Pokémon Go: Geht’s noch?
Ungeheuerliches spielt sich derzeit in Deutschland ab. Seit Wochen begeben sich von Husum bis Hinterzarten Menschen voller Begeisterung auf Monsterjagd. Was für die einen offensichtlich ein Riesenspaß ist, strapaziert die Nerven der anderen. Wie gehen Gemeindechefs mit dem Massenphänomen um?
Die Wiederauferstehung eines vor 20 Jahren überaus beliebten Videospiels als Smartphone-App spaltet das Land. Die einen können nicht genug bekommen von der Jagd auf die possierlichen Monster, bei der die echte mit der virtuellen Welt auf faszinierende Weise auf dem Handybildschirm verschmilzt. Die anderen winken entnervt ab, sobald nur der Name fällt: Pokémon Go. Mehr als sieben Millionen Bundesbürger haben sich nach Angaben des Marktforschungsinstituts YouGov das digitale Spiel bereits heruntergeladen – das entspricht etwa elf Prozent der Bevölkerung; die allermeisten (7,1 Mio.) nutzten es zum Zeitpunkt der Umfrage Mitte August auch aktiv.
Attraktion und Ärgernis
Nicht wenigen Bürgermeistern bereitet dieser Hype verständlicherweise Kopfzerbrechen. Wie damit umgehen, dass plötzlich Scharen von Menschen Tag und Nacht die Fußgängerzone oder den Schlosspark belagern? Kaum ein Lokalpolitiker möchte den Spielverderber geben. Fakt ist aber auch, dass das Massenvergnügen eine Menge Konfliktstoff birgt. So hat der Gemeindechef von Steinau an der Straße, Malte Jörg Uffeln, kürzlich die nächtliche Monsterjagd auf dem Marktplatz untersagt. Um den Schlaf gebrachte Anwohner hatten sich bitterlich über den Lärmpegel beklagt. Keine unumstrittene Entscheidung, denn das Städtchen leidet wie viele ländliche Kommunen unter einer schrumpfenden Bevölkerung. Ausgerechnet der jungen Generation den Spaß zu verbieten, sei kontraproduktiv, so die Kritiker.
Verwaltung auf Gratwanderung
Auch für Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel ist der Umgang mit Pokémon Go ein Balanceakt. Auf der Prachtmeile Königsallee tummeln sich täglich mehrere Hundert Spieler. Zunächst hatte die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt sich offen und kooperativ gezeigt, eigens eine „Kö“-Brücke für den Autoverkehr gesperrt und sogar mobile Toilettenhäuschen für die Fans aufstellen lassen. Schon bald sorgte das Spektakel jedoch für mehr Unmut als Freude, zumindest bei Anrainern und Händlern der berühmten und umsatzstarken Shoppingmeile. Die Straßensperrung wurde daher mittlerweile aufgehoben. Düsseldorf sei keine Spaßbremse. Aber eine Großstadt lebe auch vom Prinzip der gegenseitigen Akzeptanz, ließ Geisel die lokalen Medien wissen.
Nur ein Sommermärchen?
Inzwischen versuchen erste Gemeinden, die mobile Monster-Jagd in geordnete Bahnen zu lenken. Örtliche Jugendzentren und Sportvereine laden zu Pokémon-Events. Dahinter dürfte eine gemeinsame Idee stecken: bei den überwiegend jungen Anhängern das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Spielspaß und Rücksichtnahme auf Mitbürger einander nicht ausschließen müssen. Dass manch stark frequentierte PokéStops und Arenen sich ausgerechnet an sensiblen Orten wie Friedhöfen, Gedenkstätten oder Verkehrsknotenpunkten befinden, müssen Gemeinden übrigens nicht dulden. Auf einer Service-Seite des Spieleherstellers Niantic können sie die Entfernung der Hotspots beantragen. Etliche Kommunen allerdings werden das Thema vermutlich schlicht aussitzen. Download- und Nutzerzahlen gehen allmählich zurück, berichten Marktbeobachter. Spätestens wenn der Herbst mit Regen und Sturm übers Land fegt, ziehe es die letzten Pokémon-Go-Spieler zurück in die eigenen vier Wände, so die mehr oder weniger heimliche Hoffnung vieler Bürgermeister.