Abberufung als DSB wegen einer Interessenkollision
Welche arbeitsrechtlichen Folgen hat es, wenn ein Arbeitgeber die Bestellung eines „Teilzeit-DSB“ widerruft? Ist ein solcher Widerruf möglich, obwohl der DSB schon seit 15 Jahren dienstliche Aufgaben wahrnimmt, die zu einer Interessenkollision führen?
Typischer „Teilzeit-DSB“
Nur relativ wenige „Glückspilze“ sind in Vollzeit als Datenschutzbeauftragter (DSB) tätig. Die meisten DSB nehmen hauptsächlich andere Aufgaben wahr und kämpfen sich mit einem unterschiedlichen Prozentsatz ihrer Arbeitszeit als „Teilzeit-DSB“ durch.
Eine solche Doppelrolle hatte auch der Kläger.
DSB bei einer öffentlichen Stelle
Er ist seit 2002 bei einem EDV-Dienstleister in Sachsen beschäftigt. Bei diesem Dienstleister handelt es sich nicht um ein Privatunternehmen. Vielmehr ist der Dienstleister datenschutzrechtlich als öffentliche Stelle im Sinn des sächsischen Landesrechts anzusehen.
Aufgabenzuwachs dank DSGVO
Zu Beginn seiner Beschäftigung am 1.1.2002 hatte der Kläger noch keine Aufgaben des Datenschutzes wahrzunehmen. Dies änderte sich am 1.3.2004.
Mit Wirkung von diesem Tag wurde der Kläger zum Datenschutzbeauftragten des Dienstleisters ernannt. Der Umfang der hierfür vorgesehenen Arbeitszeit betrug etwa 10 %.
Wegen der Tätigkeit als DSB erhielt der Kläger eine monatliche Stellenzulage in Höhe von 100 € brutto.
Angesichts der Anforderungen durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erhöhte der Arbeitgeber den „Datenschutzanteil“ an der Arbeitszeit des Klägers mit Wirkung vom 1.1.2018 auf etwa 50 %.
Hintergrund hierfür war ein Projekt zur Umsetzung der DSGVO.
Interessenkollision als Überraschung
Irgendwelche Bedenken wegen möglicher Interessenkollisionen mit den sonstigen Aufgaben des Klägers hatten weder er selbst noch sein Arbeitgeber.
Was den Arbeitgeber angeht, änderte sich dies während des ersten Halbjahres 2018. Hintergrund war eine Überprüfung durch den Sächsischen Landesbeauftragten für den Datenschutz. Der Landesbeauftragte ging davon aus, dass sich der Kläger letztlich selbst kontrolliert.
Der EDV-Dienstleister ist für Kommunen des Freistaats Sachsen tätig. Er stellt ihnen EDV-Programme bereit und sorgt auch für deren Wartung.
Daraus ergibt sich nach Auffassung des Landesbeauftragten der Interessenskonflikt, dass der Kläger einerseits Finanzdaten von Bürgern zu verarbeiten hat, andererseits aber als Anwendungsbetreuer im Rahmen der Auftragsverarbeitung durch den EDV-Dienstleister tätig wird.
Wann kann es zu einer Interessenkollision kommen? Lesen Sie dazu den Beitrag Interessenkonflikte beim DSB
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Unterschiedliche Sichtweisen
Der Kläger hält diese Interpretation für verfehlt. Nach seiner Auffassung muss er den Kunden seines Arbeitgebers lediglich die Software erklären und die Software betreuen.
Für Datenverarbeitungsprozesse bei den Kunden des Dienstleisters trägt er – so seine Sichtweise – keine Verantwortung.
Das Gericht lässt diese gegenteiligen Darstellungen merkwürdigerweise so gut wie unkommentiert stehen. Es beschränkt sich insoweit auf die Aussage, die Abbestellung sei „jedenfalls nachzuvollziehen“.
Handlungsempfehlung der Aufsichtsbehörde für den Datenschutz
Ausschlaggebend dafür ist offensichtlich, dass der Landesbeauftragte gegenüber dem Arbeitgeber „Handlungsempfehlungen“ ausgesprochen hat.
Er empfahl dem Arbeitgeber, entweder die Aufgaben des Klägers so anzupassen, dass künftig keine Interessenkollision mehr besteht, oder aber den Kläger als DSB abzuberufen.
Eine ausdrückliche Aufforderung zur Abberufung sprach der Landesbeauftragte dagegen nicht aus.
Entscheidung des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber entschied sich dafür, den Kläger als DSB abzuberufen und ihn künftig während der gesamten Arbeitszeit mit anderen Aufgaben zu beschäftigen.
Dies geschah mit Wirkung vom 31.8.2018.
Arbeitsverhältnis nicht infrage gestellt
Nur gegen diese Abberufung wendet sich der Kläger. Er möchte, dass das Gericht die Unwirksamkeit der Abberufung feststellt.
Das Arbeitsverhältnis an sich besteht weiterhin fort. Darüber gibt es keinen Streit. Vermutlich hat der Kläger aber keinen Anspruch mehr auf die Stellenzulage von 100 € monatlich. Das Urteil sagt zu diesem Punkt nichts.
Abberufung als DSB laut Gericht in Ordnung
Nach Auffassung des Gerichts ist die Abberufung des Klägers als DSB nicht zu beanstanden. Dabei stützt es sich vor allem auf folgende Überlegungen:
- Abzulehnen ist die Auffassung des Arbeitgebers, dass die Bestellung zum DSB mit der „Inkraftsetzung der Datenschutzgrundverordnung“ kraft Gesetzes geendet habe. Eine solche Regelung ist der DSGVO nach Auffassung des Gerichts nicht zu entnehmen. Dass seit 25.5.2018 die DSGVO gilt, wirkt sich auf eine schon vorhandene Bestellung zum DSB also nicht aus.
- Die Abberufung als DSB erfordert keine Teilkündigung des Arbeitsverhältnisses. Wenn die Bestellung zum DSB rechtlich korrekt widerrufen wird, entfällt hinsichtlich dieser Funktion der Beschäftigungsanspruch.
- Ein Arbeitgeber hat das Recht, den Inhalt der Arbeitsleistung näher zu bestimmen (Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Dazu gehört auch das Recht zur Abberufung als DSB, wenn ein Interessenskonflikt mit anderen Aufgaben vorliegt.
- Dass ein solcher Interessenskonflikt objektiv gesehen bereits seit mehr als 15 Jahren besteht, ändert daran nichts. Diese Tatsache kann den Arbeitgeber nicht dazu verpflichten, den Interessenskonflikt auch weiterhin zu tolerieren.
- Die Abberufung führt im konkreten Fall auch nicht dazu, dass der DSB wegen der Wahrnehmung seiner Aufgaben benachteiligt wird (vergleiche Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO). Es besteht ersichtlich keinerlei Zusammenhang damit, wie der Kläger seine Aufgaben als DSB erfüllt hat. Es handelt sich nicht um eine verdeckte Sanktion wegen der Art und Weise, wie er seine Aufgaben wahrgenommen hat. Vielmehr geht es einzig und allein darum, dass eine unzulässige Interessenkollision vorliegt.
- Eine solche Interessenkollision beeinträchtigt die Zuverlässigkeit des DSB. Deshalb stellt es keine Benachteiligung dar, wenn ein DSB wegen einer solchen Interessenkollision abberufen wird.
Rolle der BDSG-Regelungen
Gesondert geht das Gericht auf die Frage ein, ob § 6 Abs. 4 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zu einem anderen Ergebnis führen könnte.
Diese Regelung lautet wie folgt: „Die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten ist nur in entsprechender Anwendung des § 626 BGB zulässig.“
Mit anderen Worten: Eine Abberufung ist nur aus Gründen zulässig, die die fristlose Kündigung eines Dienstverhältnisses rechtfertigen könnten. Es muss sich also um ausgesprochen schwerwiegende Gründe handeln.
Nach Auffassung des Gerichts spielt das gesamte BDSG im vorliegenden Fall jedoch von vornherein keine Rolle. Der Arbeitgeber ist als öffentliche Stelle im Sinn des Sächsischen Datenschutzgesetzes anzusehen. Deshalb sei das gesamte BDSG für ihn von vornherein nicht anzuwenden.
Denn das BDSG gilt für öffentliche Stellen eines Bundeslands nur, soweit der Datenschutz nicht durch Landesrecht geregelt ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB). Für Sachsen gibt es jedoch ein eigenes Sächsisches Datenschutzgesetz. Es enthält allerdings keine Bestimmung, die § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG entspricht. Es kennt also keinen besonderen Schutz eines DSB gegen Abberufung.
Zulassung der Revision zum BAG
Völlig sicher scheint sich das Gericht bei seiner Argumentation aber letztlich nicht. Es lässt nämlich ausdrücklich die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu.
Seine Begründung: Es könnte sein, dass der besondere Abberufungsschutz des § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG gar nicht als eine Regelung des Datenschutzes, sondern als eine Regelung des Arbeitsrechts anzusehen ist.
Für die Regelung des Arbeitsrechts wiederum sind aber nicht die Landesgesetzgeber, sondern hierfür ist der Bundesgesetzgeber zuständig.
Arbeitsrecht oder Datenschutzrecht?
Sollte sich diese Interpretation durchsetzen, käme es auf das Verhältnis zwischen BDSG und Landes-Datenschutzgesetz im vorliegenden Fall überhaupt nicht an.
Vielmehr müsste dann geprüft werden, ob ein wichtiger Grund für die Abberufung vorliegt. Er müsste so schwer wiegen, dass er im Prinzip auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde.
Das wiederum dürfte hier kaum der Fall sein. Denn es ist Sache des Arbeitgebers und nicht des DSB, Interessenkollisionen zwischen verschiedenen Aufgabenfeldern zu vermeiden.
Und dann kann es wohl kaum ein wichtiger Grund für eine Abberufung sein, wenn der Arbeitgeber insoweit 15 Jahre lang schlicht „gepennt“ hat.
Es bleibt also spannend. Man kann nur hoffen, dass es zu einer Revisionsentscheidung durch das Bundesarbeitsgericht kommt. Ob dies der Fall sein wird, ist im Augenblick noch offen.
Fragwürdige Folgen für die Praxis
Folgt man der Entscheidung des Gerichts, eröffnen sich für Verantwortliche neue Möglichkeiten zur Abberufung eines „Teilzeit-DSB“.
Dem Verantwortlichen muss es lediglich gelingen, einen Interessenskonflikt zwischen den unterschiedlichen Aufgabenfeldern des DSB festzustellen (kritisch gesagt: zu konstruieren).
Schon kann er ihn durch eine einfache einseitige Mitteilung als DSB abberufen und ihn stattdessen künftig vollständig mit anderen Aufgaben beschäftigen, die sein Arbeitsvertrag zulässt.
Sieht man die Tätigkeitsberichte der Aufsichtsbehörden durch, so findet sich für nahezu jede Funktion in einem Unternehmen irgendwo die Auffassung, dass sie mit der Tätigkeit als DSB nicht zu vereinbaren sein soll. Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass „Teilzeit-DSB“ nahezu beliebig abrufbar sind. |
Das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 8.10.2019 – 7 Sa 128/19 ist bisher im Netz noch nicht frei verfügbar.