NOx-Emissionen von Lkws bei 20 Prozent zu hoch?
Frische Luft am Auspuff von Lkws tanken – keine gute Idee. Feinpartikel sowie Stickoxide und andere Abgase verschmutzen die Luft. Standards für Lkws sollen dem entgegenwirken. Tun sie das aber im erforderlichen Umfang? Umweltaktivisten schlagen Alarm wegen der NOx-Emissionen von Lkws, Fachleute hegen Bedenken.
Expertenstreit: Lkws sollen zu viel Stickoxid ausstoßen
20 Prozent aller Lkws auf Deutschlands Straßen sollen geltende Abgasstandards für Stickoxid (NOx) überschreiten. Das sagen die einen und beziehen sich auf eine Untersuchung, die das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und in Zusammenarbeit mit der Polizei durchgeführt hat. Sie wollten laut einer Pressemitteilung der DUH wissen, wie hoch die NOx-Emissionen von Lkws im realen Betrieb sind.
Die Aktion erfolgte in Zusammenarbeit mit einem Verband für die Transportbranche, Camion Pro. Zusammen untersuchte man Abgasmessungen an insgesamt 141 Lkws mit Dieselmotoren der Abgasnormen Euro V und VI. Bei 52 handelte es sich den Angaben zufolge um Lkws mit deutschem Kennzeichen. Die verbleibenden 89 Lkws kamen aus anderen EU-Staaten oder aus Russland, Weißrussland, Serbien oder der Türkei. 40 der getesteten Lkw hatten demnach die Abgasnorm Euro V, 100 die Abgasnorm Euro VI.
Mehr als 25 Prozent der nicht-deutschen Lkws sind bei den Tests aufgefallen. Vier Lkws mit auffällig hohen NOx-Emissionen im Realbetrieb wurden von den Vollzugsbeamten der Verkehrspolizeiinspektion Chemnitz am 27. Mai 2019 von der Autobahn abgeleitet und einer Kontrolle unterzogen.
Defekt oder Manipulation – das ist die Frage bei den NOx-Emissionen von Lkws
Ursache für die hohen NOx-Werte können laut DUH zwei Quellen sein:
- Defekt oder
- Manipulation der Abgasreinigung durch die Nutzer
Es ist möglich, die Abgasreinigung über elektronische Module, sogenannte Emulatoren, oder Software-Eingriffe zu manipulieren. Dabei unterbindet man die erforderliche Einspritzung von Harnstoff oder reduziert die Abgasrückführung. Und man trickst die bordeigenen Kontrollsysteme aus. Das Fahrzeug fährt dann ohne weitere Fehlermeldung und ohne funktionierende Abgasreinigung.
Insgesamt fielen bei dem Test mit deutlich zu hohen NOx-Emissionswerten deutlich oberhalb des jeweiligen Grenzwerts auf:
- 30 Prozent Euro V-
- 16 Prozent Euro VI-Lkws
Abgasfahnenjagd auf deutschen Autobahnen
Die Forscher nahmen die Messungen der NOx-Emissionen von Lkws an vier Tagen Ende Mai 2019 vor, und zwar auf Autobahnen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Sachsen. Sie untersuchten die Konzentration von NOx und CO2 in der Abgasfahne (engl.: plume) des Lkws während der Fahrt. „Plume Chasing“ – Abgasfahnenjagd – nennen die Experten dieses Verfahren.
Denis Pöhler vom Heidelberger Physik-Institut zufolge ermöglicht Plume Chasing den Wissenschaftlern, die Emissionen in der verdünnten Abgasfahne von Lkws zu identifizieren. Aufgrund der Messung über mehrere Minuten an einem Lkw bei konstanter Fahrt erhalte man einen verlässlichen Emissionswert für das Fahrzeug. Anhand dieses Wertes lasse sich feststellen, ob die Abgasanlage korrekt arbeite.
Diagnosegerät kann Emulatoren nicht feststellen
Diese Aussagen werden jedoch von anderen Wissenschaftlern bezweifelt. So berichtete „eurotransport.de“ Ende Mai 2019 über die gemeinsame Kontrolle der Uni Heidelberg mit der Autobahnpolizei Chemnitz an der A 4. Ergebnis: Auch ein auf die Suche nach Emulatoren spezialisiertes Diagnosegerät konnte die jetzt in der DUH-Pressemitteilung vertretene These nicht belegen, wonach bei rund 20 Prozent aller osteuropäischen Lkws auf deutschen Autobahnen die Adblue-Anlage manipuliert sein soll.
Das „Plume-Chasing“-Verfahren misst demnach die Abgaskonzentrationen für eine bestimmte Zeit direkt hinter der Abgasfahne. Bei Lkws liege der Auspuff aber, je nach Typ und Baujahr, entweder auf der rechten oder der linken Seite.
Auch das Bundesamt für den Güterverkehr (BAG) hatte im Jahr 2018 insgesamt 13.298 Lkws bei gezielten Schwerpunktkontrollen geprüft. Ergebnis hier: Die Prüfer enttarnten 311 Fahrzeuge (2,4 Prozent) mit Emulatoren. Die belgische Polizei beziffert nach Rückfrage die Zahl der Manipulation durch Adblue bei den landesweiten Manipulationskontrollen auf nur ein Prozent.
Nur in Spanien soll es nach Emissionsmessungen bei Euro V-Fahrzeugen und anschließenden Kontrollen der spanischen Polizei bei mehreren spanischen Transportunternehmen eine Quote von zehn Prozent gegeben haben.
Auf das richtige mobile Diagnosegerät kommt es an
„Eurotransport.de“ zufolge spielt bei den Messungen die Frage nach den richtigen mobilen Diagnosegeräten eine entscheidende Rolle. Das BAG will bei seinen technischen Kontrollen handelsübliche Diagnosegeräte von namhaften renommierten Herstellern eingesetzt haben, jeweils mit der neuesten Software bestückt. Die Diagnosegeräte seien in der Lage, Fehler im Abgasnachbehandlungssystem zu erkennen. Außerdem könnten sie technische Defekte von technischen Veränderungen – wie zum Beispiel dem unzulässigen Einbau eines Emulators – unterscheiden.
Laut Auskunft der Polizei gegenüber der Transport-Plattform habe man je zwei Lkws der Marken Volvo und MAN sowie einen Mercedes mit auffälligen Werten angehalten. Außerdem habe man einen MAN mit Zulassung 2007 und Euro V mit nicht ordnungsgemäß funktionierender Adblue-Anlage aus dem Verkehr gezogen. Bei vier Fahrzeugen habe es keine Beanstandungen gegeben.
MAN mit dreifach überhöhtem Messwert
Die Messung des aus dem Verkehr gezogenen MAN hat laut DUH einen durchschnittlichen Wert von 9.539 mg NOx pro Kilowattstunde (kWh) aufgewiesen. Tolerabel bei NOx-Emissionen von Lkws sei ein Prüfwert inklusive Toleranzmarge von 3.000 mg/kWh. Bei der Kontrolle durch die Verkehrspolizei habe das Diagnosegerät keinen Rückschluss auf eine Manipulation zugelassen.
Jedoch seien bei manueller Überprüfung der Fahrzeugparameter über die On-Board-Diagnoseschnittstelle viele Unstimmigkeiten aufgefallen. Der Temperatursensor, welcher im Fall von extremen Temperaturen im Abgassystem die Abgasreinigung temporär abschalten soll, um Schäden an dieser zu verhindern, habe einen Wert von -20 °C ausgegeben. Das ist für die Forscher ein eindeutiger Hinweis darauf, dass hier die AdBlue-Einspritzung unterbunden war. Zudem zeigte das Fahrzeug eine Außentemperatur von +21,3 °C an – ein Hinweis für einen manipulierenden Eingriff in die Software.
Pöhler widerspricht Polizei
Gegenüber „Eurotransport.de“ soll Pöhler zunächst der Polizei widersprochen haben. Es seien nur drei Lkws mit hohen Werten aufgefallen, einer mit Euro V und zwei mit Euro VI, die intensiver kontrolliert wurden. Bei einem von den drei Fahrzeugen habe man gar nicht auf Abgasmanipulation prüfen können.
Ein kontrollierter Lkw hatte Euro III und sei damit nicht relevant für fehlerhaft hohe Abgaswerte gewesen. Von den weiteren drei Fahrzeugen habe man nur einen mit dem Prüfgerät prüfen, bei einem weiteren die Kenndaten auslesen können. Letzterer sei der enttarnte, mit der Prüfsoftware nicht kompatible Lkw. Deshalb habe man hier nur Kenndaten auslesen können.
Pöhler hält an These fest
Trotz dieser Stichprobe wolle Pöhler an seiner These festhalten, rund 20 Prozent aller osteuropäischen Lkws hätten mit Emulatoren manipuliert sein müssen. Seine Begründung:
- Softwareemulatoren,
- neuere Euro VI-Emulatoren und
- abschaltbare Emulatoren
könne man nicht aufdecken. Dafür gebe es weder Geräte noch Prüfmethoden. Somit wird laut Pöhler der sichere Nachweis eines Emulators nur einen Anteil der wirklichen Manipulationen belegen. An dieser Stelle müsse sich etwas bewegen.
Pöhler: „Wenn die Abgaswerte eines Lkw ein Vielfaches über dem von korrekt funktionierenden Lkw liegen, kann dies nur durch schwere Defekte oder Manipulationen verursacht sein.“
Daher fordert die DUH:
- mehr und effektivere Kontrollen durch die zuständigen Behörden
- wirkungsvolle Sanktionen gegen die Betreiber der Fahrzeuge
- sofortige Stilllegung auffälliger Fahrzeuge mit zu hohen Schadstoffemissionen
- Freigabe für den Verkehr danach erst nach nachgewiesener Reparatur der Abgasreinigungsanlage, Prüfung durch die Behörden und Leistung von Strafzahlungen wie in der Schweiz
- eventuellen Entzug der EU-Lizenzen
- Nachzahlung von Mautdivergenzen