YouTube-Video: 5.000 € „Schmerzensgeld“ für Polizistin
Eine Rockband ließ von ihrem Konzert ein Musikvideo drehen und veröffentlichte es auf YouTube. Eine Polizistin im Einsatz ist darin zwei Sekunden lang zu sehen, in Großaufnahme und Zeitlupe. Sie fordert 5.000 € Schmerzensgeld – und bekommt es auch.
YouTube-Star wider Willen
Die Polizistin machte schlicht ihren Job. Als Zugführerin bei der Bereitschaftspolizei war sie bei einem Rockkonzert eingesetzt.
Weil Demonstrationen gegen das Konzert erwartet wurden, war die Bereitschaftspolizei zur Sicherheit vor Ort.
Während des Konzerts ließ die Musikband ein Musikvideo anfertigen und veröffentlichte es auf YouTube. Das Video wurde über 150.000 Mal aufgerufen.
Das Video enthält eine Sequenz von zwei Sekunden, in der die Polizistin zu sehen ist. Ihr Gesicht nimmt dabei einen großen Teil des Bildes ein. Die Sequenz läuft in Zeitlupe ab. Eine Einwilligung der Polizistin lag nicht vor.
Rasch erreicht: eine Unterlassungserklärung
Gegen dieses Vorgehen wehrte sich die Polizistin. Sie argumentierte, die Filmsequenz verletze ihre Persönlichkeitsrechte. Sie werde durch sie mit der Rockband in Verbindung gebracht, die dem sogenannten „Rechtsrock“ zugeordnet werde. Das müsse sie sich nicht gefallen lassen.
Die Polizistin erreichte relativ schnell, dass die Band eine Unterlassungserklärung abgab. Sie verpflichtete sich also, die Filmsequenz in dieser Form nicht weiter zu verbreiten.
Zugleich veranlasste die Band, dass das Bild der Polizistin auf YouTube verpixelt wurde.
Streit um Anwaltskosten und Schmerzensgeld
Die Polizistin hat sich anwaltlich vertreten lassen. Deshalb verlangt sie von der Band, dass sie ihr die Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 € erstattet.
Außerdem will sie von ihr 5.000 € Schmerzensgeld (korrekte rechtliche Bezeichnung: Geldentschädigung) wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Voller Erfolg der Polizistin
Das Gericht hat beide Ansprüche bejaht. Die rechtliche Begründung läuft dabei weitgehend parallel. Sie stützt sich im Wesentlichen auf folgende Gesichtspunkte:
- Auch wenn sie sich gerade im Einsatz befindet, steht einer Polizistin das Recht am eigenen Bild zu.
- Abbildungen von ihr dürfen deshalb nur mit ihrer Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden (§ 22 Kunsturheberrechtsgesetz – KUG).
- Etwas anderes gilt nur, wenn eine der Ausnahmen des § 23 Abs. 1 KUG erfüllt ist. Sie müssen daher im Folgenden geprüft werden.
Polizistin kein „Teil einer Veranstaltung“
Keine Einwilligung ist nötig für Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG).
Auf diese Ausnahme kann sich der Veranstalter im vorliegenden Fall jedoch nicht berufen. Denn sie greift nur dann ein, wenn die Veranstaltung als solche im Vordergrund steht und die abgebildete Person lediglich als Teil der Veranstaltung dargestellt wird.
Das ist hier jedoch ganz anders. Das Gesicht der Polizistin nimmt den größten Teil des Bildausschnitts ein, und sie wird in Zeitlupe dargestellt.
„Die Kombination beider Elemente führt dazu, dass nicht das Geschehen als solches, sondern die Klägerin persönlich im Vordergrund steht.“, so die Bewertung des Gerichts.
Ein Informations-Interesse der Öffentlichkeit, das gerade die hervorgehobene Darstellung der Polizistin erfordern würde, ist nach Auffassung des Gerichts nicht zu erkennen.
Video kein besonders geschütztes Kunstwerk
Weiterhin ist keine Einwilligung der abgebildeten Person nötig, wenn die Verbreitung oder Zurschaustellung ihres Bildnisses einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 KUG).
Zwar kann sich der Veranstalter auf die Kunstfreiheit berufen. Sie gilt jedoch nicht schrankenlos. Ihr steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Polizistin gegenüber.
Die Videosequenz greift schwerwiegend in das Persönlichkeitsrecht der Polizistin ein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die auftretende Rockband tatsächlich dem „Rechtsrock“ zuzuordnen ist.
Wesentlich ist vielmehr, dass der Veranstalter mit dem Musikvideo eine politische Aussage anstrebt und die Polizistin gegen ihren Willen mit dieser politischen Aussage in Verbindung bringt.
Dies muss sie sich nicht gefallen lassen, zumal sie dazu verpflichtet ist, sich in Ausübung ihres Berufs politisch neutral zu verhalten.
Polizeieinsatz hier kein „Ereignis der Zeitgeschichte“
Schließlich bedarf es dann keiner Einwilligung der abgebildeten Person, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 KUG).
Auch diese Ausnahme verneint das Gericht. Nicht jeder polizeiliche Einsatz führe dazu, dass ein zeitgeschichtliches Ereignis gegeben sei.
Es habe sich um einen ganz gewöhnlichen Polizeieinsatz gehandelt. Irgendwelche besondere Ereignisse oder außergewöhnliche Handlungen der Polizei habe es nicht gegeben. So sei es insbesondere nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Machtausübung gekommen, an der ein besonderes Informationsinteresse bestehe.
Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten
Aus diesen Überlegungen sieht das Gericht zunächst die Folgerung, dass der Polizistin ein Anspruch auf Ersatz der entstandenen Anwaltskosten zusteht.
Es ist ihr nicht zuzumuten, einen Unterlassungsanspruch ohne anwaltliche Unterstützung durchzusetzen. Das entspricht der gängigen Rechtsprechung und ist nicht überraschend.
Geldentschädigung in Höhe von 5.000 €
Nicht ganz so selbstverständlich ist die Entscheidung des Gerichts, der Polizistin eine relativ hohe Geldentschädigung in Höhe von 5.000 € zuzusprechen.
Hierfür führt das Gericht zur Begründung an:
- Eine schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts führt zu einem Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und sich die Beeinträchtigung in anderer Weise nicht befriedigend auffangen lässt.
- Dabei sei vorliegend zu berücksichtigen, dass das Bild in erheblichem Umfang verbreitet worden ist (Aufruf durch 150.000 YouTube Nutzer).
- Auch habe die Verbreitung des Videos den wirtschaftlichen Erfolg des Veranstalters gefördert. Vor diesem Hintergrund müsse eine ausreichende „Genugtuung des Verletzten“ für den erlittenen Eingriff erfolgen.
Mit diesen wenigen, teils fast schon formelhaften Formulierungen rechtfertigt das Gericht die Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 5.000 €.
Verpixelung bringt wenig
Dass die Videosequenz nur zwei Sekunden lang war, thematisiert das Gericht dabei nicht näher.
Deutlich zum Ausdruck bringt es dagegen, dass es von der Verpixelung des Bildes nicht besonders viel hält: „Durch die zwischenzeitlich erfolgte „Verpixelung“ des Appells der Klägerin wird der Rechtsverstoß nicht befriedigend aufgefangen, zumal eine Verbreitung des einmal ins Internet gestellten „unverpixelten“ Bildnisses technisch nicht zuverlässig verhindert werden kann.“
Daraus lässt sich nur eine Konsequenz ziehen: Vorher nachdenken und nicht darauf vertrauen, dass eine nachträgliche „Verpixelung“ alles wieder in Ordnung bringen könnte!
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Völliges Ignorieren der DSGVO
Auffällig ist, dass das Gericht mit keinem einzigen Wort auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eingeht. Das überrascht doch sehr.
Die relativ lebhafte Diskussion dazu, wie sich das Verhältnis zwischen KUG und DSGVO darstellt, kann dem Gericht eigentlich nicht entgangen sein. Aber es sagt eben nichts dazu.
Deshalb muss offenbleiben, ob das Gericht diese Diskussion vielleicht übersehen hat oder ob es davon ausgeht, dass die Regelung des KUG neben der DSGVO einfach weitergelten.
Das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 4.9.2019 – 23 O 159/18 ist abrufbar unter https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE190036014.