Die inszenierte Rede
Das gesprochene Wort ist und bleibt ein wichtiges Macht- und Führungsinstrument. Erfahrene Spitzenmanager setzen heute auf sorgfältig einstudierte Redeauftritte. Die besten Wirtschaftslenker sprechen frei und ohne Manuskript. Mit einer professionellen Rhetorik können auch Gemeindepolitiker punkten.
Wie ist es um die Redekunst der Vorstandschefs deutscher DAX-30-Unternehmen bestellt? Beherrschen sie nur Zahlen und Bilanzen? Oder sind sie auch in der Lage, komplexe Inhalte verständlich und gewinnend zu kommunizieren? Bereits zum vierten Mal hat der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) die rednerischen Leistungen der Topmanager unter die Lupe genommen. Bewertungsgrundlage waren die Hauptversammlungsreden der CEOs. Der diesjährige Sieger ist ein alter Bekannter: Erneut wurde Telekom-Boss Timotheus Höttges zum besten Redner der Saison gekürt. Bereits im Vorjahr hatten die Analysten des Redenschreiberverbands ihm diesen Titel für seinen überzeugenden Auftritt und seine klare Sprache zuerkannt. Sie liegen damit auf einer Linie mit dem Handelsblatt und der Universität Hohenheim, die Höttges in ihrem alljährlich gemeinsam erstellten Rhetorik-Ranking ebenfalls auf Rang eins führen.
Infotainment statt Vortrag
Zumindest bei den Routiniers unter den Wirtschaftskapitänen hat das Pult ausgedient. Die Vereinigung der professionellen Redenschreiber lobt, dass die drei besten Redner überwiegend frei zu den versammelten Aktionären gesprochen hätten. „Das wirkt selbstbewusst, kompetent und offen“, so Sabine Theadora Ruh, Leiterin des VRdS-Analystenteams. Auffällig sei auch, dass vermehrt auflockernde Elemente wie Videos oder Produktdarstellungen Eingang finden in die Redeinszenierung, stellt der Verband fest. Das mache die Hauptversammlungsreden lebendiger und unterhaltsamer. Hinter dem scheinbar so leichtfüßigen Auftritt der Manager steckt allerdings ein gutes Stück Arbeit. Schließlich will nicht nur der Wortlaut der Rede einstudiert werden. Auch „Choreografie“ und Interaktion auf der Bühne müssen sitzen. Und zwar so, dass der Auftritt bei aller Vorbereitung immer noch authentisch und nicht zu gekünstelt wirkt.
Zum Freisprecher werden
Als Kommunalpolitiker können Sie naheliegenderweise nicht so viel Aufwand in Ihren Redeauftritt investieren wie der Vorstandschef eines DAX-Unternehmens. Doch es muss auch nicht gleich die große Bühnenshow sein, mit der Sie Ihr Publikum für sich einnehmen. Viel erreichen werden Sie allein schon dadurch, dass Sie mehr freie Rede wagen. Das bedeutet nicht den Verzicht auf ein Manuskript; es ist wichtig, um Gedanken, Argumente und Botschaften Ihrer Ansprache zu strukturieren. Üben Sie sich jedoch darin, sich in der Redesituation so weit wie möglich von den Notizen zu lösen und Ihr Publikum direkt anzusprechen. Auf diese Weise bauen Sie eine viel intensivere Beziehung zu Ihren Zuhörern auf, und man wird Ihnen noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Wer krampfhaft an seinem Textblatt klebt, wirkt dagegen deutlich weniger souverän.
Auf Tuchfühlung gehen
Sie sind sicher im Stoff und nicht nur im Geist bewegungsfreudig? Dann dürfen Sie es wie die rhetorische Elite der Wirtschaft machen und sich gern auch einmal vom Rednerpult befreien. Voraussetzung ist, dass der äußere Rahmen und die technische Ausstattung der Veranstaltung das erlauben. Bespielen Sie das ganze Podium, treten Sie an die Rampe vor, um sich den Menschen mitzuteilen – vor allem bei den Passagen Ihrer Rede, die Ihnen besonders wichtig sind und deren Wirkung Sie unterstreichen möchten. Ihr Publikum wird es mit Wohlwollen und Applaus quittieren, wenn Sie sich als Redner im wahrsten Sinn des Wortes zugänglich zeigen.