Vorsicht bei der Weiterleitung von E-Mails „nach Hause“
Jeder, der eine dienstliche E-Mail an seinen privaten Mail-Account weiterleitet, riskiert die fristlose Kündigung. So berichteten manche Medien über das hier vorgestellte Urteil. In Wirklichkeit sagt das Gericht zwar etwas anderes. Aber eine gewisse Vorsicht ist tatsächlich geboten. Sonst kann es zu Konflikten kommen, die leicht zu vermeiden wären.
Der Mitarbeiter, dem fristlos gekündigt wurde, war kein gewöhnlicher Mitarbeiter. Sein klangvoller Titel lautete: Senior Expert Sales & Engineering. Sein Arbeitgeber hatte ihm Handlungsvollmacht erteilt.
Ein besseres Angebot
Wie hoch das Gehalt des Mitarbeiters war, steht nicht im Urteil. Jedenfalls hatte ein anderes Unternehmen offensichtlich einen besseren Vorschlag für ihn. Es bot ihm am 8. April 2016 einen Arbeitsvertrag an.
Demnach sollte er dieselbe Funktion ausüben wie im bisherigen Unternehmen, und zwar für 5.600 € brutto im Monat zuzüglich einer erfolgsabhängigen Provision. Zusätzlich war ein Firmenfahrzeug vorgesehen. Ferner wollte man ihm Handlungsvollmacht erteilen.
Seit dem 1. Juli 2016 ist der gekündigte Mitarbeiter auf der Basis dieser Vertragsbedingungen bei dem anderen Unternehmen tätig.
Plötzlich heftiger Mail-Transfer
Am 25. April 2016, also noch während seiner Tätigkeit für das frühere Unternehmen, sandte der Mitarbeiter zahlreiche E-Mails von seinem dienstlichen Mail-Account an seinen privaten E-Mail-Account.
Die genaue Zahl dieser Mails ist ebenso umstritten wie ihr Inhalt. Sein früherer Arbeitgeber wirft ihm vor, allein am 25. Mai 2016 habe er in einem Zeitraum von 90 Minuten 96 E-Mails mit Anlagen an seine private Mail-Adresse geschickt. Ausgedruckt betrage der Gesamtumfang dieser Mails mit Anlagen 1.295 Seiten.
Fest steht, dass drei der Mails ein Projekt betrafen, das er selbst gar nicht betreute. Diese Mails enthielten Angebots- und Kalkulationsgrundlagen zu diesem Projekt sowie technische Daten, Berechnungsparameter, Vertragsentwürfe und Wartungsverträge.
Anhörung und Rauswurf
Am 28. April 2016 hörte sein damaliger Arbeitgeber den Mitarbeiter zu diesen Vorgängen an. Der Mitarbeiter berief sich unter anderem darauf, nach den Regelungen seines Arbeitsvertrags sei es ihm gestattet, Mails nach Hause weiterzuleiten.
Der Arbeitgeber sah dies anders. Er wertete das Weiterleiten der Mails als erhebliche Pflichtverletzung und kündigte dem Mitarbeiter mit Schreiben vom 29. April 2016 fristlos.
Für den Fall, dass diese Kündigung unwirksam sein sollte, kündigte er im fristgemäß zum 31. Juli 2016.
Fristlose Kündigung wirksam
Gegen beide Kündigungen wehrt sich der Betroffene durch eine Kündigungsschutzklage. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist diese Klage unbegründet. Es ist der Meinung, dass die fristlose Kündigung zum 29. April 2016 wirksam ist.
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Dabei geht das Gericht von folgenden Überlegungen aus:
Kernpunkt: Rücksichtnahme-Pflicht
- Ein Arbeitnehmer ist zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers verpflichtet. Was dies im Einzelfall bedeutet, ist abhängig von der Stellung und Tätigkeit des Arbeitnehmers im Betrieb, seinen eigenen Interessen und den Interessen des Arbeitgebers.
- Diese Rücksichtnahme-Pflicht führt dazu, dass es einem Arbeitnehmer untersagt ist, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder solche Unterlagen und Daten für Betriebszwecke zu vervielfältigen.
- Verstößt ein Arbeitnehmer gegen diese Rücksichtnahme-Pflicht, kann dies einen wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB darstellen, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt.
Umstände des konkreten Falls
Im konkreten Fall ist Folgendes zu bedenken.
- Durch die Übersendung zahlreicher Mails an seine private E-Mail-Anschrift hat der Kläger in schwerwiegender Weise gegen seine Pflicht verstoßen, auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen.
- Der Kläger hat E-Mails an seine private Mail-Adresse weitergeleitet, um damit seine Tätigkeit für den neuen Arbeitgeber vorzubereiten. Er wollte die Geschäftsdaten im Rahmen der neuen Tätigkeit verwenden.
- Eine dienstliche Notwendigkeit für die Weiterleitung der Mails konnte er nicht darlegen. Das gilt besonders für die drei Mails, die ein Projekt betrafen, das er überhaupt nicht bearbeitete. Sein Argument, er habe mithilfe der Mails Kontaktdaten von Kunden abgleichen wollen, überzeugt nicht. Es wird schon dadurch widerlegt, dass in einer der Mails davon die Rede ist, dass die dort verwendete Adresse des Kunden nicht mehr aktuell sei.
- Damit steht fest, dass der Kläger die Mails weiterleitete, um den Inhalt für seine Tätigkeit beim neuen Unternehmen zu verwenden.
Das Gericht bewertet dies als erhebliche Pflichtverletzung: „Die Weiterleitung von Mails mit betrieblichen Informationen auf einen privaten E-Mail-Account zur Vorbereitung einer Tätigkeit bei einem neuen Arbeitgeber stellt eine schwerwiegende Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten dar.“
Keine Gestattung im Arbeitsvertrag
Soweit der Kläger argumentiert, die Weiterleitung von Mails sei in seinem Arbeitsvertrag ausdrücklich gestattet gewesen, trifft dies nicht zu. Dies ergibt sich aus Folgendem:
- Eine ausdrückliche Regelung über die Weiterleitung von Mails an die private Mail-Adresse des Mitarbeiters enthält der Arbeitsvertrag nicht.
- Der Arbeitsvertrag enthält lediglich eine Regelung, wonach Daten und Informationen, die auf privaten elektronischen Datenträgern gespeichert sind, auf Verlangen des Arbeitgebers sofort, spätestens aber bei Ende des Arbeitsverhältnisses zu löschen sind.
- Aus dieser Regelung folgt nicht, dass betriebliche Daten an private Mail-Adresse gesandt werden dürften. Sie betrifft zum einen die Situation, dass Daten aufgrund einer konkreten Genehmigung auf privaten Datenträgern gespeichert wurden. Zum anderen regelt sie, wie zu verfahren ist, wenn Daten ohne Genehmigung auf privaten Datenträgern gespeichert wurden. Eine Genehmigung zur Weiterleitung von Daten ist in der Vertragsklausel dagegen nicht enthalten.
„Home Office“ ändert nichts
Eine Genehmigung zur Weiterleitung von Mails ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Kläger gestattet war, von zuhause aus zu arbeiten.
Der Arbeitgeber hatte dem Kläger für die Arbeit zuhause nämlich einen dienstlichen Laptop zur Verfügung gestellt, auf dem er dienstliche Daten speichern konnte. Eine Speicherung auf einem privaten Computer war deshalb für seine Arbeit nicht erforderlich.
Ergebnis: fristlose Kündigung gerechtfertigt!
Im Ergebnis ist die fristlose Kündigung somit gerechtfertigt.
Der Kläger hat längere Zeit wegen eines neuen Arbeitsplatzes verhandelt. Dann hat er unmittelbar vor Abschluss des neuen Arbeitsvertrags in ungewöhnlichem Umfang Mails mit betrieblichen Informationen an seinen privaten E-Mail-Account gesendet. Dadurch hat er die Geschäftsinteressen seines bisherigen Arbeitgebers unmittelbar gefährdet.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat mit Zugang der fristlosen Kündigung am 29. April 2016 geendet. Ab diesem Datum stehen ihm keine Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag mehr zu, insbesondere keine Lohnansprüche.
Ratschläge für die Praxis
- Bedenken Sie, dass in dienstlichen Mails oft Geschäftsgeheimnisse enthalten sind. Aufwändige Mechanismen Ihres Unternehmens zum Schutz von Mailinhalten helfen nichts, wenn Sie sie durch eine Weiterleitung von Mails an Ihren privaten Account unterlaufen.
- Deshalb gilt folgende Faustregel: Wenn Sie dienstliche Mails an Ihren privaten E-Mail-Account weiterleiten wollen, sollten Sie vorher mit Ihrem Arbeitgeber klären, ob das in Ordnung geht. Das vermeidet spätere Streitigkeiten.
- Seien Sie vorsichtig mit der Überlegung, eine solche Weiterleitung erleichtere die Arbeit oder sei dafür sogar erforderlich. Diese Vorsicht ist auch dann geboten, wenn Sie von zuhause aus arbeiten dürfen („Home Office“). Nicht alles, was Ihnen persönlich sinnvoll erscheint, ist es auch aus der Sicht Ihres Arbeitgebers.
- Besonders kritisch wird es, wenn für die Arbeit zuhause ein dienstliches Gerät zur Verfügung steht. Dann gibt es im Allgemeinen keinen nachvollziehbaren Grund, stattdessen ein privates Gerät einzusetzen.
- Sollte dies ausnahmsweise erforderlich sein, weil zum Beispiel technische Defekte beim dienstlichen Gerät vorliegen, dann sollten diese Defekte umgehend dem Arbeitgeber gemeldet werden. Es liegt dann am Arbeitgeber, die Technik wieder in Ordnung zu bringen.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist vom 16.5.2018 und trägt das Aktenzeichen 7 Sa 38/17.