01.03.2023

BASF Vorreiter der Deindustrialisierung Deutschlands

Weitreichender Stellenabbau bei BASF, hauptsächlich in Deutschland. Dafür verstärkt der Konzern Investitionen außerhalb Deutschlands, vor allem in China. Wirtschaft und Gewerkschaften warnen vor einer Deindustrialisierung Deutschlands. Die Politik reagiert besorgt.

Deindustrialisierung

Weltweit 2600 Stellen bedroht

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF will weltweit 2600 Stellen streichen. Davon entfallen rund zwei Drittel auf Deutschland, melden verschiedene Medien unter Berufung auf Mitteilungen des Dax-Konzerns. Das Unternehmen hatte demzufolge 2022 wegen der explodierenden Energiekosten in Europa und der abflauenden Konjunktur ein Sparprogramm angekündigt. Damit wolle man von 2024 an jährlich 500 Millionen Euro außerhalb der Produktion einsparen, davon die Hälfte im Stammwerk Ludwigshafen. BASF beschäftigt hier rund 39.000 seiner weltweit etwa 111.000 Mitarbeiter. Schwerpunkte der Kosteneinsparungen seien:

  • Service-,
  • Unternehmens- und
  • Forschungsbereiche sowie
  • die Konzernzentrale.

„Die Wettbewerbsfähigkeit der Region Europa leidet zunehmend unter Überregulierung“, sagte Unternehmenschef Martin Brudermüller.
Sie leide immer mehr unter langsamen und bürokratischen Genehmigungsverfahren und vor allem unter hohen Kosten für die meisten Produktionsfaktoren. All dies habe bereits über viele Jahre das Marktwachstum in Europa im Vergleich zu anderen Regionen gebremst. Zusätzlich belasteten die hohen Energiepreise die Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa.

Einsparungen am Stammsitz

Die Anpassung in Ludwigshafen würden ab Ende 2026 voraussichtlich zu jährlich über 200 Millionen Euro niedrigeren Fixkosten führen, teilte BASF weiter mit. Neben dem Kosteneinsparprogramm ergreife das Unternehmen strukturelle Maßnahmen. Damit wolle man das Stammwerk Ludwigshafen langfristig besser für den schärfer werdenden Wettbewerb rüsten. Auf der Liste zu schließender Einheiten dort stehen unter anderem eine der beiden Ammoniak-Anlagen und eine TDI-Anlage sowie Anlagen für bestimmte Vorprodukte.

Erst 2019 hatte der Chemiekonzern laut „chemietechnik“ die integrierte Anlage für die Produktion von Toluoldiisocyanat (TDI) in Ludwigshafen erst wieder angeworfen, nachdem er sie aufgrund des niedrigen Rheinpegels im November 2018 stoppen musste.  Das Niedrigwasser infolge der Hitzewelle hatte damals in Sommer und Herbst zu Einschränkungen beim Schiffsverkehr geführt, sodass nicht alle benötigten Rohstoffe wie Toluol zum Werk nach Ludwigshafen gelangten.

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Der gestiegene Logistikaufwand sowie Produktionsausfälle drückten auf den Gewinn der BASF. Das Unternehmen musste die Lagerbestände mühsam wieder ausreichend aufstocken und schrittweise den Produktionsprozess von TDI und seiner Vorprodukte im Werk Ludwigshafen wieder hochfahren, wie es für solch eine integrierte Anlage üblich sei, wie ein Unternehmenssprecher damals erklärte. Bis die Produktion des Zielproduktes wieder beginnen konnte, mussten man zwei bis drei Wochen veranschlagen.

Eine Milliarde Euro für TDI-Anlage investiert

Die moderne TDI-Anlage mit einer Kapazität von 300.000 Tonnen pro Jahr hat BASF erst 2015 eingeweiht. In das Projekt investierte der Konzern einschließlich der Vorstufen der Fachplattform zufolge mehr als eine Milliarde Euro – die bis dahin größte Investition am Standort Ludwigshafen. TDI ist ein wichtiger Ausgangsstoff für den Spezialkunststoff Polyurethan und kommt unter anderem in der Möbelindustrie für die Herstellung elastischer Schäume für Matratzen, Polsterung oder Holzbeschichtungen sowie in der Automobilindustrie bei Sitzpolster zum Einsatz.

Brudermüller: Zukunft in China

Die Pläne stellte die BASF-Chef Martin Brudermüller während seiner Bilanzierung des vergangenen Geschäftsjahres am 24.02.2023 vor. Die Chemieproduktion in Europa gehe massiv zurück, zitiert ihn „Tagesschau“. Derweil wachse der Markt in China. Die Chemie weltweit sei im vierten Quartal um nur ein Prozent gewachsen, in China demgegenüber deutlich. Chinas Abkehr von der Null-Covid-Politik kurbele dort die Nachfrage an. Schon in der zweiten Jahreshälfte erwarte man ein besseres Ergebnis, vor allem aufgrund von Aufholeffekten in China. In einer multipolaren Welt liege man mit seinem Engagement in China richtig, um Kundennähe zu schaffen. Brudermüller bereite damit strategisch das Feld, um anschließend Produktionsauslagerungen nach Fernost zu begründen.

Risiken wegen der Energiekrise

Brudermüller sieht für das Jahr 2023 noch größere Risiken wegen der Energiekrise auf die deutsche Wirtschaft zukommen: „Die Folgen der Energiepreiskrise werden dieses Jahr bei den Unternehmen wahrscheinlich stärker zu Buche schlagen als 2022“, mahnt Brudermüller in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Es wäre naiv zu glauben, man könne nach einem bisher milden Winter 2023 einfach zur Tagesordnung übergehen. Deutschland müsse sich langfristig auf höhere Energiepreise als vor dem Ukraine-Krieg einstellen. Das treffe insbesondere Unternehmen mit hohem Energiebedarf. Der Top-Manager warnte daher vor einem Standortnachteil Deutschlands. „Wir werden mittelfristig Veränderungen in unserer Industriestruktur sehen. Das wird kein Kahlschlag oder eine Deindustrialisierung, aber energieintensive Branchen werden in Europa eher schrumpfen als wachsen“, zitiert „mannheim24“ Brudermüller.

Verteuerung von Energie und Rohstoffen

In einem Umfeld, das vom Krieg in der Ukraine und einer massiven Verteuerung von Energie und Rohstoffen geprägt war, habe die BASF sich widerstandsfähig gezeigt und dennoch Verluste einstecken müssen. So ging das Betriebsergebnis 2022 um 11,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 6,9 Milliarden Euro zurück. Zusätzliche Energiekosten von 3,2 Milliarden Euro belasteten das Ergebnis. 84 Prozent des Anstieges entfielen auf Europa und hier hauptsächlich auf den Standort Ludwigshafen. Der um 11,1 Prozent auf 87,3 Milliarden Euro gestiegene Anstieg des Umsatzes gehe hauptsächlich auf Preisanstiege in Folge der gestiegenen Kosten zurück, berichtet die „Tagesschau“.

Politik schlägt Alarm

„Die Nachricht ist natürlich eine unerfreuliche, das ist überhaupt gar keine Frage“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) laut „Focus“. Es sei aber „gute Tradition“ bei BASF, solche Schritte sozialpartnerschaftlich abzufedern. Sie verweist auf mögliche freie Stellen in anderen Bereichen der BASF, für die immer mehr Fachkräfte gesucht würden. Das Beispiel des Konzerns zeige, was Strukturwandel bedeute. Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt sagte: „Es muss uns ein deutliches Warnsignal sein, dass die BASF als eines der wichtigsten Unternehmen in Rheinland-Pfalz solche massiven Einschnitte ankündigt.“

Die CDU Rheinland-Pfalz nannte die Lage für BASF und die vielen Mitarbeiter „so ernst wie nie zuvor“. „Sollten wirklich 700 Stellen abgebaut werden, brauchen die Beschäftigten schnell neue Perspektiven“, sagte CDU-Landeschef Christian Baldauf. Die Stadt Ludwigshafen nahm die Ankündigungen „mit großer Sorge“ zur Kenntnis. „Optimistisch stimmt indes das erneuerte Bekenntnis zum Standort Ludwigshafen“, teilte Beigeordneter und Kämmerer Andreas Schwarz mit. Der Schritt werde Auswirkungen auf die Ertragssituation bei der Gewerbesteuer haben.

Russwurm: Bürokratieabbau jetzt

Die deutsche Wirtschaft sieht die zunehmende Gefahr einer schleichenden Deindustrialisierung in Deutschland mit möglichen Folgen für viele Jobs. Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte der Deutschen Presse-Agentur, der Standort Deutschland habe zahlreiche Handicaps und verliere an Wettbewerbsfähigkeit. Es brauche mehr steuerliche Anreize für Investitionen in Deutschland. Die Energiepreise seien überfrachtet mit Steuern und Abgaben. Das könne man sich nicht mehr leisten im globalen Wettbewerb. Die aktuelle Krise sei nicht nur eine kleine Konjunkturdelle. In der grünen und digitalen Transformation gebe es für die Regierung immense Aufgaben zu erledigen. Er fordert von der Bundesregierung die Umsetzung eines umfassenden Bürokratieentlastungsgesetzes.

DIHK: Planungsverfahren beschleunigen

Diese Forderung vertritt auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian. Deutschland und die EU müssten bürokratische Hemmnisse beseitigen und Planungsverfahren beschleunigen. Das sei in anderen Ländern wesentlich einfacher und unkomplizierter. Dort arbeite man ziel- und lösungsorientiert, während in Deutschland Unternehmen häufig die Erfahrung machten, dass ihnen Steine in den Weg gelegt würden. Das sei für Deutschland ein großes Ansiedlungshemmnis. Adrian warnte vor einer zunehmenden Verlagerung von Produktion ins Ausland.

Fahimi: Dramatischer Dominoeffekt

DGB-Chefin Yasmin Fahimi kündigte an, die Gewerkschaften wollten die Sicherstellung wettbewerbsfähiger Industrie-Strompreise im nächsten Jahr ganz vorne auf die Tagesordnung in den Gesprächen mit der Bundesregierung setzen. „Je tiefer die Schnitte in die Wertschöpfungskette werden, je mehr Unternehmen der Wertschöpfungskette Deutschland verlassen, desto dramatischer wird der Dominoeffekt sein“, so die DGB-Chefin. Sie hatte bereits im September 2022 wegen der hohen Energiepreise vor einer wirtschaftlichen „Katastrophe“ gewarnt. Einige Unternehmen kämen an ihre Grenzen. Der Dominoeffekt könnte zu einer Deindustrialisierung in Deutschland führen, so Fahimi damals gegenüber dem „Spiegel“. Die Bundesregierung müsse bedrohte Unternehmen absichern und „dafür sorgen, dass dort ein Mindestmaß an Produktionskapazitäten erhalten bleibt, um in einer besseren Phase die Standorte wieder hochfahren zu können“. Wer jetzt den Laden dichtmache, komme nie wieder. „Das muss uns klar sein“, so Fahimi.

Der Chef der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, verlangt eine rundum neu entwickelte Industriepolitik für Deutschland und Europa. Nur so ließen sich die nötigen Anreize für ökologisch tragfähige Investitionen sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen schaffen und weitere Abwanderungen etwa nach China oder in die USA verhindern.

Mittelstand zieht nicht einfach um

Keine Deindustrialisierung befürchtet hingegen der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA Karl Haeusgen. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Regionen mit einem starken Maschinenbau-Anteil, er glaube nicht, dass Ostwestfalen-Lippe oder die Schwäbische Alb vom Maschinenbau entvölkert würden. Eine Deindustrialisierung werde nicht stattfinden. Verlagerungseffekte sehe man immer. Die Branche und insbesondere die Politik müssten allerdings darauf schauen, Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland zu ermöglichen oder zu verbessern. „Aber der deutsche Mittelstand zieht nicht mal eben um, weil die Energiekosten für eine Weile deutlich höher sind“, sagte Haeusgen.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)