60.000 Euro Schadensersatz wegen Pressefotos
Über den Skiunfall des Formel-1-Fahrers Michael Schumacher Ende 2013 wurde weltweit berichtet. So auch in diversen Presseartikeln der Beklagten. Die Artikel verwendeten unter anderem Fotos der Ehefrau auf dem Weg zum Krankenhaus. Gegen diese Veröffentlichungen ging die Ehefrau per Abmahnung und einstweiliger Verfügung vor. Darüber hinaus verlangte sie eine Geldentschädigung wegen der (fortgesetzten) Berichterstattung. Wann und in welcher Höhe ist eine Entschädigung bei Verletzung des Rechts am eigenen Bild durch Presseartikel gerechtfertigt?
Dieser Frage musste das Landgericht Hamburg in seinem Urteil vom 25.09.2015 nachgehen (LG Hamburg, Az. 324 O 161/15).
Die Beklagte verlegte unter anderem drei Zeitschriften, die seit Beginn 2014 umfangreich über den Skiunfall des Ehemanns der Klägerin berichtet hatten. Der Ehemann wurde zu dieser Zeit intensivmedizinisch in einem Krankenhaus betreut. Seit dem Unfall war er nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen.
Auch am 3. Januar 2014, dem Geburtstag des verunglückten Michael Schumacher, besuchte die Klägerin ihren Mann in der Klinik. Dabei wurden von der Klägerin diverse Aufnahmen angefertigt, obwohl die Klinikleitung bereits einen Tag zuvor die Journalisten gebeten hatte, das Klinikgelände zu verlassen.
Ehefrau wehrt sich gegen Veröffentlichungen
Gegen die aus Sicht der Ehefrau unzulässigen insgesamt neun Veröffentlichungen wandte sich die Klägerin zunächst mit diversen Abmahnungen, zu denen sie auch einstweilige Verfügungen erwirkte. Trotz der zwischenzeitlich ergangenen einstweiligen Verfügungen der Klägerin setzte die Beklagte ihre Berichterstattung bis in den März 2014 fort.
Eklatante Verletzung des Persönlichkeitsrechts
Aus Sicht der Ehefrau handelte es sich bei der (fortgesetzten) Berichterstattung um eine eklatante Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts. Diese Verletzung sei regelmäßig und mit „erschreckender Gleichgültigkeit“ erfolgt. Dabei stellten sämtliche Bildberichterstattungen jeweils für sich einen Eingriff in das Recht am eigenen Bild dar. Denn sie griffen in den intimen Kernbestand ihrer Privatsphäre ein.
Ausnutzen einer Ausnahmesituation
Bei der Berichterstattung sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin in einer absoluten Ausnahmesituation des Schmerzes und der Trauer sowie in einem Zustand extremer psychischer und körperlicher Anspannung aufgenommen worden sei. Das habe die Beklagte rücksichtslos ausgenutzt. Denn die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, sich den Fotografen zu entziehen.
Auf den Aufnahmen werde sie nicht nur in einem höchst privaten Moment gezeigt, in dem sie eine kaum vorstellbare schwere Last zu tragen gehabt hätte. Erschwerend käme hinzu, dass die Aufnahmen mitunter großformatig als Aufmacher auf Seite 1 der betreffenden Zeitschriften platziert worden seien.
Ehefrau weder herausragend bekannt noch prominent
Bei der Bildberichterstattung sei zu berücksichtigen, dass die Ehefrau weder herausragend bekannt noch prominent sei. Denn sie sei gerade keine Person, die aus eigenem Antrieb die mediale Präsenz suche. Daran ändere auch nichts, dass sie es in der Disziplin des Westernreitens zu beachtlichen Erfolgen gebracht habe.
Vorwurf: Zwangskommerzialisierung und Profitgier
Aus Sicht der Ehefrau ging es der Beklagten in ihrer Bildberichterstattung ausschließlich darum, leichteste Unterhaltung zu präsentieren. Daher habe die Beklagte den schweren Schicksalsschlag der Klägerin ihren wirtschaftlichen Interessen untergeordnet und ohne Rücksicht einer Zwangskommerzialisierung zugeführt.
Der Beklagten sei es bei der Berichterstattung ausschließlich um monetäre Belange, getrieben von Profitgier gegangen. Dabei sei kein ernstzunehmendes redaktionelles Anliegen zu erkennen gewesen.
Vorsätzliches Handeln der Beklagten
Bei den Veröffentlichungen habe die Beklagte vorsätzlich gehandelt, da sie die Veröffentlichungen auch dann noch fortsetzte, als ihr die Rechtslage in Abmahnungen dargelegt wurde bzw. die einstweiligen Verfügungen zugestellt wurden.
Zeitgeschichtliches Ereignis und legitimes Informationsbedürfnis?
Aus Sicht der Beklagten handelte es sich bei dem unerwarteten Skiunfall um ein zeitgeschichtliches Ereignis. Dies habe ein weltweites Medieninteresse ausgelöst, was die die Ehefrau zu diesem Zeitpunkt auch gekannt habe.
Die Beklagte selbst habe bereits einen Tag nach dem Unfall die Weltöffentlichkeit durch ein Ärzteteam in einer groß angelegten Pressekonferenz über den Zustand ihres Ehemanns informieren lassen. Dabei ließe sich dieses zeitgeschichtliche Ereignis gerade nicht nur auf den Unfall selbst reduzieren. Vielmehr gehöre auch der Umgang der Ehefrau mit diesem Schicksalsschlag dazu.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass das Thema „Koma-Patienten“ ein für die Öffentlichkeit bedeutsames Thema sei. Außerdem habe die Klägerin bereits in der Vergangenheit ähnliche Situationen erlebt. So habe sich der schlimmste Unfall im Juli 1999 ereignet, über den auch entsprechend berichtet wurde.
Die gerichtliche Entscheidung: schuldhafte Persönlichkeitsrechtsverletzung
Im Ergebnis qualifiziert das Landgericht Hamburg die diversen Bildberichterstattungen nicht nur als schwere, sondern auch als schuldhafte Persönlichkeitsrechtsverletzung, die aufgrund der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs eine Geldentschädigung in Höhe von 60.000 Euro rechtfertigt.
Öffentliches Informationsinteresse vs. Interessen des Abgebildeten
Zwar erkennt das Gericht an, dass ein ganz erhebliches Interesse der Öffentlichkeit daran bestand zu erfahren, wie die Ehefrau mit einer solchen Ausnahmesituation umgeht und zurechtkommt. Allerdings sei die entsprechende Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 Kunsturhebergesetz (KUG) – derzufolge Bildnisse ausnahmsweise auch ohne Einwilligung der abgebildeten Person verbreitet werden dürften, soweit es sich um den Bereich der Zeitgeschichte handelt – stets vor dem Hintergrund der berechtigten Interessen des Abgebildeten zu sehen (§ 23 Abs. 2 KUG).
Kein schrankenloses öffentliches Informationsbedürfnis
Bei der Abwägung sei zunächst zu berücksichtigen, dass der Begriff des Zeitgeschehens nicht zu eng verstanden werden dürfe. So umfasse das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse; es werde also gerade durch das Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Das Informationsbedürfnis bestehe allerdings nicht schrankenlos, sondern werde durch die persönliche Sphäre des Abgebildeten und durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.
Sachliche vs. profane Berichterstattung
Für die Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen sei daher von maßgeblicher Bedeutung, ob die Presse im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtere oder ob sie lediglich die Neugier der Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigt.
Dabei sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) insbesondere zu berücksichtigen, dass die §§ 22, 23 KUG ein Regel-Ausnahme-Prinzip begründeten, demzufolge dem Persönlichkeitsschutz bezüglich Bildnisveröffentlichungen der Vorrang gebühre, wenn eine Berichterstattung bloße Belanglosigkeiten über eine prominente Person zum Gegenstand habe.
Zeitgeschichtliches Ereignis kann dahinstehen
Nach Einschätzung der Hamburger Richter kann die Frage, ob es sich bei dem Skiunfall um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt, im Ergebnis dahinstehen. Denn in jedem Fall überwiegen bei einer Abwägung die berechtigten Interessen der Klägerin nach § 23 Abs. 2 KUG das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit.
Kern der Privatsphäre betroffen
Durch die Bildberichterstattung sei die Klägerin im Kern ihrer Privatsphäre betroffen. Denn sie werde in einer Situation gezeigt, in der sie die Möglichkeit haben müsste, mit ihrem Schmerz, ihrer Verzweiflung und ihrer Unsicherheit umzugehen und sich mit der traumatisierenden Situation, die das Schicksal der gesamten Familie ändert, auseinanderzusetzen.
Trauer nur abseits der Öffentlichkeit möglich
Dabei liege auf der Hand, dass die Auseinandersetzung mit einer extremen Gefühlslage nur unbeobachtet und abseits der Öffentlichkeit erfolgen könne. Dessen ungeachtet werde dem Leser durch die Berichterstattung aber gerade die Traumatisierung der Klägerin vor Augen geführt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich nicht um das Unfallopfer selbst, sondern um die nächste Angehörige handelte.
Bildberichterstattung als Voyeurismus
Nach Einschätzung des LG Hamburg ist die Intensität des Eingriffs außerordentlich erheblich, gerade weil unterstellt werden dürfe, dass eine öffentliche Erörterung der Gemütslage der Ehefrau keine ernsthafte und sachbezogene Erörterung von öffentlichem Interesse sei. Vielmehr konzentriere sich die öffentliche Berichterstattung allein auf das Schicksal der Klägerin. Damit disqualifiziere sich die Berichterstattung als reiner Voyeurismus.
Fortgesetzte Berichterstattung wiegt schwer
Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte über einen Zeitraum von drei Monaten in insgesamt neun Heften, teilweise auf der Titelseite, teilweise großformatig im Innenteil, wieder und wieder die Bildnisse veröffentlicht hatte, obwohl sie wegen der Abmahnungen wusste, dass die Klägerin mit der Veröffentlichung nicht einverstanden ist. Spätestens mit der Zustellung der ersten einstweiligen Verfügung wusste die Beklagte auch, dass Gerichte die Rechtsauffassung der Klägerin teilen. Gleichwohl erfolgten weitere zwei Veröffentlichungen. Daher sei angesichts der dargestellten Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die gezeigte Hartnäckigkeit der Beklagten im Ergebnis eine Geldentschädigung in Höhe von 60.000 Euro angemessen und erforderlich.
Fazit: Trauer und Verzweiflung sind umfassend geschützt
Die Entscheidung des LG Hamburg unterstreicht den umfassenden Schutz der individuellen Trauer und Verzweiflung anlässlich eines Schicksalsschlags. Dieser Schutz gilt gerade auch für prominente Persönlichkeiten, die es sich nicht gefallen lassen müssen, dem öffentlichen Informationsbedürfnis in unsachlicher Weise ausgeliefert zu werden.
Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte in besonders hartnäckiger Weise und offensichtlich aus rein monetären Gründen fortgesetzt versucht hat, aus dem Schicksalsschlag Profit zu ziehen. So erklärt sich im Ergebnis auch die hohe Geldentschädigung in Höhe von 60.000 Euro.