Macht und Ohnmacht der Helfer
Die Flüchtlingskrise hat Deutschland in einen Ausnahmezustand versetzt. Kommunen arbeiten am Limit, um Unterbringung und Versorgung der Ankommenden aufrechtzuerhalten. Ohne die zahllosen ehrenamtlichen Helfer wäre die Situation nicht zu bewältigen. Sie erwarten Anerkennung – und einen Dialog auf Augenhöhe.
Eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft rollt durch Deutschland. Überall im Land sind Tag und Nacht Menschen auf den Beinen, um den erschöpften Ankömmlingen zur Seite zu stehen. An den großen Bahnhöfen, die zu Drehkreuzen der Flüchtlingsströme geworden sind, genauso wie in kleinen Gemeinden, wo die Menschen zusammenrücken, um den Geflüchteten Platz zu machen, sie mit dem Notwendigsten zu versorgen und ihnen bei der Orientierung in der Fremde behilflich zu sein.
Solidarisch und professionell
Landauf, landab kümmern Freiwillige sich um die Gestrandeten, organisieren in Windeseile Sach- und Kleiderspenden oder beschaffen Proviant und Medikamente für Flüchtlinge auf der Durchreise. In einer vorübergehend zum Notquartier umfunktionierten Messehalle in Hamburg ist dank der Initiative freiwilliger Helfer binnen kürzester Zeit eine Kleiderkammer von gigantischem Ausmaß entstanden, die heute Flüchtlingsunterkünfte im gesamten Stadtgebiet versorgt. Und auch andernorts in Deutschland nimmt die Hilfe der Ehrenamtlichen semiprofessionelle Züge an.
Aufkommender Unmut
Tausende Bürger wirken inzwischen daran mit, das System am Laufen zu halten und manch Verwaltung vor dem Kollaps zu bewahren. Doch mit dem enormen Engagement der Freiwilligen kommen zugleich auch Zweifel und Kritik auf. Immer mehr Helfer wollen wissen: Wo bleibt die Politik? Was tut die Verwaltung, um uns unter die Arme zu greifen? Müsste sich nicht der Staat mehr kümmern?
Auch wenn Behörden und Bürgermeister wissen, was die Kommunen derzeit im Hintergrund stemmen, sind sie gut beraten, solche Stimmungen ernst zu nehmen und die Ehrenamtlichen mit ihren Fragen nicht allein zu lassen. Viele Bürger in Deutschland engagieren sich gerne und aus voller Überzeugung für Flüchtlinge, weil sie ihr Tun als einen Akt der Menschlichkeit begreifen. Das bringt viel Gutes hervor, doch oft genug auch Frustration und Unverständnis bei den Unterstützern – etwa dann, wenn spontane Ideen an bürokratischen Hürden zu scheitern drohen.
Aufgabenteilung klären
Um die überwältigende Solidarität großer Teile der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, müssen Verwaltung und zivile Helfer rasch darüber ins Gespräch kommen, in welchen Strukturen die Flüchtlingsunterstützung auf lange Sicht vonstattengehen soll. Erfahrungsgemäß ist es häufig die Koordination, bei der sich Ehrenamtliche nach anfänglicher Euphorie aufreiben. Beständig weitere Freiwillige zu integrieren, kostet Zeit und Energie, die an anderer Stelle fehlen. Bleiben Ehrenamtliche auf sich selbst gestellt, führt das oft zu Überforderung. Staatliche und karitative Träger sollten daher möglichst frühzeitig gemeinsam mit den Helferkreisen organisatorische Schnittstellen und Aufgabenteilungen klären.
Austausch suchen
Wer sich in seiner Freizeit für Geflüchtete engagiert, tut das in erster Linie für die betroffenen Menschen. Und auch, um einen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten. Ehrenamtliche verdienen daher die Wertschätzung der Politik. Die darf sich allerdings nicht in warmen Worten und medienwirksamen Fototerminen erschöpfen. Bürgermeister sollten vielmehr ein offenes Ohr für Anregungen und die Nöte der Helfenden haben. Für diesen regelmäßigen Austausch müssen in den Gemeinden geeignete Formate geschaffen werden. Auch um im Gegenzug zu erklären, warum der Staat in Sachen Flüchtlingshilfe oft nicht so schnell und unkompliziert handeln kann wie der einzelne Bürger.
Zweifache Herausforderung
Verwaltungschefs und Behördenvertreter sind in diesen Zeiten also doppelt gefordert. Ihnen obliegt nicht nur die hoheitliche Aufgabe, Flüchtlinge in den Kommunen menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Sie müssen zugleich lernen, die Hilfsbereitschaft einer selbstbewusst auftretenden Bürgerschaft sinnvoll zu kanalisieren. Keine leichte Aufgabe – aber doch eine, in die zu investieren sich lohnt. Denn so viel steht fest: Nur im Dialog auf Augenhöhe zwischen staatlichen Stellen und Zivilgesellschaft wird sich die „Jahrhundertaufgabe“ (FAZ) der Flüchtlingsintegration bewerkstelligen lassen.
Die Autorin ist Mitbegründerin einer Flüchtlingsinitiative in Hamburg und engagiert sich neben ihrem Beruf ehrenamtlich als Deutschlehrerin in einer Asylbewerberunterkunft.