Binnenschiff: Der vergessene Transportträger
Ehrgeizige klimapolitische Ziele. Solche verfolgen mittlerweile fast alle. Besonders tut sich hierbei der Schienengüterverkehr (SGV) hervor. Auf einer Veranstaltung des Einkäuferverbandes forderte man, mit der Politik an einem Strang zu ziehen. Nur die Binnenschifffahrt lässt man draußen.
Forderung der Regierung: nachhaltige Beschaffung
Der Schienengüterverkehr (SGV) in Deutschland steht in einem harten Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern. Um die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung geforderten 25 Prozent Marktanteil bis 2030 zu schaffen, müssten Verlader und Dienstleister gemeinsam mit der Politik noch stärker an einem Strang ziehen. Das gelte auch mit Blick auf die erfolgreiche Realisierung der ehrgeizigen klimapolitischen Ziele, lautet das Fazit des 16. BME-/VDV-Forums „Schienengüterverkehr“ am 2. Februar 2023 in Berlin. Es stand ganz im Zeichen der Stärkung des Verkehrsträgers Bahn, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME). Weitere Themen der zweitägigen Fachveranstaltung mit mehr als 200 Teilnehmenden waren unter anderem intelligente Verlagerungskonzepte für leichte und schnelle Güter sowie digitale Lösungen im Bereich des SGV und des KV.
Nur bi-modal gedacht
Worüber man nicht sprach: der vergessene Transportträger Binnenschifffahrt. Auch hier wird mal wieder nur bi-modal gedacht. Dabei sähe es düster aus um Einkauf, Materialwirtschaft, Logistik und Eisenbahnen, gäbe es die Binnenschifffahrt nicht. Dieser Verkehrsträger Binnenschifffahrt befördert
- in Deutschland jährlich rund 195 Millionen Tonnen Güter,
- in Europa rund 500 Millionen t.
Axel Götze-Rohen von der Bargelink GmbH, Xanten: „Leise, pünklich, staufrei, umweltfreundlich und mit enomen Kapazitätsreserven.“ So verbinden Flüsse und Kanäle nahezu alle wichtigen Wirtschafts- und Ballungszentren in Europa. Götze-Rohen: „Aber deutsche Verkehrspolitiker und Medienvertreterinnen kennen offensichtlich nur Züge und LKW. Traurig, peinlich und unverständlich.“
Umweltfreundlichstes Landverkehrsmittel?
Demgegenüber die Verkehrsexperten auf dem BME/VDV-Forum in Berlin: „Die Schiene ist das umweltfreundlichste Landverkehrsmittel. In Zeiten, in denen der Klimawandel weite Teile der Menschen und Unternehmen – alleine schon wegen der Klimaziele – beschäftigt, ist das der größte Trumpf des SGV“, betonte Carsten Knauer, Leiter Sektion Logistik/Referent Fachgruppen des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), nach Abschluss des Forums. Für sie gilt Götze-Rohens düstere Tatsachenbeschreibung zum Stand der Binnenschifffahrt: „Versiegt, versandet, verlandet oder verdunstet.“ Für den (Güter-)Verkehr gibt es, so der Binnenschifffahrtexperte, nur Schienen, Straßen und Autobahnen.
„Wasserstraßen? Fehlanzeige! Das ist ein Drama.“
Ob die Eisenbahnadepten sich ihre Verdrängungssicht lange werden leisten können, wäre abzuwarten. Götze-Rohen macht eine einfache Rechnung auf:
- Ohne die Wasserstraßen und auf ihnen fahrende Binnenschiffe
- auf Straßen, Autobahnen und Schienennetz absoluter Stillstand.
Auf den knapp 7.500 km deutschen Wasserstraßen werden Götze-Rohen zufolge jährlich ca. 195.000.000 Tonnen Güter transportiert, „in Worten: Einhundertfünfundneunzig Millionen Tonnen“, so Götze-Rohen. Wären LKW mit durchschnittlich 20 Tonnen Ladung unterwegs, wären das:
- insgesamt 9,75 Millionen LKW.
- Oder 195.000 Güterzüge mit 1.900 t/Zug.
Götze-Rohen: „Ich mag mir nicht vorstellen, was diese zusätzlichen LKW oder Züge für die jeweiligen Verkehrsnetze bedeuten würden.“
Digitalisierung und Transparenz
Ob dann noch der Klimawandel weite Teile der Menschen und Unternehmen – alleine schon wegen der Klimaziele – beschäftigen würde, wie Knauer meint, dürfte damit noch die Frage sein. Für ihn gibt es derlei Probleme derzeit nicht. Er sieht in Digitalisierung, Transparenz und Zusammenarbeit noch Aufholbedarf. Die vorhandenen Daten müssten offen und ohne Brüche austauschbar werden. Nur so könne bei der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit eine Verbesserung erzielt werden. Knauer: „Der BME-VDV-Kongress hat gezeigt, dass ein Miteinander der verschiedensten Akteure – von Verladern über EVU bis hin zu Terminalbetreibern und Speditionen – sehr gut möglich ist. Es ist wünschenswert, dass auf den nächsten Kongressen auch die Politik wieder mit an Bord kommt und aus erster Hand die Anregungen des Sektors aufnimmt.“
Politische Unterstützung benötigt
Der Vizepräsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Joachim Berends wies darauf hin, dass „wir weiterhin auch politische Unterstützung benötigen. Das gilt bei der Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zur Straße und das gilt beim Thema Finanzierung. Die Beschleunigung beim Planen und Bauen steht dabei nach wie vor ganz oben auf der Agenda. Wir hatten einen guten Prozess mit allen Beteiligten beim Beschleunigungsprogramm Schiene. Dieser ist jetzt ins Stocken geraten, weil die Bundesregierung sich bei der Prioritätensetzung im Gesetz nicht einig ist. Das ist nicht gut, denn wir brauchen das Beschleunigungsgesetz jetzt sehr zeitnah, um das Eisenbahnnetz zu ertüchtigen und auszubauen. Bei der Finanzierung liegt ebenfalls eine Reihe von Fördermaßnahmen auf dem Tisch des Bundes, die umgesetzt werden müssen. Zuallererst die Richtlinie zur Förderung des Einzelwagenverkehrs.“
Auf- und Ausbau zukunftsfähiger Transportwege
Die mehr als 200 teilnehmenden Verlader aus allen Industrie- und Handelsbereichen sowie Dienstleistern aus dem Eisenbahnumfeld, Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Bahnspeditionen nutzten das diesjährige Forum, um sich über intelligente Lösungen für den effizienten Auf- und Ausbau zukunftsfähiger Transportwege mithilfe der Schiene auszutauschen. So informierte Dr. Christoph Hempsch, Head of Sustainability Post & Paket Deutschland der Deutschen Post DHL Group, in seinem Vortrag, dass „der Ausbau des schnellen, leichten Güterverkehrs wichtiger Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie“ seines Unternehmens ist.
Danach sei die Bahn „eine klimafreundliche Lösung für den überregionalen Transport von Paketen“. Dafür würden pro Woche mehr als 50 Züge eingesetzt; in den Wochen vor Weihnachten seien es sogar über 70 gewesen. Bereits sechs Prozent aller DHL-Pakete werden laut Hempsch auf der Schiene befördert – vor allem auf langen Transportrelationen.
Die Bahn sei „vor allem am Wochenende eine sehr gute Alternative zum Lkw, um Wochenruhezeiten der Lkw-Fahrer zu ermöglichen“. Hempsch sagte aber auch, dass „die Verlagerung von zeitsensiblen Transporten auf die Bahn ein mindestens ausgewogenes Verhältnis aus Chancen (Emissionsreduktion, Transportkapazität am Sonntag, positive Kundenwahrnehmung) und Risiken (Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Flexibilität bei Mengenschwankung) bieten“ müsse. Er räumte abschließend ein, dass „Bahntransporte in unserem Netzwerk zu deutlich längeren Transportdauern gegenüber dem Straßentransport“ führten.
Umsetzung nachhaltiger Transportkonzepte
Für Gerhard Oswald, Geschäftsführender Gesellschafter/Managing Partner der Gomultimodal GmbH, ist die Schiene ein starker Baustein in der Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Transportkonzepte. Zum Erreichen der ehrgeizigen Klimaziele sei die Verlagerung von Lkw-Transporten auf den umweltfreundlichen Kombinierten Verkehr ein wichtiger Hebel, betonte Oswald in seinem Vortrag. Für Verlader stelle der KV die ideale Lösung der internen CO₂-Unternehmensziele dar. Der Erfolg der Gomultimodal-Projekte „Ready for Rail“ und „Moovment“ soll vordergründig nicht in Euro, sondern in vermiedenen Tonnen CO₂ gemessen werden. Das große Ziel sei die jährliche Vermeidung von einer Million Tonnen.
Netzwerkbetreiber im intermodalen Verkehr
Michail Stahlhut, CEO der Hupac, eines Netzwerkbetreibers im intermodalen Verkehr in Europa, machte sich in seinem Statement für den Kombinierten Verkehr (KV) stark. Er erinnerte daran, dass mehr als 30 Prozent des Schienenmarktes in Deutschland dem KV entstamme. Er sei überzeugt, dass vor allem der KV der Wachstumstreiber im Modalsplit sein werde, auch wenn gegenwärtig Mängel auf der Infrastruktur disruptive Effekte in der Qualität und Kapazität erzeugen.
Stahlhut forderte in diesem Zusammenhang einen Performance-Ruck der Railcommunity. „Das Bahnsystem muss mehr mit gleicher Zugmenge schaffen. Prioritär ist daher die Erhöhung der Zugslängen auf 740 Meter“, so Stahlhut. Der KV sei „die Speerspitze der CO2-Einsparung. Es braucht einen starken Anspruch an die eigene Leistungsfähigkeit und die Reduktion von Verschwendung auf allen Ebenen. Dafür müssen wir zuerst das nutzen, was wir haben und dann zusätzlich die Kapazität auch der Terminallandschaft ausbauen.“
Peter Westenberger, Geschäftsführer „Die Güterbahnen“: „Wagen, Verladeslots in den Häfen und Baustellen sind noch vor Loks und Personal die erfolgskritischen Faktoren. Hauptfaktor von Kapazitätsverlusten im Schienengüterverkehr sind nicht optimierte Baustellen im Netz. Ohnehin knappe Lokomotiven und Fahrpersonale werden durch unnötig lange Fahrzeiten kontinuierlich überbeansprucht. Die Güterbahnen beziffern den Mehraufwand bei diesen beiden Ressourcen auf etwa 20 Prozent. Entsprechend niedriger ist die gesamte Transportkapazität. Letztlich haben eine achtsame internationale Beschaffungsstrategie der Bundesregierung, das starke Engagement aller Beteiligten von Häfen über Güterbahnen bis DB Netz vermieden, dass der Schienentransport zum Flaschenhals wurde.“
In der Not fährt das Binnenschiff
Immerhin: wenn die Not am größten ist, dann scheint man sich auch in Eisenbahnerkreisen des vergessenen Verkehrsträgers Binnenschiff zu entsinnen. Berends am 9. Februar 2023 laut einer VDV-Pressemitteilung: Schon vor Ende des Winters sei klar, dass die große Zahl von Güterbahnen ihrer Verantwortung gerecht geworden sei und ihre Leistung erbracht habe – wenn auch „zusammen mit den Binnenschiffern“.
Mit ihnen habe man die benötigten zusätzlichen Kohlemengen für den Ersatz von Gas in der Stromerzeugung zu den Kraftwerken bringen können. Rohöltransporte laufen, so viel hat Behrends immerhin schon erkannt, nun mal nicht auf der Schiene. Dafür konnte man die veränderten Mengen und Wege bei Diesel, Benzin und anderen Produkten „gut bewältigen“. Eine Verschärfung der Situation ist aus Sicht der Branche nicht zu erwarten. Sollte diese Situation dennoch eintreten, sollten die richtigen Engpassfaktoren angegangen werden. Ob dann wieder mit Hilfe der Binnenschifffahrt, dazu sagte Behrends nichts.
Dass der VDV schon aus Gründen seiner Klientel sich auf die Eisenbahn beschränkt, mag noch verständlich erscheinen. Wieso der BME als übergeordneter und verkehrsträgerunabhängiger Interessenverband seiner Klientel in Einkäuferschaft, Materialwirtschaft und Logistik eine Empfehlung von Transporten über die Wasserstraßen vorenthält, schon weniger.