Handyaufnahmen von „Lärmkindern“ – zulässig oder nicht?
Im Hof einer Wohnanlage toben sich Kinder und Jugendliche fast jeden Tag aus. Irgendwann wird einer Bewohnerin der Lärm zu viel. Sie will das Ganze für eine Beschwerde bei der Hausverwaltung dokumentieren. Deshalb filmt und fotografiert sie einige der Kinder. Ist das o.k. oder geht das zu weit?
Was ist die „Tücke des Wohnobjekts“?
Eine Wohnanlage hat einen Innenhof. Ballspielen ist dort laut Hausordnung verboten. Das hat seinen guten Grund. Der Innenhof ist nämlich ein richtiger „Lärmverstärker“. Schlägt ein Ball auf dem Boden auf, schallt es durch den ganzen Hof. Und schreit ein Kind einmal etwas laut, dröhnt das richtig.
Wie kam es zum Filmen und Fotografieren?
Vor allem Jugendliche ignorierten das Ballspiel-Verbot immer wieder. Sie hielten sich bei schönem Wetter bis 22 Uhr im Hof auf und spielten Fußball. Das nervte eine Bewohnerin gehörig. Sie versuchte mit den Jugendlichen und deren Familien zu sprechen. Viel kam dabei nicht heraus. Im Gegenteil: Durch die Antworten mancher Jugendlicher fühlte sich die Frau sogar beleidigt.
Schließlich griff die Bewohnerin zum Handy. Sie fotografierte und filmte das Geschehen. Drei Videos und einige Fotos schickte sie an die beiden zuständigen Hausverwaltungen. Eine Unterschriftsliste fügte sie bei. Darin hatten andere Bewohner unterschrieben, die sich ebenfalls durch das Treiben im Hof gestört fühlten.
Wie sieht die konkrete Datenschutz-Beschwerde aus?
Die Beschwerde bei der Datenschutzaufsicht stammt von den Eltern eines achtjährigen Kindes. Auf einem der drei Videos hat der Vater des Kindes sein Kind erkannt. Die Fotos sind allerdings so verschwommen, dass mit ihnen nicht viel anzufangen ist.
Ball spielt das Kind auf den Aufnahmen nicht. Vielmehr spielt es mit einem anderen Kind das Spiel „Abfangen“. Dabei rennen die Kinder viel, und natürlich geht es etwas laut zu, wenn ein Kind das andere festhält.
Zu einem persönlichen Kontakt zwischen der genervten Bewohnerin und den Eltern des Kindes kam es vor der Beschwerde bei der Hausverwaltung nicht. Die Bewohnerin glaubte zwar, mit den Eltern des Achtjährigen geredet zu haben. Später bemerkte sie jedoch, dass sie ein anderes Elternpaar mit den Eltern dieses Kindes verwechselt hatte.
Wie kam die Datenschutz-Beschwerde vor Gericht?
Die Eltern des Kindes wandten sich an die Datenschutzaufsicht. Die Datenschutzaufsicht rügte die genervte Bewohnerin und attestierte ihr eine Verletzung des Datenschutzes. Nach Auffassung der Datenschutzaufsicht hätte sie das den Achtjährigem weder filmen noch fotografieren dürfen. Zugleich beanstandete die Datenschutzaufsicht, dass die Bewohnerin die Eltern des Kindes nicht über die Aufnahmen informiert hat. Dazu wäre sie – so die Aufsichtsbehörde – nach Art. 13 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verpflichtet gewesen.
Diese Vorwürfe wollte die Bewohnerin nicht auf sich sitzen lassen. Sie wehrte sich gegen den Bescheid der Datenschutzaufsicht. So kam der Fall vor Gericht. Weil sich die Angelegenheit in Österreich abspielte, hatte als letzte Instanz das Bundesverwaltungsgericht der Republik Österreich zu entscheiden.
Was prüft das Gericht als erstes?
Datenschutzvorschriften sind generell nur dann anwendbar, wenn es um personenbezogene Daten geht. Das führt zu der Frage, ob das Kind in den Videos und auf den Fotos überhaupt zu erkennen ist. Zwei der drei Videos bleiben dabei von vornherein außen vor. Alle Beteiligten sind sich einig, dass das Kind auf diesen beiden Videos nicht zu sehen ist.
Deshalb konzentriert sich die Diskussion auf das dritte Video und zusätzlich auf ein einzelnes Foto. Dabei unterscheidet das Gericht ganz genau:
- Auf dem dritten Video ist das Kind nach Auffassung des Gerichts zu identifizieren. Das Gesicht des Kindes sei zwar nicht zu erkennen. Allerdings ist auf dem Video zu sehen, wie es sich bewegt, wie groß es etwa ist und mit wem es im Hof spielt. Aufgrund dieser Faktoren können Menschen, die das Kind gut kennen (etwa Verwandte, Freunde und Lehrerinnen), das Kind ohne weiteres identifizieren.
- Anders sieht es bei dem Foto aus. Das Gericht hat es sich genau angesehen. Es ist aber so verschwommen, dass man darauf nur die Silhouette einer Person sieht. Wer sich dahinter verbirgt, ist nicht festzustellen.
Worauf achtet das Gericht bei seiner Prüfung?
Wann personenbezogene Daten vorliegen, ist in den Einzelheiten umstritten. Das gilt vor allem dann, wenn das Gesicht einer Person auf einem Foto nicht zu erkennen ist. Genügt es dann für den Personenbezug, wenn Menschen mit „Zusatzwissen“ diese Person erkennen können? Damit ist gemeint, dass etwa Verwandte und Eltern eine Person auch anhand ihrer Kleidung und der Art ihrer Bewegung erkennen können. Das Gesicht brauchen sie dabei gar nicht zu erkennen.
Das Gericht bejaht diese Frage. Dabei bezieht es sich auf entsprechende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Er hat entschieden: Es kommt nicht darauf an, ob der Verarbeiter von Daten (hier also die genervte Nachbarin) über alle Informationen verfügt, um eine Person zu erkennen. Vielmehr genügt es, wenn andere Personen (wie etwa Verwandte oder Eltern) den Personenbezug herstellen können.
Warum durfte das Video nicht an die Hausverwaltung gehen?
Hier wirkt es sich aus, dass die genervte Bewohnerin nicht genau hingesehen hat. Auf dem Video ist nämlich nicht zu erkennen, dass das achtjährige Kind besonders laut gewesen wäre. Vielmehr hat es völlig normal am helllichten Tag mit einem anderen Kind Abfangen gespielt. Insofern hat die genervte Bewohnerin mit dem Video danebengegriffen. Hätte sie Jugendliche gefilmt, die zur Nachtzeit lautstark Fußball spielen, wäre die Situation anders gewesen. So aber rügt das Gericht, dass die Videoaufnahmen bezogen auf das konkrete achtjährige Kind von vornherein nicht erforderlich waren.
Was führt das Gericht für künftige Fälle aus?
So interessant der konkrete Fall sein mag – viel wichtiger scheint, welche allgemeinen Ausführungen das Gericht für künftige Fälle macht. Dabei sind drei Punkte von Bedeutung:
- Erster Punkt: Bevor eine genervte Nachbarin Videoaufnahmen macht, muss sie zu milderen Mitteln greifen. Das gilt besonders, wenn es um Aufnahmen von Kindern geht. Den die sind durch die DSGVO besonders geschützt. Ein solches milderes Mittel wäre hier eine schriftliche Beschwerde an die Hausverwaltung gewesen, auf Wunsch auch zusammen mit der Unterschriftsliste. In einer solchen Beschwerde hätte die Situation mit Worten geschildert werden können.
- Zweiter Punkt: Statt gleich Videoaufnahmen zu machen, genügen in der Regel zunächst Tonaufnahmen. Schließlich geht es in erster Linie um den Lärmpegel.
- Dritter Punkt: In jedem Fall müssen auch genervte Nachbarinnen die Informationspflicht nach Art. 13 DSGVO erfüllen. Das hört sich schlimmer an als es ist. Denn wenn es Konflikte unter Nachbarn gibt, führt an einem Gespräch oder jedenfalls einer anderen Form der Kontaktaufnahme ohnehin kein Weg vorbei. Bei dieser Gelegenheit kann man das Thema der Bildaufnahmen ansprechen.
Wo ist die Entscheidung des Gerichts zu finden?
In Österreich legt man traditionell großen Wert auf Transparenz im Bereich der Gerichte. Deshalb ist gesetzlich festgelegt, dass das Bundesverwaltungsgericht der Republik Österreich alle Entscheidungen veröffentlicht.
Die Entscheidung, um die es hier geht, trägt das Datum 25.5.2023 und ist hier abzurufen: https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?ResultFunctionToken=5f5196e7-0b07-4c2b-81ac-4ac92743ad97&Position=1&SkipToDocumentPage=True&Abfrage=Bvwg&Entscheidungsart=Undefined&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=True&GZ=&VonDatum=25.05.2023&BisDatum=25.05.2023&Norm=&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ImRisSeitForRemotion=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=dsgvo&Dokumentnummer=BVWGT_20230525_W211_2267125_1_00
Die Entscheidung ist vollständig auf Deutschland übertragbar. Denn im maßgeblichen Kern stützt sie sich auf Vorschriften der DSGVO.