Zukunft der Arbeit = Zukunft des Betriebsrats
Kein Zweifel, die Digitalisierung und die mit ihr verbundenen Begleiterscheinungen bringen enorme Veränderungen für die Arbeitnehmer und damit auch für die Betriebsräte. Die Bertelsmann-Stiftung hat drei Szenarien entwickelt, wie es in den Betrieben weitergehen könnte. Die spannende Frage: Welche Rolle wird der Betriebsrat jeweils spielen und welche Herausforderungen müssen bewältigt werden?
Geschäftsführung Betriebsrat. Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, lautet ein scherzhaftes Sprichwort mit einem wahren Kern: Die Betriebsräte werden vor die Aussicht gestellt, dass sich die Arbeitswelt immer weiter verändert. Doch wie wird das geschehen? Die Bertelsmann-Stiftung hat sich in ihrer Studie „Arbeit 2050“ vorgenommen, mögliche Entwicklungslinien zu prognostizieren. Die Forscher behaupten dabei nicht zu wissen, was genau passieren wird. Aber sie haben drei denkbare Szenarien entwickelt, die aufzeigen, was auf die Belegschaften und Betriebsräte zukommen kann.
Szenario 1: Betriebsrat als Bewahrer
In einem ersten Szenario hat sich die Welt in sozialer, technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht stark gewandelt. Die Betriebe und mit ihnen die Arbeitnehmer und Betriebsräte müssen sich im Jahr 2050 einer enorm komplexen Arbeitswelt stellen. Der Wegfall vieler Arbeitsplätze in den klassischen industriellen Bereichen konnte zum großen Teil durch neue Jobs auf den Gebieten Künstliche Intelligenz (KI), synthetische Biologie und Dienste rund um die Roboterwelt (Training, Hilfsdienste) aufgefangen werden. Weltweit gibt es sechs Milliarden Menschen im erwerbsfähigen Alter. Zwei Milliarden davon sind als Angestellte, zwei weitere als Selbstständige aktiv. Jeweils eine Milliarde ist in der Schattenwirtschaft tätig bzw. ist arbeitslos oder in Weiterbildung. Der hohe Anteil der Selbstständigen speist sich nur teilweise aus Freiwilligen: Viele Betriebe arbeiten aus Kosten- und Flexibilitätsgründen mit Freelancern, aber auch, weil die örtliche Entgrenzung von Arbeit die klassischen Arbeitsplätze vor Ort überflüssig machte. Seniorenarbeit per Home-Office ist weit verbreitet. Die Akzeptanz dieser Entwicklung wird durch verschiedene Formen von bedingungslosem Grundeinkommen gesichert. Wer dieses Szenario für wahrscheinlich hält, wird sich folgenden Entwicklungen ausgesetzt sehen:
- Betriebsräte müssen den „Wandel by Durchwursteln“ beherrschen: Es gibt keinen großen Plan, an dem man sich orientieren könnte, sondern nur unzählige kleine Veränderungen, die im Sinne der Arbeitnehmerinteressen bewältigt werden müssen.
- Das Hauptaugenmerk liegt auf dem „Mitnehmen“: Die Arbeitnehmer müssen in die Lage versetzt werden, die gewaltigen Veränderungen, die ihnen die Technologie an den Arbeitsplätzen aufzwingt, auch zu bewältigen. Deshalb ist das Recht auf Weiterbildung und auf Zugang zu Veränderungschancen ein zentrales Aktionsfeld der Betriebsräte.
- Der Betriebsrat bleibt Bewahrer der Arbeitnehmerinteressen: Die Komplexität der Veränderungen macht einen Betriebsrat notwendiger denn je. Das Vertrauen der Belegschaften behält er vor allem durch das Verschaffen von Möglichkeiten, sich den Arbeitsplatz durch Veränderungsbereitschaft zu erhalten.
Internettipp: Arbeit der Zukunft
Die Studie „Work 2050: Three Scenarios“ gibt es kostenlos zum Download auf der Website der Bertelsmann- Stiftung unter https://tinyurl.com/bertelsmann-arbeit
Szenario 2: Betriebsrat muss sich entscheiden
Im zweiten Szenario zeichnen die Autoren der Bertelsmann-Studie ein düsteres Bild. Sie nennen es „Zukunft der Verzweiflung“: Im Jahr 2050 haben neue Technologien zu einem enormen Abbau von Arbeitsplätzen geführt, ohne dass dafür Ersatz geschaffen worden wäre. Den Konfliktparteien gelang es nicht, die dadurch entstehenden Verwerfungen durch Weiterbildung und andere Einkommensverteilungen zu verhindern. Auch hier gibt es weltweit rund sechs Milliarden erwerbsfähige Menschen, doch nur jeweils eine davon ist angestellt bzw. selbstständig. Zwei Milliarden sind in der Schattenwirtschaft tätig, eine Milliarde ist arbeitslos und eine in Weiterbildung. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch. Die zunehmende Migration führt in der Gesellschaft zu erheblichen Konflikten. Der soziale Sprengstoff erreicht auch die Betriebstore: Nicht nur zwischen Betriebsräten und Geschäftsleitungen gibt es heftige Auseinandersetzungen. Auch innerhalb der Belegschaften existieren viele unterschiedliche Interessen. Für Betriebsräte ergeben sich große Herausforderungen:
- Einigkeit macht stark: Innerhalb der Belegschaft gilt es, integrativ zu wirken und für möglichst viele Interessengruppen ein Ohr zu haben. Damit arbeiten Betriebsräte der internen Spaltung in Einzelgruppen entgegen.
- Spaltung verhindern: Vor allem der Betriebsrat selbst muss verhindern, in Interessengruppen zu zerfallen und machtlos zu werden. Den Vorsitzenden obliegt es hier immer wieder, eine für alle tragfähige Arbeitsbasis zu finden.
- Wissen für wen: Betriebsräte müssen angesichts der zahlreichen Anforderungen und Interessen entscheiden, welche Zielgruppen (z. B. Facharbeiter oder im Gegensatz dazu geringer qualifizierte Arbeitnehmer) sie in erster Linie vertreten möchten. Alle zu vertreten wird auch bei einem integrativen Ansatz nicht gelingen.
Szenario 3: Betriebsräte kämpfen um Sichtbarkeit
Menschen sind durch Maschinen und ein bedingungsloses Grundeinkommen davon befreit, ihren Lebensunterhalt mit Arbeitseinkommen finanzieren zu müssen. Digitale Systeme erwirtschaften ausreichend Volkseinkommen, so dass sich jeder eine sinnstiftende Arbeit aussuchen kann, die zu ihm passt. Drei der sechs Milliarden erwerbsfähiger Menschen sind selbstständig. Eine Milliarde ist angestellt, eine weitere in der Schattenwirtschaft tätig. Eine Milliarde schließlich befindet sich im Übergang zur Selbstständigkeit. Insgesamt wurde durch neue Technologien mehr Arbeit geschaffen als vernichtet. So gut es sich liest: Auch dieses Schlaraffenland-Szenario birgt für Betriebsräte zahlreiche Problemstellungen:
- Wozu braucht es noch einen Betriebsrat? Wenn es den meisten gut geht, stellt sich die Legitimationsfrage. Die Antwort findet sich dort, wo die Verlierer dieser Entwicklung sind – und solche Verlierer gibt es immer.
- Was sind die Rahmenbedingungen? Es ist kaum anzunehmen, dass solche tiefgreifenden Veränderungen stattfinden, ohne dass sich das Betriebsverfassungsgesetz und die Rechtsprechung dazu veränderten.
- Betriebsräte müssen als Betriebspartei erkennbar bleiben. Denn die Gefahr besteht, dass sie sich in eine Form des Co-Managements auflösen oder nur noch eine Interessenvertretung unter vielen sein werden.