02.07.2019

Lkw-Fahrermangel: fehlende Wehrpflicht mit schuld?

Früher war alles besser! Stimmt nicht, sagen manche. Aber um eines kommt niemand herum: früher war Wehrpflicht. Da machten viele den Lkw-Führerschein. Heute herrscht Lkw-Fahrermangel. Die Wirtschaft steht kurz vor dem Versorgungskollaps und die Speditionen schlagen Alarm.

Mitverursacht hat den Lkw-Fahrermangel möglicherweise die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland.

Was hat das Ende der Wehrpflicht mit dem Lkw-Fahrermangel zu tun?

In der Bundeswehr können Soldaten, Beamte und Angestellte eine Kraftfahrausbildung absolvieren. 2010, im letzten Jahr vor der Abschaffung der Wehrpflicht, machten etwa 17.800 Menschen eine Kraftfahrausbildung bei der Bundeswehr. Acht Jahre später war es knapp ein Drittel weniger. Immerhin ist die Bundeswehr mit mehr als 11.000 Auszubildenden auch heute noch eine der größten Institutionen für die Ausbildung im Kraftfahrbereich. Ist also die Abschaffung der Wehrpflicht mit schuld am Lkw-Fahrermangel?

Das Logistikunternehmen Dachser beispielsweise, das sich selbst als einen „der größten Ausbilder für Berufskraftfahrer in Deutschland“ beschreibt, stellt nur etwa 100 neue Auszubildende pro Jahr ein.

Kurz vor dem Versorgungskollaps

Alarmierende Zahlen nennen der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) sowie der Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) in einer gemeinsamen Presseerklärung.

Lkw-Fahrermangel in Zahlen

In der Logistikbranche in Deutschland fehlen laut DSLV und BGL zwischen 45.000 und 60.000 Lastkraftfahrer.

„Wir sind kurz vor dem Versorgungskollaps“, sagte BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt.

Auch wenn unklar sei, wie viele ehemalige Soldaten nach ihrem Dienst in der Bundeswehr Lkw-Fahrer geworden sind, trage die Entwicklung bei der Wehrpflicht zum Mangel bei. Das Ende der Wehrpflicht im Sommer 2011 sei ein Grund für den Fahrermangel und werde in der Debatte immer wieder genannt. Sowohl Engelhardt als auch ein Sprecher der Rewe Group gehen davon aus, dass sich dies negativ auf die Zahl der Lastkraftfahrer ausgewirkt habe.

Lkw-Fahrermangel Thema auf der Transport Logistic

Die deutschen Speditionen finden keine Lkw-Fahrer mehr. Laut dem Branchenverband gab es deswegen schon leere Supermarktregale – weitere Probleme könnten folgen. Die Branche will den Beruf nun attraktiver machen und auch gezielt Frauen ansprechen. Geringer Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen hätten die Tätigkeit immer unbeliebter gemacht.

Auf der Transport Logistic vom 4. bis 7. Juni 2019 in München sei der Fahrer- und Fachkräftemangel „das beherrschende Thema im Konferenzprogramm“, sagte Messe-Geschäftsführer Stefan Rummel. Jedes Jahr gingen fast 30.000 Fahrer in den Ruhestand, während nur etwa halb so viele Berufsanfänger nachfolgten.

Lkw-Fahrermarkt leer gefegt

Die Weltbank schätzte in einer Studie von 2017 sogar, dass in den folgenden zehn bis 15 Jahren 40 Prozent aller deutschen Lastkraftfahrer in Rente gehen würden. Somit könnten in den 2030er Jahren 150.000 Fahrer fehlen. Schaut man sich die Altersverteilung der Lastkraftfahrer an, ist der Trend offensichtlich. Laut BGL ist fast ein Drittel von ihnen 55 Jahre alt oder älter; nur etwa 2,5 Prozent der Fahrer sind jünger als 25 Jahre. Und fast alle von ihnen sind Männer. Der Frauenanteil beläuft sich auf gerade mal 1,7 Prozent.

Der Pressemitteilung zufolge nimmt gleichzeitig die Zahl der Transporte zu: Unter anderem wegen des Booms im Onlinehandel sei das Gütervolumen deutlich gestiegen. Auch Fahrer aus Osteuropa könnten mittlerweile die Lücke nicht mehr schließen, erklärte Engelhardt.

Die Spediteure suchen händeringend nach Fahrern. Ein Vertreter der DHL spricht von einem „leer gefegten Markt“. Die Weltbankstudie verdeutlicht: Das Problem beschränkt sich nicht auf Deutschland, sondern ist auch in zahlreichen anderen europäischen und asiatischen Ländern sichtbar. Aber Deutschland ist eines der Länder, für das die Prognose besonders düster aussieht.

Größere Fahrerhäuser und Toilette an Bord gegen Lkw-Fahrermangel

„Wir müssen ganz dringend an dem Image des Berufs arbeiten“, sagte BGL-Vorstandssprecher Engelhardt.

Man müsse Werbung machen und auch gezielt Frauen ansprechen. Der Frauenanteil und mehr Diversität sind Messe-Geschäftsführer Rummel zufolge wichtige Zukunftsthemen der Logistikbranche. Um langfristig mehr Fahrer zu gewinnen, müsse sich aber auch die Arbeitsqualität deutlich verbessern, sagte Engelhardt. Deshalb lauten seine Forderungen:

  • größere und komfortablere Fahrerhäuser
  • Toilette an Bord
  • an der Rampe Essen und Trinken für die Fahrer
  • Benutzungsmöglichkeit der Sanitäreinrichtungen
  • flexiblere Lenk- und Ruhezeiten in der EU

Leere Supermarktregale und Zapfsäulen

Mit seinem Ausbildungsprogramm versucht Dachser, dem Lkw-Fahrermangel entgegenzuwirken. Auch für Dachser sei es teils schwierig, Fahrer zu finden. Weniger Fahrer bedeuteten höhere Kosten, erklärte Hendrik Jansen, Geschäftsführer von Dachser Service und Ausbildung. Ein wichtiger Teil der Ausbildung sei es auch, den Fahrberuf aufzuwerten.

Der Beruf sei „zwar wichtig und anspruchsvoll“, leide „aber immer noch unter einem schlechten Image“, sagte Jansen.

Unter dem Lkw-Fahrermangel leiden nicht nur Speditionsunternehmen und jene Kraftfahrer, die den Mangel durch Mehrarbeit ausbügeln sollen. Er betrifft letztlich den Kunden, den Verbraucher, wenn die Produkte fehlen, so Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. Auch wenn keiner der angefragten Supermärkte dies bestätigen wollte, ist es Engelhardt zufolge schon zu leeren Supermarktregalen gekommen. Leere Zapfsäulen könnten folgen.

Der Lkw-Fahrermangel könne sich „ganz schnell spürbar auswirken“, so Engelhardt. Das sei kein Horrorszenario – der Versorgungskollaps stehe wirklich bevor.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)