Flexibilität von Supply Chains
Das Management von Supply Chains folgt in der „traditionellen“ Materialwirtschaft und Logistik zumeist einem einzigen großen Leitgedanken: der Effizienz. Ist dies tatsächlich noch zeitgemäß? Ein nicht effizientes Management von Lieferketten ist mit großer Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt. Aber: ein nur effizientes und nicht flexibles, das sich dem Blick auf die Realität verschließt, ganz sicher auch.
Denn auch wirtschaftliche Prozesse unterliegen den Veränderungen der Zeit. Dazu zählen neben der Globalisierung
auch der gravierende demografische Wandel, die klimatischen Veränderungen, die zunehmende Knappheit an Ressourcen oder auch bahnbrechende technische Weiterentwicklungen. Ein verantwortungsbewusstes, ganzheitliches Supply Chain Management muss sich daher als ein planvolles Instrument verstehen, das flexibel und vor allem auch frühzeitig auf Trends und Auswirkungen globaler Veränderungen reagiert und sich an sich ändernde Rahmenbedingungen anpasst.
Auswirkungen auf das Supply Chain Management
Diese Trends haben zum Teil gravierende Auswirkungen auf das Supply Chain Management: So steigt z.B. die Volatilität und Unsicherheit von Prognosen durch immer kürzer werdende Innovationszyklen und den sich verstärkenden globalen Wettbewerb.
Gleichzeitig erhöht sich durch die zunehmende Internationalisierung der Supply Chains die Komplexität massiv und verschiedenste Risiken in der Supply Chain steigen dramatisch.Wie können Supply Chain Manager auf diese Trends reagieren? In Literatur und Praxis werden verschiedene Strategien diskutiert: Es finden sich traditionelle Ansätze wie z.B. Collaboration, Postponement, aber auch Ansätze wie der von der Bundesvereinigung Logistik (BVL) vorgestellte Ansatz der Cloud Logistics in Anlehnung an Cloud-Computing.
Im Fokus: Flexibilität und Widerstandsfähigkeit
Wie können Strategien aussehen, um im Rahmen des Supply Chain Management auf diese Trends zu reagieren? In den Mittelpunkt rückt hier die Flexibilität und die Widerstandsfähigkeit von Supply Chains.
Im Überblick
- Wichtige Trends in der globalen Wirtschaft sind Globalisierung, Urbanisierung, demografischer Wandel, Klimawandel und Ressourcenverknappung, Verkürzung von Innovationszyklen technischer Entwicklungen, Digitalisierung sowie ökonomische Krisen und strukturelle Brüche.
- Globalisierung beschreibt die zunehmende weltweite Verflechtung (insbesondere im Bereich Wirtschaft, aber auch die Politik als wesentlicher Einflussfaktor ist von Bedeutung) und ist der wichtigste Trend mit den größten Auswirkungen auf das Supply Chain Management.
- Die Urbanisierung zeigt sich darin, dass ein immer höherer Anteil der Bevölkerung in Städten lebt – so aktuell etwa die Hälfte der Erdbevölkerung. Dieser Anteil wird sich bis 2050 nach Schätzungen der UNO auf etwa 70 % erhöhen. Die Auswirkungen der Urbanisierung für das Supply Chain Management sind zum einen sehr branchenspezifisch, so profitieren insbesondere Hersteller von urbanen Infrastrukturlösungen von diesem Trend. Zum anderen bedeutet diese Entwicklung, dass die Verteilung von Gütern (z.B. Konsumgütern) in Städten und ländlichen Gebieten sehr unterschiedlich ist.
- Zum demografischen Wandel: Die Weltbevölkerung soll von 6 Milliarden Menschen 2008 auf 8,7 Milliarden Menschen 2025 wachsen. Dieses Wachstum ist jedoch nicht gleich verteilt. So soll das Wachstum in Afrika, Asien und Lateinamerika deutlich höher sein als im Rest der Welt. In den industrialisierten Ländern stagnieren die Bevölkerungszahlen bzw. werden sogar zurückgehen. Die Auswirkungen dieses Trends für das Supply Chain Management liegen in der wachsenden Nachfrage nach Gütern und Logistikleistungen und einer Verschiebung der Bedürfnisse zwischen industrialisierten Ländern und Entwicklungsländern.
- Ein wichtiger Indikator für den Trend Technologie, Innovation und Digitalisierung sind die immer kürzer werdenden Innovationszyklen und die Realisierung des „Internets der Dinge“. Dabei können Daten leichter generiert werden und schneller und in höherem Volumen verarbeitet werden. Die Auswirkungen dieses Trends betreffen die Logistik und das Supply Chain Management zunächst insofern, als dadurch Produktivitätssteigerungen und höheren Handelsvolumina für die betreffenden Technologien und Güter erzielt werden.
- Der Trend zur Nachhaltigkeit ist zum einen durch die globale Erwärmung und zum anderen durch die steigende Weltbevölkerung und den steigenden Pro-Kopf-Bedarf an Energie und anderen Ressourcen getrieben und verursacht eine verschärfte Notwendigkeit der Nutzung erneuerbarer Energiequellen und neuer politischer Lösungen zum Umgang mit Knappheiten. Die Auswirkungen für das Supply Chain Management konzentrieren sich auf die Beobachtung neuer regulatorischer Rahmenbedingungen zur Nachhaltigkeit sowie volatilere Preise für Ressourcen und Energie.
- Strukturelle Brüche und ökonomische Krisen können entweder aus plötzlich eintretenden Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen, Tsunamis o.Ä. oder aus politischen Veränderungen wie z.B. den Revolutionen in den arabischen Staaten resultieren.
- In einer zusammenfassenden Betrachtung der Trends und deren Auswirkungen fällt auf, dass die Trends nicht unabhängig voneinander auftreten, sondern häufig Verbindungen aufweisen und dass die Auswirkungen vieler Trends steigende Volatilität und steigende Risiken sind. Deshalb werden im zweiten Teil Strategien diskutiert, die insbesondere Lösungen zu diesen Themenbereichen aufgreifen.
- Allgemeine Leitlinien zur Reaktion auf die steigende Volatilität und erhöhte Risiken in der Supply Chain sind eine Erhöhung der Flexibilität, um sich schnell an neue Gegebenheiten anzupassen, und eine Erhöhung der Widerstandsfähigkeit (Resilience), um mögliche Schocks besser verkraften zu können.
Umgang mit Risiken
Zunächst ist im Rahmen des Supply Chain Risk Management nach einer Bewertung von (bekannten) Risiken anhand deren Auswirkung und Eintrittswahrscheinlichkeit der grundsätzliche Umgang mit Risiken bzw. den Herausforderungen, die daraus entstehen, festzulegen. Wesentliche Strategien sind: Vermeiden bzw. Verringern oder Begrenzen, Überwälzen und Auffangen.
Mass Customization bzw. Postponement
Mass Customization bzw. Postponement trägt durch eine modulare Produkt- und Prozessgestaltung sowie den Aufbau agiler Logistiknetzwerke dazu bei, schneller auf kurzfristige Nachfrageänderungen und die globale Verschiebung von Bedarfen reagieren zu können.
Organisationsstrukturen
Organisationsstrukturen, die eine Kombination aus dezentralen und zentral gesteuerten Systemen aufweisen, stellen sich als besonders widerstandsfähig heraus und gelten als am besten geeignet, auf externe Schocks schnell und effektiv zu reagieren.
Collaboration der Supply-Chain-Partner
Durch eine bessere Collaboration der Supply-Chain-Partner ist eine Erhöhung der Planungsqualität möglich und die Auswirkungen von Entwicklungen können frühzeitig mit einer höheren Sicherheit erkannt werden. Dies dient dazu, mehr Zeit für die Entwicklung von Gegenmaßnahmen zu haben und den Zeitraum zwischen dem Erkennen eines Veränderungsbedarfs und der Umsetzung der Maßnahme zu reduzieren.
Flexibles In- bzw. Outsourcing
Ein weiteres Element, das Wertschöpfungsnetzwerke flexibler und auch widerstandsfähiger machen kann, ist ein flexibles In- bzw. Outsourcing. Mit dem Ziel einer Erhöhung der Flexibilität und Widerstandsfähigkeit sind weniger Kosteneffekte oder eine Fixkostenvariabilisierung zu verfolgen, sondern eher, wie sinnvoll redundante Strukturen geschaffen und Risiken aus Sicht der gesamten Supply Chain unter Kontrolle gebracht werden können.
Bei der strategischen Bewertung können die Phasen frühzeitiges Erkennen von (noch unscharfen) Trends z.B. anhand sogenannter schwacher Signale, Analysieren der (reifen, bereits deutlich erkennbaren) Trends und Identifikation von Reaktionsmöglichkeiten auf die Trends unterschieden werden.Unternehmen machen häufig den Fehler, aufgrund der vermeintlich guten Handhabbarkeit und Scheingenauigkeit einen großen Anteil ihrer Ressourcen für die zweite Phase zu verwenden, indem sie verfügbare Daten analysieren und umfangreiche Berichte hierzu beauftragen. Dabei entsteht einerseits die Gefahr, dass im Entstehen begriffene Trends nicht erkannt werden, und andererseits keine geeigneten Gegenmaßnahmen implementiert werden.