beratungsleistungen und Schulungen an,
  • führt Workshops durch und beantwortet Anfragen zur nachhaltigen Beschaffung per Telefon oder E-Mail-Hotline,
  • betreibt zusammen mit den Ländern eine zentrale Informationsplattform zu allen Themen nachhaltiger öffentlicher Beschaffung u. a. mit rechtlichen Rahmenbedingungen  und Leitfäden.

Die KNB sollte laut der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2021 personell  ausgebaut und als zentrale Anlauf- und Beratungsstelle weiterentwickelt werden.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)