25.01.2022

Linde Engineering: Wasserstoff aus Erdgaspipelines

Wasserstoff verteilen durch das weitreichende Gasverteilungsnetz wäre eine Möglichkeit. Doch den reinen Wasserstoff da durchzuleiten, ist nicht ohne weiteres möglich. H2-Hersteller Linde Engineering zeigt, wie es geht. Mit Membrantechnologie. Die erste Anlage dafür geht jetzt in Betrieb.

Wasserstoff aus Erdgaspipelines

Membrantechnik von Evonik

Eine Reinheit des Wasserstoffs von bis zu 99,9999 Prozent soll die neue Anlage der Linde Engineering erreichen. Sie steht in Dormagen und ist laut Pressemitteilung die überhaupt erste Real-Scale-Demoanlage, mit der man zeigen könne, wie sich Wasserstoff in industriellem Maßstab aus Erdgasströmen extrahieren lässt. Grundlage dafür bietet die Membrantechnologie „Hiselect“ von dem eigenen Angaben zufolge führenden Unternehmen für Spezialchemie Evonik Industries AG in Essen.

Die Linde-Gruppe und Evonik Industries haben einen exklusiven Kooperationsvertrag zum Einsatz von Membranen für die Erdgasaufbereitung geschlossen. Beide Unternehmen wollen gemeinsam die Membrantechnologie vorantreiben:

  • Evonik auf der Membran- und Polymerseite
  • Linde Engineering als Systemintegrator für komplette Membransysteme.

Als Basis dient die etablierte Membrantechnologie von Evonik. Das gemeinsame Produkt wird von Linde als Hochleistungs-Membransystem „Hiselect“ von Evonik vertrieben.

Fast vollständige Reinheit

Das Verfahren ist ein Schlüsselfaktor überall dort, wo Wasserstoff zu Erdgas zugespeist und über das Leitungsnetz transportiert wird. Das Mischgas kann typischerweise einen Wasserstoffanteil zwischen fünf und 60 Prozent aufweisen. Die Membrantechnologie kommt am Ort des Verbrauchers – also z.B. einer Brennstoffzelle oder einem Motor – zum Einsatz. Dort entzieht sie dem Mischgasstrom den Wasserstoff wieder. Der dabei wiedergewonnene Wasserstoff hat eine Konzentration von bis zu 90 Prozent. Bei einer Weiterverarbeitung mittels Druckwechsel-Adsorptionstechnologie von Linde Engineering kann die fast vollständige Reinheit erzielen.

Membran wichtig für Wasserstoffinfrastruktur

Die Membrantechnologie spielt beim Aufbau einer globalen Wasserstoffinfrastruktur eine entscheidende Rolle. Beispielsweise arbeiten in Europa elf Übertragungsnetzbetreiber am Aufbau des European Hydrogen Backbone. Ihr Ziel ist der Auf- und Ausbau eines eigenen Wasserstoffnetzes. Es soll weitgehend auf der Überarbeitung der bestehenden Erdgasinfrastruktur aufbauen. „Hiselect“ weise hierbei wichtige Vorteile auf, die den wirksamen Transport von Wasserstoff zu den Verbrauchern ermöglichen zur Verwendung als:

  • Industrie-Rohstoff,
  • Wärme- und Stromquelle oder
  • Transportkraftstoff.

„Die Hiselect-Demonstrationsanlage in Dormagen ermöglicht es uns, die essenzielle Technologie für den effizienten Transport von Wasserstoff über Erdgasleitungen realitätsnah darzustellen“, sagt John van der Velden, Senior Vice President Global Sales & Technology, Linde Engineering.
Sie zeige Möglichkeiten auf, die bestehende Infrastruktur zu nutzen und so die hohen Kosten und den langwierigen Prozess zu vermeiden, die mit dem Aufbau einer dedizierten Wasserstoffpipeline-Infrastruktur verbunden wären.

Linde deckt alle Teile der Wasserstoff-Wertschöpfungskette ab, von der Produktion bis zum Service, egal, ob Kunden Wasserstoff als emissionsfreie Kraftstoffquelle, als Ausgangsgas für die Industrie oder als Wärme- und Stromquelle für Gebäude nutzen wollen.

Gas als Einsatzstoff in der Chemie

Die Nutzung von Gas ist nicht auf die Erzeugung von Wärme beschränkt. Hinzukommen laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK):

  • Einsatzstoff vor allem in der Chemieindustrie
  • flexibler und vielfältiger Energieträger für die Stromerzeugung
  • Speicherung von Energie
  • als Zukunftsperspektive als Ausgleichsspeicher für regenerativen Strom
  • im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern klimafreundlicher, da der Einsatz mit geringeren CO2-Emissionen einhergeht.
  • Schließlich spielt Erdgas als kostengünstiger und klimafreundlicher Treibstoff bei der Mobilität eine immer wichtigere Rolle.

Biogas oder Biomethan lässt sich laut BMWK entsprechend aufbereitet auf Erdgasqualität veredeln und in vorhandene Erdgasnetze einspeisen. So könne es zur Entlastung im Wärmemarkt, im Strombereich und im Kraftstoffbereich beitragen.

Ausgleich von Stromschwankungen

Erdgaskraftwerke können eine Hauptrolle beim Ausgleich von Stromschwankungen aus erneuerbaren Energiequellen je nach Wetterlage und Jahreszeit übernehmen. Last but not least zeichnet sich für das Erdgasnetz die zukunftsträchtige Anwendung für den Transport von Wasserstoff ab. Dabei wandelt man regenerativen Strom in Wasserstoff oder Methan um und speist dieses in das Erdgasnetz ein. Das BMWK sieht darin einen riesigen Speicher für mehrere Milliarden Kilowattstunden (kWh) Energie. Derzeit laufen hierzu vielversprechende Forschungs- und Demonstrationsprojekte mit dem Ziel, diese Technologie im nächsten Jahrzehnt zum Großeinsatz zu bringen, die Linde-Anlage in Dormagen als die erste im industriellen Wirkbetrieb.

Erdgas ist den Angaben zufolge nach Mineralöl der zweitwichtigste Primärenergieträger im deutschen Energiemix. 2016 betrug sein Anteil am Primärenergieverbrauch der Energiemenge, die in einem Land jährlich insgesamt genutzt wird, demnach 22,6 Prozent. Der deutsche Inlandsverbrauch betrug laut Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. (AGEB) 3.022 Peta-Joule (Billiarde Joule) im unteren Heizwert (PJ Hu).

Die größten europäischen Gasmärkte sind:

  • Deutschland,
  • das Vereinigte Königreich
  • Italien.

Deutschland wird nach Annahme des BMWK auch zukünftig in hohem Maße von Erdgasimporten abhängig sein. Eine zukünftige Förderung von Erdgas kann erfolgen aus unkonventionellen Lagerstätten wie:

  • Tight Gas,
  • Schiefergas,
  • Kohle-, Flöz oder Grubengas,
  • Aquifergas
  • Gashydrat

Entwicklung der Inlandsnachfrage

Für maßgeblich bei der Entwicklung der Inlandsnachfrage halten die Experten die Verbrauchsentwicklungen in den einzelnen Sektoren:

  • private Haushalte: derzeitiger Anteil rund 44 Prozent, über 90 Prozent zur Wärmeversorgung.
  • Erdgas und Biogas (Biomethan) als Kraftstoff sind wichtige Bausteine im zukünftigen Kraftstoffmix. Laut Kraftfahrt-Bundesamt waren am 1. Januar 2016 80.300 bivalente Erdgasfahrzeuge und 475.711 Flüssiggas-Personenkraftwagen angemeldet. In Deutschland bestehen nach Angaben des BMWK derzeit 882 Erdgas-Tankstellen.

Infrastruktur für Transport und Verteilung von Erdgas

Für Transport und Verteilung des Erdgases sind die Rohrleitungen, aus denen sich das Gasnetz zusammensetzt, von substanzieller Bedeutung. Sie ermöglichen die sichere Lieferung unterschiedlichster Gasmengen über weite Strecken. Über deutsches Territorium werden erhebliche Gasmengen in andere EU-Staaten transportiert. Hinzu kommt ein eng vermaschtes Gasverteilungsnetz bis hin zum Endverbraucher. Das deutsche Gasnetz hat insgesamt eine Länge von 511.000 km.

Nach dem Dritten Binnenmarktpaket für den Aufbau und den Erhalt einer Netzinfrastruktur müssen Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) den Regulierungsbehörden regelmäßig einen zehnjährigen Netzentwicklungsplan vorlegen. Der bislang jährliche Turnus zur Ermittlung des Netzausbaubedarfs wurde 2016 auf zwei Jahre erweitert, um zeitliche Überschneidungen bei der Erstellung des (NEP Gas) und der Erarbeitung des Szenariorahmens für den darauffolgenden NEP Gas zu vermeiden. Der NEP Gas enthält Maßnahmen zum bedarfsgerechten Ausbau des Netzes und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit, die für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich sind. Der NEP Gas 2015 enthält 84 Maßnahmen zum Ausbau der nationalen Gasinfrastruktur. Die geplanten Investitionen umfassen 810 km Leitungsneubau und Neubau oder Erweiterung von Verdichtern mit einer Leistungserhöhung von 393 Megawatt (MW). Das Investitionsvolumen steigt bis 2025 auf insgesamt 3,3 Milliarden Euro an.

Die PCI-Liste der EU-Kommission mit „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ enthält 195 Infrastrukturprojekte im Energiebereich:

  • 108 Projekte bei Strom,
  • 77 bei Gas,
  • sieben im Erdölbereich
  • drei im Bereich intelligente Netze.

Bei den PCI-Projekten bestehen beschleunigte Genehmigungsverfahren und verbesserte regulatorische Bedingungen. Die Unternehmen können unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Unterstützung im Rahmen des Kreditprogramms „Connecting Europe“ (CEF) beantragen.

Erdgasimporte und Eigenproduktion

Der gesamte Gasverbrauch auf dem deutschen Gasmarkt lag 2016 bei rund 95 Milliarden m³. Die Prognosen für den künftigen Erdgasbedarf gehen von einem leichten Rückgang auch infolge technischen Fortschritts und Energieeinsparung aus. Derzeit können aus heimischer Erdgasproduktion knapp sechs Prozent des Gasverbrauchs bei leicht rückläufiger Tendenz abgedeckt werden. Sie betrug 2016 rund acht Milliarden m³. Knapp 94 Prozent des Gesamtbedarfs bezieht Deutschland ausschließlich über Pipelines aus verschiedenen Lieferländern, wie:

  • 31 Prozent Norwegen
  • 22 Prozent Niederlande
  • 41 Prozent sonstige.

Flüssiggas auf dem Abstellgleis

Der Import von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas – LNG)  nach Europa steigt. Die Fracht landet aber nicht direkt in Deutschland, denn dazu fehlt die Infrastruktur – „trotz großer Pläne“, wie die „WirtschaftsWoche“ schreibt. Mehr als 30 Schiffe aus den USA, betankt mit Flüssigerdgas, kreuzen demnach in der dritten Kalenderwoche 2022 den Atlantik mit Ziel Europa. Um LNG vom Tanker an Land zu bringen, benötigt man spezielle Terminals. Nur diese können das gelieferte Flüssigerdgas aus Schiffen aufnehmen und lagern. Anschließend lässt sich das Erdgas dann in die Netze einspeisen – außer in Deutschland. Da klappt das nicht. Der Grund: Es gibt zurzeit keine deutschen LNG-Terminals, an denen Tanker ihre Ladung löschen könnten.

In den vergangenen Jahren standen dem Bericht zufolge vier Projekte für LNG-Terminals in Deutschland zur Debatte. Zwei Investorengruppen gaben ihre Projekte auf:

  • Energiekonzern Uniper entschied im April 2021, das geplante LNG-Terminal im niedersächsischen Wilhelmshaven zu stoppen. Bereits im November 2020 hatte der Konzern in Frage gestellt, ob überhaupt genug Nachfrage in Deutschland für Flüssigerdgas vorhanden sei.
  • Ein belgischer und ein russischer Investor zogen sich im vergangenen Herbst aus dem angedachten Projekt in Rostock zurück. Ein Bau der Anlage ist somit in weite Ferne gerückt.

Die eigens für das Projekt gegründete German LNG Terminal GmbH will ein LNG-Terminal in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) und eins im niedersächsischen Stade umsetzen. Teil des Joint-Ventures sind die zwei niederländischen Gaskonzerne Gasunie und Vopak. Vopak habe entschieden, sich nicht mehr aktiv an Brunsbüttel zu beteiligen. German LNG Terminal stehe weiterhin hinter dem geplanten Projekt, teilt das Unternehmen auf Anfrage der „WirtschaftsWoche“ mit.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)