Lkw-Experten zweifeln am Elektro-Brummi
Die Batterie – für LKW ein „Wahnsinn“. So der Chef von LKW-Hersteller Iveco in Ulm. Die Technologie führe nicht zum Ziel. Hinzukommen weitere Hindernisse wie Kosten, Zuverlässigkeit oder Service. Für viele Einsatzbereiche gibt es noch keine entsprechenden Alternativmodelle.
CO2-Konzentration und Verkaufbarkeit
Elektrischer Antrieb für Lastwagen ist vorerst nicht flächendeckend in Sicht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) zitiert Iveco-Chef Gerrit Marx von einem Besuch grüner Abgeordneter und von Fachleuten am Iveco-Standort Ulm:
„Dieser Batteriewahnsinn führt uns nicht zum Ziel.“Iveco hat seinen Gesellschaftssitz in Amsterdam, die Hauptverwaltung in Turin und eine Pilotproduktion für alternative Antriebe in UIm. Für Marx gebe es zwei klare Prämissen:
- Verringerung der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre
- Verkaufbarkeit an die Kunden.
Versechsfachung für Windkraftanalagen
Marx verkaufe Lastwagen mit jeder Art von alternativem Antrieb, wenn er von seinen Kunden, den Spediteuren, bestellt werde. Iveco bietet so gut wie alle alternativen Antriebsformen an. Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher vom Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) bei „Focus Online“ zufolge benötigt man alleine für die Elektrifizierung des Straßenverkehrs umgerechnet weitere 190.000 Windkraftanalagen – mehr als eine Versechsfachung des jetzigen Bestands. Zudem zieht er den bedarfsgerechten Ausbau der Lade-Infrastruktur in Zweifel.
100 Jahre nach Start des Diesel-Lkw
Engelhardt bezieht sich auf eine Studie „European Truck Market Outlook 2022“ der Unternehmensberatung Bain & Company vom April 2022. Danach gelingt Herstellern die Transformation mit den richtigen Stellhebeln. 100 Jahre nach der Vorstellung der ersten Diesel-Lkw auf der IAA im Jahr 1924 sollen sie ab 2024 in Europa allmählich aus dem Straßenbild verschwinden. Trucks mit alternativem Antrieb gewönnen mehr und mehr an Bedeutung. Für die Studie befragten die Forscher 565 Flottenverantwortliche in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Engelhardt: „Das bildet den Lkw-Markt nicht realistisch ab. Die größten Lkw-Flotten sind in osteuropäischen Ländern registriert.“
Bain: Speditionen kaufen alternative Lkw-Antriebe
Die Bain-Studie geht davon aus, dass rund 60 Prozent der Speditionsunternehmen ab 2025 Lkw kaufen mit Antrieben aus:
- Strom,
- Wasserstoff
- oder hybrid.
Bis dahin soll demnach nahezu die Hälfte der Flotten aus Trucks mit alternativen Antrieben bestehen. Entsprechend groß sei der Handlungsdruck für die Lkw-Produzenten. Sie müssten gleich an mehreren Stellschrauben drehen, um den Wandel erfolgreich zu bewältigen, so die Studie.
Ob ihnen das gelingt, ist allerdings fraglich.
Engelhardt: „Die Verfügbarkeit aller Antriebstechnologien wird in der Studie quasi als gegeben vorausgesetzt – aber welchen Sinn macht es, Unternehmen zu befragen, ob sie im Jahre 2024 Wasserstoff-Lkw kaufen würden, wenn selbst der Marktführer deren Serienreife erst für 2027 avisiert hat?“Ebenso wenig berücksichtige die Studie die Frage, wo der viele grüne Strom für den Betrieb der Lkw-Flotten herkommen soll. Derlei Bedenken scheinen auch die Marktforscher zu hegen. „Die Branche steht vor ihrem größten Umbruch seit 100 Jahren“, betont Dr. Eric Zayer, Bain-Partner und Co-Autor der Studie. Er stuft allerding im Gegensatz zu Engelhardt die Ausgangslage der europäischen Truck-Hersteller als „komfortabel“ ein.
Klassischer Dieselmotor ab 2025
Alternative Antriebsformen rücken laut Bain-Studie zunehmend in den Fokus von Flottenbesitzern und -betreibern. So dächten nur noch 30 Prozent der Befragten darüber nach, in drei Jahren einen Lkwmit klassischem Dieselmotor anzuschaffen. In Deutschland seien es 28 Prozent nach 50 Prozent im Jahr 2018. „Der Diesel wird allmählich zum Auslaufmodell, da sein CO2-Ausstoß die Klimabilanz der Kundschaft belastet“, erklärt Dr. Jörg Gnamm, Bain-Partner und weiterer Co-Autor der Studie. Damit ende für Lkw-Hersteller die Pilotphase für neue Antriebskonzepte. Wer in puncto E- und Wasserstofffahrzeugen nicht bald über eine umfassende Modellpalette verfüge, müsse sich darauf einstellen, Marktanteile zu verlieren.
Entscheidungskriterien auf Kundenseite
Die veränderte Nachfrage stelle die Truck-Produzenten zudem im Verkaufsprozess vor neue Herausforderungen der Entscheidungskriterien auf Kundenseite wie:
- Gesamtbetriebskosten (Total Cost of Ownership, TCO) eines Lkw,
- Zuverlässigkeit,
- Service,
- Anschaffungskosten.
Doch im zukunftsträchtigen Geschäft mit alternativen Antrieben wandele sich das Bild. Hier interessieren sich die Flottenverantwortlichen zuvorderst für:
- die Reichweite des Fahrzeugs,
- Leistung,
- Effizienz und
- Zuverlässigkeit.
Hybride als Zwischenlösung
Allerdings hätten viele der im Rahmen der Studie Befragten Zweifel, ob sich die Fracht mit einem elektrischen Antrieb allein termingerecht transportieren lässt. Daher würden sie sich eher für ein Hybridfahrzeug entscheiden, für Gnamm lediglich ein Zwischenschritt: „Auf Dauer werden sich Elektro- und Wasserstofffahrzeuge durchsetzen.“ Bedenken bei der Anschaffung und deren Kosten könnten Hersteller mit Abomodellen oder Pay-per-Use-Konzepten begegnen. Bei solchen Angeboten würden sich 42 Prozent der Befragten leichter tun, sich für einen Truck mit alternativem Antrieb zu entscheiden. Schon die Vorgängerstudie von 2018 hatte gezeigt, dass der Besitz von Fahrzeugen bei der Lkw-Kundschaft an Bedeutung verliere.
Veränderte Kundenwünsche
Angesichts der veränderten Kundenwünsche geraten die Truck-Produzenten in Zugzwang. Sie müssen ihre Modellpalette um neue Antriebe erweitern und zugleich ihre Geschäftsmodelle grundlegend überarbeiten. Bain hat fünf Stellhebel identifiziert, die für eine erfolgreiche Transformation entscheidend sind:
- Schneller Ausbau alternativer Antriebe: Zur Umstellung der Flotten könnte es aus Sicht der Befragten bereits in der ersten Hälfte dieser Dekade kommen und damit früher als erwartet. Je eher alternative Antriebe in Serie gehen, desto größer die Chancen der Lkw-Hersteller, sich im Wettbewerb zu behaupten.
- Verstärkter Fokus auf Zuverlässigkeit: Die Bain-Forscher empfehlen Truck-Produzenten intensive Kommunikation mit ihrer Kundschaft, bestehende Bedenken aufgreifen und ausräumen mit Informationen über Reichweiten sowie die Zuverlässigkeit der neuen Antriebsformen, gepaart mit Service.
- Erweiterung des Omnikanals: Die Kundschaft erwarte mittlerweile einen kanalübergreifenden Angebotsprozess, der von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zur Terminvereinbarung im Service reicht. Je effizienter dieser sei, desto mehr sei es den Herstellern möglich, ihren Vertrieb zu optimieren und gleichzeitig zu verschlanken.
- Entwicklung neuer Eigentümerkonzepte: Um dem Flottenmanagement den Umstieg auf alternative Antriebe zu erleichtern, empfiehlt Bain Truck-Produzenten verstärkt das Angebot von Abomodellen, Pay-per-Use-Konzepten und Mietkäufen. Die Experimentierphase sei hier vorbei.
- Professionelles Aftersales-Management: Schnelle, zuverlässige Aftersales-Dienstleistungen sorgten, so die Studie, für hohe Kundenzufriedenheit und schafften Anreize für Folgekäufe. So wären 59 Prozent der deutschen Flottenverantwortlichen an Verträgen interessiert, die für einen monatlichen Fixpreis sämtliche Leistungen, beispielsweise Wartung oder Austausch von Verschleißteilen, abdecken.
Die Lkw-Branche stehe vor einer „Mammutaufgabe“, weiß Bain-Partner Karl Strempel. Sie müsse sich binnen weniger Jahre in weiten Teilen ihrer Wertschöpfungskette neu erfinden. Je zügiger die Transformation gelinge, desto besser seien die mittel- und langfristigen Perspektiven. Der langjährige Marktbeobachter ist überzeugt: „Anbieter, die jetzt agieren und klimaschonende Trucks mit innovativen Eigentümerkonzepten intelligent vermarkten, werden zu den Gewinnern der nächsten Jahre gehören.“
Teures Gesetz in Salzburg
Der österreichische Rundfunk (ORF) berichtete unlängst über ein neues Gesetz der Landeshauptstadt Salzburg. Danach muss die Stadt einen Teil ihres Fuhrparks auf abgasfreie Autos umstellen. „Das könnte teuer werden“, schwant dem Sender. Viele Einsatzbereiche mit harten Anforderungen seien nicht für Elektromotoren geeignet. Oder es gebe solche Autos gar nicht. Trotzdem drohten hohe Geldstrafen. Das „Straßenfahrzeug-Beschaffungsgesetz“ schreibt zum Beispiel der Stadt Salzburg vor, „emissionsfreie oder emissionsarme“ Fahrzeuge zu kaufen: Lkw, Kleinbusse, Transporter, Pkw.
Die beabsichtigte „Mobilitätswende“ begrüße die Stadtverwaltung zwar. Uneingeschränkt durchsetzen könne man sie allerdings nicht, kommt Magistratsdirektor Maximilian Tischler auf dem Sender zu Wort: „Das ist nicht einfach. Die Fahrzeuge sind auch teurer. Der Gesetzgeber wollte dadurch nicht nur uns zwingen, entsprechende Fahrzeuge zu kaufen. Sondern auch die Industrie, die solche Fahrzeuge herstellen sollte.“
Lebenspraxis sticht Gesetz aus
Besonders im harten Winterdienst könne man verlässliche Dieselmotoren nicht ersetzen. Ungeachtet dessen schreibt das neue Gesetz, das Politiker beschlossen haben, vor, dass in den kommenden fünf Jahren viele E-Autos eingesetzt werden müssen, im Pkw-Bereich ein Drittel der Neubeschaffungen. Schwierig bis nicht möglich sei das bei den Spezial-Schwerfahrzeugen etwa bei Schneepflügen oder Kehrmaschinen. Autos zum Beispiel für die Müllabfuhr würden noch nicht hergestellt. „Da braucht es zum Beispiel Müllpressen auf solchen Autos, die sehr viel Energie brauchen“, so Tischler.
Viele Aufgaben ließen sich nur mit Hilfe von Hydrauliksystemen bewältigen, sagen Techniker. Diese wiederum bräuchten zur Sicherung der Verlässlichkeit im Winter Druckpumpen, die von Dieselmotoren angetrieben würden. Im Fuhrpark der Stadt Salzburg sind 202 Fahrzeuge unterwegs. Ein Konzept sei in Arbeit, wie das neue Gesetz erfüllt werden soll. Es drohen empfindliche Strafen:
- bei Pkws 25.000 Euro,
- bei Lkws 125.000 Euro und
- bei Bussen bis zu 225.000 Euro.
Bei „Nichtbemühen des Auftraggebers“ könnten es bis zu 450.000 Euro werden.
Wenn der Postbote nicht kommt
Die Deutsche Post hat mittlerweile tausende Streetscooter-Elektrotransporter im Einsatz. Der Konzern will damit seine CO2-Bilanz verbessern. Trotz geringen Reichweiten und technischen Problemen bis hin zu Brandfällen verrichten die zwar ihren flüsterleisen Dienst in vielen Städten, Bei Eis und Schnee müssten allerdings beispielsweise in Berchtesgaden wieder Diesel-Transporter in Betrieb genommen werden. Die Elektrofahrzeuge versagten im Winter-Einsatz.