Wahl der Gleichstellungsbeauftragten durch Frauen ist verfassungsgemäß
Die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf weibliche Beschäftigte bei der Wahl der Gleichstellungsbeauftragten verstößt jedenfalls derzeit nicht gegen Verfassungsrecht, weil sie durch das Gleichberechtigungsgebot legitimiert ist. Das entschied das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern am 10. Oktober 2017.
In einer Pressemitteilung vom 10.10.2017 informiert das Landesverfassungsgericht in Greifswald die Öffentlichkeit darüber, dass es die Verfassungsbeschwerde eines Landesbeamten gegen § 18 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Gleichstellungsgesetz – GlG M-V) zurückgewiesen hat.
Nach der angegriffenen Vorschrift wird die Gleichstellungsbeauftragte von den weiblichen Beschäftigten der betreffenden Dienststelle aus ihrem Kreis gewählt. Der Beschwerdeführer hat im Wesentlichen geltend gemacht, dadurch gehindert zu sein, diese zu wählen und für das Amt der Gleichstellungsbeauftragten zu kandidieren. Dies verstoße gegen das Verbot aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 der Landesverfassung (LV), aus Gründen des Geschlechts benachteiligt zu werden. Anders als beim vorangegangenen, allein auf Frauenförderung ausgerichteten Gleichstellungsgesetz seien von den Zielen des angegriffenen Gesetzes und den Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten beide Geschlechter erfasst, jedoch ohne die männlichen Beschäftigten bei der Wahl nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GlG M-V einzubeziehen.
Kein Verfassungsverstoß wegen des Gleichberechtigungsgebots
Nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts verstößt die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf weibliche Beschäftigte jedenfalls derzeit nicht gegen Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 LV, weil sie durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG legitimiert ist. Sie diene ungeachtet der weitestgehend geschlechtsneutralen Formulierung des Gesetzes der Beseitigung strukturell bedingter Benachteiligung von Frauen, die der Gesetzgeber nach wie vor bezogen auf den Bereich der Führungspositionen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren und vertretbaren Einschätzung annehme. Auch wahre sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ungeachtet dessen treffe den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, in deren Konsequenz er die angegriffene Regelung gegebenenfalls später ändern müsse.
Staat hat Ausgestaltungsbefugnis
Da es im Hinblick auf § 18 Abs. 1 Satz 1 GlG M-V nicht um eine Ungleichbehandlung aufgrund von biologischen Unterschieden gehe, lasse sie sich nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren. Insoweit komme das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG zum Tragen. Dieses berechtige den Gesetzgeber, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen. Die Art und Weise, wie der Staat seine Verpflichtung erfülle, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, obliege der gesetzgeberischen Ausgestaltungsbefugnis. Bei der Überprüfung der angegriffenen Vorschrift sei vom Landesverfassungsgericht nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten habe. Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift sei danach allein, dass der Gesetzgeber im Spannungsfeld von Frauenförderung und wahlrechtlicher Benachteiligung von Männern einen schonenden Ausgleich hergestellt habe, sich die Beschränkung des Wahlrechts mithin als geeignet, erforderlich und angemessen erweise. Bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Förderbedarfs habe er seine Entscheidung an den bestehenden Nachteilen auszurichten. Dabei komme ihm in tatsächlicher Hinsicht ein Einschätzungs- und im Hinblick auf die von ihm zu treffende Entscheidung ein Gestaltungsspielraum zu, wie das Gericht – auch insoweit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – annimmt.
Danach sei die angegriffene Regelung jedenfalls derzeit durch den – dem Gesetzgeber mit Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG erteilten – Auftrag gerechtfertigt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern.
Beseitigung von Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts
Das Gleichstellungsgesetz 2016 habe zwar formal beide Geschlechter in gleicher Weise im Blick. Soweit es aber um den Auftrag aus Art. 3 Abs. 2 GG gehe, bestehende Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts zu beseitigen, finde es aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse jedenfalls derzeit allein auf Frauen Anwendung und ist damit in der Sache hauptsächlich ein Frauenfördergesetz. Die dem zugrunde liegende Einschätzung des Gesetzgebers, dass weibliche Beschäftigte im öffentlichen Dienst in Teilbereichen nach wie vor strukturell benachteiligt seien, insbesondere im Bereich der Führungspositionen, sei nachvollziehbar und vertretbar und damit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach den Erkenntnissen des Gesetzgebers sei demgegenüber nicht von strukturell bedingten Benachteiligungen männlicher Beschäftigter auszugehen gewesen. Dementsprechend seien nach der Gesetzesbegründung weiterhin Frauen faktisch Hauptadressat auch der Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten. Angeführt werde neben der strukturell bedingten Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen, dass Frauen überwiegend von sexueller Belästigung und schließlich vorrangig von Familien- und Pflegeaufgaben betroffen seien.
Davon ausgehend erweise sich das hier in Rede stehende Mittel, der Einsatz einer weiblichen, allein von den weiblichen Beschäftigten der betreffenden Dienststelle gewählten Gleichstellungsbeauftragten, trotz der damit verbundenen Benachteiligung von Männern zur Umsetzung des Gleichstellungsauftrags als geeignet, erforderlich und auch als noch angemessen.
Ziele würden andererseits beeinträchtigt
Hinsichtlich der Frage der Angemessenheit sei von einem Gleichgewicht zwischen den in Rede stehenden Rechtsgütern auszugehen. Es gehe um verschiedene Facetten der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Intensität der Beeinträchtigung der Belange der durch die angegriffene Regelung formal benachteiligten Männer sei eher als gering einzuschätzen. Konkret werde den männlichen Beschäftigten durch die Verwehrung des passiven Wahlrechts allein die Möglichkeit genommen, eine Schutzfunktion zu übernehmen, die nach der vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers faktisch im Wesentlichen Frauen zugute kommen soll.
Demgegenüber würde die Tauglichkeit des Instruments zur Erreichung der Ziele des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG beeinträchtigt, wenn die Gleichstellungsbeauftragte, die sich aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten derzeit noch ganz überwiegend der Belange der weiblichen Beschäftigten annehmen soll, von allen Beschäftigten und nicht nur durch die Gruppe derjenigen Beschäftigten gewählt werde, deren Gleichberechtigung sichergestellt werden soll. Dies folge schon daraus, dass dann eine Einflussnahme durch die Gruppe der nach Auffassung des Gesetzgebers bevorzugten Beschäftigten möglich wäre.
Zugunsten der angegriffenen Beschränkungen des passiven und aktiven Wahlrechts sei insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die weiblichen Beschäftigten mit ihren Problemen bei einer von ihnen gewählten Person des gleichen Geschlechts zumindest überwiegend besser aufgehoben und vertreten fühlen werden.
Beurteilung durch benachteiligtes Geschlecht
Schließlich werde die Beschränkung des passiven Wahlrechts auch dadurch gerechtfertigt, dass es gerade für die Gleichstellungsbeauftragte wichtig sei, die Verhältnisse im Einzelfall aus der Sicht des benachteiligten Geschlechts beurteilen zu können. Dies gelte schon für die Fähigkeit und Bereitschaft, spezifische Gleichstellungsdefizite zu entdecken und zu benennen, um diese abzustellen. Sie sei von Frauen eher zu erwarten, solange und soweit gerade weibliche Beschäftigte diese Defizite besonders häufig erfahren und diese das Alltagsleben von Männern nicht in gleichem Maße prägen. Entsprechendes gelte für die Erwägung, bei männlichen Gleichstellungsbeauftragten bestehe die Gefahr, dass sich die weiblichen Beschäftigten weniger Verständnis für ihre Anliegen versprechen und deshalb von einer Beratung, Nachfrage oder Information absehen. Dabei werden nicht nur Qualifikation und Sensibilität relevant sein, die ein männlicher Gleichstellungsbeauftragter ebenfalls vorweisen könnte, sondern auch die Akzeptanz bei den zu fördernden weiblichen Beschäftigten, die aus den verschiedensten Gründen geringer sein oder ganz fehlen könne, was die Aufgabenerfüllung konterkarieren könnte.
Auch sei insbesondere der Einsatz eines zusätzlichen männlichen Gleichstellungsbeauftragten (etwa als schonendere Alternative) verfassungsrechtlich nicht geboten, weil der Gesetzgeber bezogen auf männliche Beschäftigte keine geschlechtsspezifischen strukturellen Benachteiligungen hat feststellen können.
Zu einer anderen Betrachtung führe auch nicht der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Umstand, dass der Ansatz des Gesetzgebers, die Vorschriften gleichermaßen auf beide Geschlechter auszurichten, letztlich nicht uneingeschränkt konsequent ausgeführt worden sei. Dies allein nehme der angegriffenen Vorschrift aus den dargelegten Gründen auch unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Folgerichtigkeit jedenfalls derzeit noch nicht die Verhältnismäßigkeit. Auch insoweit sei letztlich maßgeblich, dass das Gleichstellungsgesetz faktisch nach wie vor in erster Linie auf Frauenförderung ausgerichtet ist.
Gesetzgeber hat Beobachtungspflicht
Erweise sich das Gesetz jedenfalls derzeit als verfassungsgemäß, so habe der Gesetzgeber, wovon er in § 22 GlG M-V selbst ausgehe, die weitere Entwicklung sorgfältig zu beobachten. Zum Ausgleich der immer noch vorhandenen strukturellen Benachteiligung von Frauen könne es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nur darum gehen, diese durch Förderung auszugleichen, bis die zur geschlechtsbedingten Benachteiligung führenden strukturellen Ursachen beseitigt und damit das Gleichstellungsziel erreicht sei. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass der Gesetzgeber selbst für diese Beobachtung einen Zeitraum von fünf Jahren benannt hat.