02.06.2022

Einkäufer sorgen sich um China-Geschäft

Chinas Zero-Covid-Strategie könnte zur Zero-Alles ausarten. Unter anderem leiden die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen darunter. Deutsche Unternehmen überdenken Investitionen für Projekte in China. Schon verlagern sie Beschaffungsvolumina innerhalb Asiens.

China-Geschäft

Frachtkapazitäten aus China nach Deutschland

Die anhaltende Zero-Covid-Politik Chinas bereitet deutschen Unternehmen mit China-Geschäft zunehmend Kopfzerbrechen. Aus dem Expertenkreis China des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) ist zu hören, dass neben der deutlich gefallenen Termintreue ein Großteil der in China aktiven BME-Mitgliedsunternehmen sich durch die rasant gestiegen Fracht- und Logistikkosten belastet sieht. Der BME-Expertenkreis vertritt den Angaben zufolge ein Einkaufsvolumen von rund 12 Milliarden Euro. Die Frachtkapazitäten aus China nach Deutschland seien dramatisch gesunken. Das beeinträchtigte die Warenverfügbarkeit und die Produktionsabläufe ebenfalls. Häfen in China könnten teilweise nicht unter Vollauslastung arbeiten. Das allgegenwärtige Risiko von Hafensperrungen verschärfe die Situation zusätzlich.

Ohne Einschaltung der Zentrale in Deutschland kein Auditierungen

In einer BME-Blitzumfrage gab mehr als die Hälfte der Unternehmen an, sich durch die aktuellen Reiserestriktionen nach China in ihren Geschäftsabläufen beeinträchtigt zu fühlen. Auditierungen von Lieferanten oder Inbetriebnahmen von Maschinen und Anlagen wären ohne Beteiligung der Zentrale in Deutschland schwer bis nicht umsetzbar. Neuprojekte müsse man verschieben oder absagen. Zudem beklagten die Unternehmen, dass der Aufbau von neuen Lieferantenstrukturen in China derzeit fast nicht möglich sei. Wachstumschancen könnten hierdurch nicht genutzt werden.

Die Mitglieder des Expertenkreises sähen eine verlässliche Supply-Chain-Kostenkalkulation nicht mehr gewährleistet. Instabile Lieferketten seien für knapp die Hälfte der Unternehmen ein zusätzliches Risiko und stellten sie vor finanzielle Herausforderungen. Um den Risiken von Produktionsausfällen entgegenzuwirken, wurden für Warengruppen aus China in den vergangenen zwei Jahren die Lagerbestände deutlich erhöht – je nach Warengruppe zwischen 30 und 70 Prozent.

Zunehmende Zweifel an Zuverlässigkeit der Materialversorgung

„Unsere Mitglieder zweifeln die Zuverlässigkeit der Materialversorgung aus China zunehmend an und sehen eine verlässliche Supply-Chain-Kostenkalkulation nicht mehr gewährleistet“, schlägt Riccardo Kurto, China-Beauftragter des BME e.V., Alarm. Eine anhaltende Zero-Covid-Strategie der chinesischen Regierung würde zwangsweise dazu führen, alternative Beschaffungsmärkte außerhalb Chinas erschließen zu müssen. Unternehmen verlagerten bereits heute Beschaffungsvolumen innerhalb Asiens. Ein Weg zurück wäre nur sehr langsam umsetzbar.

„Aber auch Verlagerungstendenzen für Produktionsstandorte sind bereits erkennbar und Investitionen für Projekte in China werden überdacht. Kurzum: Der Zero-Covid-Ansatz ist eine Belastungsprobe für die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen“, so Kurto.

Ifo-Institut: Deutsche Industriefirmen auf China angewiesen

Fast die Hälfte der deutschen Industriefirmen ist derzeit auf wichtige Vorleistungen aus China angewiesen. Viele wollen diese Abhängigkeit verringern. Das geht aus einer Umfrage des ifo Instituts hervor. „46 Prozent aller Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes geben an, aus China bedeutsame Vorleistungen zu beziehen. Von diesen Unternehmen plant fast jedes zweite, diese Importe aus China in Zukunft zu verringern“, sagt Lisandra Flach, die Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft.

Die Unternehmen wollten damit:

  • ihre Bezugsquellen stärker diversifizieren,
  • Kosten und Risiken in der Logistik verringern und
  • sich gegen politische Unsicherheit rüsten.

„Die Bestrebungen deutscher Unternehmen könnten durch die deutsche und europäische Handelspolitik wirkungsvoll unterstützt werden“, sagt Flach. Aus ihrer Sicht wäre es wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung auf EU-Ebene mit Nachdruck für eine zügige Ratifizierung des Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten und für die Modernisierung des Handelsabkommens mit Mexiko für Deutschland einsetzte. Auch den Verhandlungen der EU über Abkommen mit Australien oder Indien sollte eine hohe politische Bedeutung eingeräumt werden, so Flach. Auf diese Weise könnten europäische Unternehmen schnell einen verbesserten Marktzugang für diese Länder erhalten und somit die Zahl der Bezugsquellen vergrößern.

China keinesfalls beherrschend

China nehme als Zulieferer und Absatzmarkt für Deutschland eine wichtige, aber keinesfalls beherrschende Rolle ein. Das zeige sich, wenn man direkte und indirekte Wertschöpfungsverflechtungen berücksichtige, schreibt Flach in einem Aufsatz im „ifo Schnelldienst“. „Allerdings ist Deutschland bei mehreren spezifischen Industriegütern und Rohstoffen abhängig von China“, so Flach.

„Wenn sich Deutschland abrupt von der chinesischen Wirtschaft abkoppelt, würden spezifische und wichtige Lieferketten unterbrochen. Deswegen ist es notwendig, sich verstärkt um Diversifizierung bei kritischen Gütern und Rohstoffen auf europäischer Ebene zu bemühen“, sagt Co-Autor Andreas Baur.
„Die EU-Länder sollten mit größtmöglicher Geschlossenheit gegenüber Peking auftreten. Das wird für die Zukunft der Handelsbeziehungen mit China entscheidend sein“, fügt der ifo-Forscher hinzu. Der Materialmangel in der deutschen Industrie hat sich ohnehin leicht verschärft. 77,2 Prozent der Firmen klagten im Mai bei einer Umfrage des ifo Instituts über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im April waren es 75,0 Prozent. Die Lieferketten ständen unter Dauerstress. Die Schließung von Häfen in China habe aber für viele Unternehmen die Situation weiter verschlechtert, sagt der Leiter der ifo Umfragen, Klaus Wohlrabe. Nahezu alle Schlüsselindustrien seien stark betroffen:

  • der Maschinenbau leide mit 91,5 Prozent am stärksten
  • gefolgt von der Elektroindustrie
  • In der Autoindustrie sei der Anteil mit 89,5 Prozent nahezu unverändert.
  • In der Chemischen Industrie ist der Anteil der Betroffenen mit 58,7 Prozent hingegen deutlich geringer.
  • Bei Herstellern von Nahrungsmitteln hat sich die Lage laut ifo leicht entspannt. Gegenwärtig sprechen 63,7 Prozent von Problemen, nach 76,9 Prozent im April.

Rund jedes zweite Unternehmen, das von Materialmangel betroffen war, gab an, die aktuellen Lockdowns in China hätten die Situation weiter verschlimmert. Insbesondere der Autobau ist hier betroffen. Die massive Störung der Logistikketten wird die Erholung merklich verzögern.

Lage der Autoindustrie wenig rosig

Die Lage der Autobranche ist der Londoner Beratungsgesellschaft EY zufolge weniger rosig als Kennzahlen von Herstellern vermuten lassen. So gerate der Verkauf von Neuwagen in China wegen den dortigen Corona-Lockdowns unter Druck. Das berichtete EY (Ernst & Young) in einer Studie zu den Geschäftszahlen der 16 weltweit größten Autokonzerne, unter ihnen Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW. China ist für die drei deutschen Konzerne der größte Einzelmarkt. „Ein Ende der rigorosen Corona-Politik der chinesischen Behörden ist noch nicht absehbar, daher drohen hier weitere Absatzrückgänge in den kommenden Monaten“, warnt EY-Branchenberater Peter Fuß. Der Verkauf von Autos an Verbraucher war laut chinesischen Branchenangaben im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 35,7 Prozent eingebrochen.

Deutschland lehnt China-Bürgschaften ab

Erstmals lehnt der Bund Medienberichten zufolge Bürgschaften für Investitionen eines deutschen Unternehmens in China ab – mit Verweis auf die Menschenrechtslage in der Provinz Xinjiang. Investitionsgarantien des Bundes sind für die deutsche Wirtschaft sehr wichtig, schreibt die FAZ. Mit ihnen sichere der Staat Unternehmen gegen politische Risiken im Ausland ab. Ohne diese eingespielte Praxis käme manches Auslandsgeschäft nicht. Auch für Projekte in China tritt der deutsche Fiskus als Garantiegeber auf. Unter Hinweis auf die Berichte im Westen über die chinesische Region Xinjiang verschärfe er seine Bedingungen. Erstmals seien vier Anträge auf Bürgschaften für ein Unternehmen, Volkswagen, das in der Provinz der Uiguren tätig ist, nicht verlängert worden, schreibt das Blatt unter Berufung auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). VW betreibt dort zusammen mit seinem Partner SAIC seit knapp zehn Jahren ein Werk. VW habe mitgeteilt, unterschiedliche kulturelle Hintergründe und religiöse Überzeugungen im Werk zu respektieren und keinerlei Zwangsarbeiter zu beschäftigen. Das Gleiche gelte für lokale Lieferanten.

Einkaufsmanagerindex China

Mit nur 48,1 Punkten fiel im März die Indikation des vom Wirtschaftsmagazin „Caixin“ ermittelten Einkaufsmanagerindex, eine Umfrage unter kleineren und mittleren Unternehmen, schwach aus. Dabei fiel die Dienstleistungskomponente sogar auf 42 Punkte, den niedrigsten Wert seit  dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020. Auch in diesem Fall führt Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reusche, in einem Beitrag für die „Investment-Plattform China“ die wirtschaftliche Schwäche auf die Pandemie zurück. China kämpfe gegen eine neue schon Wochen anhaltende Welle steigender Corona-Neufallzahlen. Dabei sei der Schutz der chinesischen Bevölkerung vergleichsweise schlecht, denn ausgerechnet in älteren Bevölkerungsgruppen seien die Impfquoten gering. Ohnehin hätten bisher nur gut 50 Prozent eine Booster-Impfung erhalten. Zudem schützten die verabreichten chinesischen Impfstoffe offenbar auch nicht besser als westliche Impfstoffe gegen die derzeit grassierende Omikron-Variante. Auch deshalb halte die chinesische Regierung an ihrer bisherigen „No-Covid-Strategie“ fest, allerdings mit mäßigem Erfolg. Neufallzahlen in den Millionenstädten gingen nur langsam zurück. Derweil machten sich die durch fehlende Konsummöglichkeiten, geschlossene Fabriken und stockende Abfertigungen an den Container-Terminals wirtschaftlichen Folgen immer mehr bemerkbar.

Null- oder Negativwachstum droht

Seit Anfang April ist der öffentliche Nahverkehr in Shanghai nahezu zum Erliegen gekommen. Die Abfertigungsstaus in den Häfen von Shanghai, Zhejiang und anderen Städten nähmen allerdings wieder zu. Das Wachstum der Anlageinvestitionen und die Industrieproduktion fielen im März schwächer aus als in den Vormonaten. Der Einzelhandelsumsatz sank sogar um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im ersten Quartal fiel das Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,3 Prozent für chinesische Verhältnisse moderat aus, im laufenden zweiten Quartal sogar gar nicht oder negativ. Das Wachstumsziel der chinesischen Regierung für das Gesamtjahr 2022 in Höhe von 5,5 Prozent wäre damit kaum noch erreichbar, so Mumm. Für die deutsche Wirtschaft seien neben ausfallender Produktion und stockendem Absatz von Produkten in China vor allem die negativen Auswirkungen auf die ohnehin noch gestressten globalen Lieferketten problematisch. Die global zwangsweise auf liegenden Schiffen nicht verfügbaren Güter dürften kurzfristig die Knappheit an Vorprodukten diverser Unternehmen noch einmal verschärfen und die Kosten zusätzlich zu den explodierenden Energie- und Rohstoffpreisen antreiben. Mumm: „Viele Unternehmen dürften vor diesem Hintergrund in der laufenden Quartalsberichtssaison nur vage Ausblicke mit vielen Nebenbedingungen abgeben.“

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)