22.01.2020

Videoüberwachung: Achten Sie als Betriebsrat auf die Rechte der Kollegen

Wir leben doch nicht in London! Da stört Videoüberwachung niemanden mehr. Sie ist allgegenwärtig. Aber bei uns? In Umkleide, WC und Kantine ist sie ein No-Go, sonst auch nur in Grenzen erlaubt. In jedem Fall hat der Betriebsrat ein gewichtiges Wörtchen mitzureden!

Videoüberwachung

Verträgt sich Videoüberwachung mit dem Persönlichkeitsrecht?

Mitbestimmung.  Nur sehr schwer. Am Arbeitsplatz greift sie naturgemäß erheblich in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten als Betroffene gemäß Art. 2 Grundgesetz (GG) ein. Ein solcher Eingriff bedarf immer einer gesetzlichen Rechtfertigung. Unterschieden wird zwischen:

  • Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen und
  • im nicht öffentlich zugänglichen Raum.

Zu den öffentlich zugänglichen Flächen und Arbeitsplätzen zählen etwa:

  • Bahnhöfe,
  • Banken,
  • Bibliotheken,
  • Einzelhandelsgeschäfte,
  • Friseursalons,
  • Fußgängerzonen,
  • Kaufhäuser.

In all diesen Bereichen ist die Videokontrolle nur erlaubt, wenn sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist. Außerdem darf es keine Anhaltspunkte geben, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

Warum möchten dann immer mehr Unternehmen Videoüberwachung einsetzen?

Sie denken, damit könnten sie ihr Unternehmen und seine Sachwerte schützen. Die Arbeitgeber müssen sich aber an alle rechtlichen Vorgaben halten. Im Widerspruch zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers stehen bei der Videoüberwachung das Eigentumsrecht und die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers. Wie so häufig im Datenschutzrecht geht es darum, entgegengesetzte Positionen gegeneinander abzuwägen und eine vertretbare Lösung zu finden.

Wann ist Videoüberwachung am Arbeitsplatz gerechtfertigt?

Nur dann, wenn es nicht anders geht. Immer dann, wenn sich der Zweck der Überwachung auf gleiche Weise durch ein milderes, gleich wirksames Mittel erreichen lässt, ist dieses anzuwenden. Lässt sich z. B. ein Diebstahl einfach dadurch verhindern, dass man ein neues Schloss einbaut, braucht man zur Abschreckung Mitarbeiter nicht flächendeckend mit Videokameras zu überwachen. Die Erforderlichkeit entscheidet über ihre Zulässigkeit am Arbeitsplatz.

Wo ist Videoüberwachung unzulässig?

Überall an Orten, die überwiegend der privaten Lebensgestaltung der Beschäftigten dienen, also z.B.:

  • WC,
  • Sanitär-,
  • Umkleide- und
  • Schlafräume.

In solchen Räumen sollte der Betriebsrat Beschäftigte vor jeglicher Überwachung durch den Arbeitgeber schützen; der Schutz der Intimsphäre wird in aller Regel hier überwiegen.

Übersicht offene vs. verdeckte Videoüberwachung
– Verdeckte Überwachung ist nur zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer Straftat oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers vorliegt. Weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung müssen ausgeschöpft sein und die verdeckte Videoüberwachung muss das einzig verbleibende Mittel darstellen (Verhältnismäßigkeit). – Bei einer sichtbaren Überwachung zum Schutz des Eigentums des AG Interessenabwägung: Anzahl der beteiligten Personen, die Intensität, Art und Dauer, drohender Schaden etc. Eine Überwachung während der gesamten Arbeitszeit auf unbegrenzte Zeit ist unzulässig (keine dauerhafte Überwachung ). – Die bloße Kontrolle der Arbeitsleistung ist kein legitimes Ziel einer heimlichen Überwachung. – Eine Überwachung von Bereichen, welche überwiegend der privaten Lebensgestaltung der Beschäftigten dienen (z.B. WC, Umkleide- und Schlafräume), ist nicht zulässig.

Ihr Zweck muss vorab festgelegt und dokumentiert sein – und zwar für jede eingesetzte Videokamera. Es muss klar sein, wozu die Maßnahme dienen soll. Die Maßnahme ist so bei einer Kontrolle für den Datenschutzbeauftragten oder die Aufsichtsbehörden nachvollziehbar.

Des Weiteren muss das Unternehmen die Betroffenen auf die Videoüberwachung hinweisen. Die Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind ihnen durch geeignete Maßnahmen kenntlich zu machen, z. B. durch ein gut wahrnehmbares und möglichst im Zutrittsbereich der überwachten Fläche angebrachtes Schild. Der Mitarbeiter muss wissen, wo die Kameras angebracht sind und wann er gegebenenfalls aus dem Bereich, der von der Kamera erfasst wird, heraus ist.

Verarbeitung und Nutzung der durch die Überwachung gewonnenen Daten sind nur eingeschränkt möglich, nicht mehr benötigte Daten unverzüglich zu löschen.

Was gilt bei den Informationspflichten: DSGVO oder BDSG?

Laut dem Kurzpapier 15 von 2018 der unabhängigen Datenschutzbehörden von Bund und Ländern (Datenschutzkonferenz – DSK) zur Videoüberwachung enthalten die beiden seit 25. Mai 2018 geltenden Artikel 13 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und § 4 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG-neu) eine Regelung zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume. Anwendungsvorrang hat hier zwar die DSGVO, ob allerdings doch die Regelung nach dem BDSG-neu anzuwenden ist, bleibe einer Entscheidung im Einzelfall vorbehalten.

Nach Ansicht der Aufsichtsbehörden ergäben sich aus Art. 13 DSGVO folgende Mindestanforderungen an die Informationspflichten:

  • Umstand der Beobachtung – Piktogramm, Kamerasymbol
  • Identität des für die Videoüberwachung Verantwortlichen – Name samt Kontaktdaten
  • Kontaktdaten des betrieblichen Datenschutzbeauftragten, soweit benannt, dann aber zwingend
  • Verarbeitungszwecke und Rechtsgrundlage in Schlagworten
  • Angabe des berechtigten Interesses, soweit die Verarbeitung auf Art. 6 DSGVO beruht
  • Dauer der Speicherung
  • Hinweis auf Zugang zu den weiteren Pflichtinformationen gemäß Art. 13 DSGVO wie:
    • Auskunftsrecht,
    • Beschwerderecht,
    • gegebenenfalls Empfänger der Daten.

Die Aufsichtsbehörden setzen sich damit laut Rechtsanwalt Marcus Kirsch (aktueller Buchtitel: „Datenschutz in Unternehmen“) jedoch in Widerspruch zur bestehenden EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 11.12.2014, Az.: C-212/13). Danach wäre bei einer Videoüberwachung nicht Art. 10 der Richtlinie (Information bei der Erhebung personenbezogener Daten bei der betroffenen Person), sondern Art. 11 der Richtlinie (Informationen für den Fall, dass die Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden) anwendbar.

Übertragen auf die Datenschutz-Grundverordnung bedeute dies, dass sich die Informationspflichten nicht nach Art. 13 (Informationspflicht bei Erhebung von personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person), sondern nach Art. 14 DSGVO (Informationspflicht, wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden) richten. Kirsch hält dies für sinnvoll, da Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO eine Information bereits zum Zeitpunkt der Erhebung verlangen. Bei einer Videoüberwachung wäre dies bereits mit der Aufnahme der Fall. Art. 14 DSGVO verlangt dagegen eine Mitteilung lediglich binnen einer angemessenen Frist.

Wichtig für den Betriebsrat: verdeckte Videoüberwachung nur in Ausnahmen zulässig

Offene Videoüberwachung soll fortlaufend abschrecken. Verdeckte, also heimliche Videoüberwachung wird man meist kurzfristig und nur aus einem bestimmten Anlass einsetzen, etwa bei aktuellem Diebstahlverdacht, um den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Hier würde ein Hinweis auf die Überwachung den Täter abschrecken und die Aufklärung der Straftat erschweren. Das Bundesarbeitsgericht hat (Urteil vom 21.6.2012, Az.: 2 AZR 153/11) klargestellt, dass in Ausnahmefällen auch eine heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz zulässig sein kann. Die Anforderungen an eine verdeckte Videoüberwachung sind allerdings hoch:

  • Es muss ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers vorliegen
  • weniger einschneidende Mittel müssen ausgeschöpft sein
  • es bleibt kein anderes Mittel
  • sie darf insgesamt nicht unverhältnismäßig sein
  • Einsatz ausschließlich in nicht öffentlich zugänglichen Räumen

Haben Sie als Betriebsrat über den Einsatz von Videoüberwachung mitzubestimmen?

Ja, auch im nicht öffentlichen Bereich. Das Recht dazu gibt Ihnen § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Danach bestimmen Sie bei Maßnahmen mit, mit denen Ihr Arbeitgeber die Leistung oder das Verhalten von Arbeitnehmern prüfen oder überwachen könnte. Im Rahmen der Ausübung des Mitbestimmungsrechts haben Sie beide – Sie als Betriebsrat und Ihr Arbeitgeber – das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer zu beachten (§ 75 Abs. 2 BetrVG).

Und wenn der Betriebsrat vor der Videoüberwachung nicht gefragt wird?

Hat man den Betriebsrat nicht vorher in die Entscheidung über den Einsatz von Videoüberwachung an einem Arbeitsplatz einbezogen, kann sie rechtswidrig sein. Das kann sie auch, wenn kein vorheriger Hinweis an die Belegschaft erfolgte oder die Aufnahmen in nicht zulässigen Räumen liefen. Eine solche rechtswidrig durchgeführte Videoüberwachung kann nach § 201 a Strafgesetzbuch (StGB) strafbar sein. Außerdem sind Unterlassungs-, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche von Arbeitnehmern möglich.

So sprach das Landesarbeitsgericht (LAG Urteil vom 23.05.2013, Az.: 2 Sa 540/12) Mainz den Arbeitnehmern eines Unternehmens 850 Euro Schmerzensgeld von diesem zu, weil der Arbeitgeber sie in der Werkhalle per Video überwachen ließ. Er hatte dies damit begründet, er wolle den drohenden Diebstahl von Maschinen verhindern. Der Kläger gab an, die Kameras hätten ihn so sehr beeinträchtigt, dass er sich in ärztliche Behandlung habe begeben müssen. Die ständige Überwachung am Arbeitsplatz habe bei ihm Durchfall, Bauchweh und Unwohlsein ausgelöst. Das Gericht gab ihm Recht. Nach Auffassung der Richter hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben, den Diebstahl der zwei Tonnen schweren Geräte zu vermeiden. So hätte die Firma die Überwachung etwa auf das Werkstor begrenzen können. Den behaupteten Zusammenhang zwischen Kameras und Erkrankung sah das Gericht jedoch nicht als erwiesen an.

Als Betriebsrat sollten Sie eine Betriebsvereinbarung zur Videoüberwachung abschließen

Eine Videoüberwachung ist ein sensibles Thema. Sie sollten sie in jedem Fall durch eine Betriebsvereinbarung absichern lassen, die die gesetzlichen Vorgaben einhält. Im Zweifel sollten Sie Ihren Datenschutzbeauftragten um Rat fragen oder sich anderen externen Sachverstand zunutze machen. Mit Hinweis auf die Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld können Sie Ihrem Arbeitgeber auf eindrückliche Weise zeigen, welche Folgen unzulässige Videoüberwachung für ihn haben kann. Und Ihren Kollegen können Sie zeigen, dass es sich durchaus lohnen kann, den Mut aufzubringen, sich gegen solch rechtswidrige Praktiken Ihrer Geschäftsführung zu wehren.

Mit dem Urteil setzt sich zudem eine durchaus erfreuliche Tendenz in der Rechtsprechung durch. Bereits vor einigen Jahren stieß das Hessische Landesarbeitsgericht (Urteil vom 25.10.2010, Az.: 7 Sa 1586/09) in dasselbe Horn: Es verurteilte einen Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung von 7.000 Euro. Dabei war die betroffene Kollegin in einer Niederlassung eines bundesweit tätigen Unternehmens angestellt. Ihr Arbeitgeber hatte gegenüber der Eingangstür des Büros eine Videokamera angebracht. Diese war nicht nur auf den Eingangsbereich, sondern auch auf den Arbeitsplatz der Mitarbeiterin gerichtet. Sie sah sich in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt und verlangte Schadensersatz. Der Arbeitgeber verteidigte sich damit, dass die Kamera schließlich nicht ständig in Funktion gewesen sei. Außerdem sollte sie der Sicherheit der Mitarbeiter dienen, da es vorher schon Übergriffe auf Mitarbeiter gegeben hätte. Dennoch befanden die Richter am LAG den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiterin für unverhältnismäßig. Ihrer Ansicht nach wäre es möglich gewesen, die Kamera nur auf den Eingangsbereich des Büros auszurichten. Außerdem hätte allein die Unsicherheit darüber, ob die Kamera in Funktion war, die Mitarbeiterin unter einen ständigen und nicht hinnehmbaren Anpassungs- und Überwachungsdruck gesetzt. Das war für die Richter eine so schwerwiegende „Verletzung der Würde und Ehre des Menschen”, dass sie nicht ohne Strafe bleiben dürfe.

Autor*innen: Silke Rohde (ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin des Fachmagazins Betriebsrat KOMPAKT.), Friedrich Oehlerking (Friedrich Oehlerking ist Journalist und Autor des Werkes Wirtschaftswissen für den Betriebsrat.)