Überlastung der Pflegedienste – auch nach der Bundestagswahl
Die Pflegedienste in Deutschland sind überlastet. Das ist im Bundestagswahlkampf deutlich erkennbar geworden. Wenige Tage vor dem Wahltermin forderten nicht nur Beschäftigte der Uni-Kliniken Göttingen klare Personalbemessungsregeln und eine Zusage der Politik, dass dieses Personal auch refinanziert wird. Bundesweit wurde dafür gestreikt, durch einen Tarifvertrag eine Entlastung zu erreichen. Die Gewerkschaft ver.di meldete allein 500 Streikende am Klinikum Region Hannover. Ob alle Verantwortlichen auch nach der Wahl den Worten Taten folgen lassen, bleibt abzuwarten.
Forderung nach Mindestbesetzung der Pflegedienste für die Stationen
Viele Pflegekräfte könnten durch die Überlastung den Beruf nicht mehr so ausüben, wie sie ihn erlernt hätten, sagte Zeitungsmeldungen zufolge ein Personalratsmitglied bei den Unikliniken in Göttingen. In allen Bereichen werde bis zur absoluten Grenze und darüber hinaus gearbeitet. Eine festgelegte Mindestbesetzung für die Stationen sei dringend nötig. Wie die Zeitung HNA berichtete, gibt es Studienergebnisse der g/ewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wonach in den USA auf eine Pflegekraft rund fünf Patienten kämen. In Deutschland seien es aber 13. Die Folge sei, viele Pflegekräfte stiegen auf Teilzeit um oder gingen verfrüht in Rente.
Anerkennung im Wahlfieber
Wenige Tage vor der Bundestagswahl war der Pflegenotstand zum Wahlkampfthema geworden. SPD-Kanzlerkandidat Schulz versuchte, sich der Pflegedienste intensiver anzunehmen. Er sah einen dramatischen Personalmangel und strukturelle Probleme. „Mit mir als Bundeskanzler wird es einen Neustart in der Pflege geben“, sagte er zu. Nötig seien
- mehr Personal in der Pflege,
- eine bessere Bezahlung der Pfleger und
- mehr Plätze für Pflegebedürftige.
Der stellv. Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Lauterbach sagte gegenüber der „Passauer Neuen Presse“, nur wenn die Löhne von Pflegekräften um 30 Prozent erhöht würden, bestehe auch die Aussicht, genügend Bewerber für diesen Beruf zu begeistern. Zur Finanzierung einer solchen Steigerung sei aber eine Anhebung des Beitrags zur gesetzlichen Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte nötig.
Die Grünen kündigten ein Sofortprogramm von 25.000 neuen Pflegekräften an, Linkspartei-Vorsitzende Sahra Wagenknecht macht die Große Koalition für den Pflegenotstand verantwortlich. In ihrem Wahlprogramm fordert die Partei einen Mindestlohn für Pflegekräfte von 14,50 Euro. Und auch Bundeskanzlerin Merkel will die Pflegeberufe aufwerten, blieb im Wahlkampf aber unkonkreter.
Expertenrat für bessere Arbeitsbedingungen
Nach Ansicht des Deutschen Pflegerats sind bessere Arbeitsbedingungen Voraussetzung für ein kurzfristiges Angehen gegen den Pflegepersonalnotstand. Der Präsident des Pflegerats sagte am 19.9. im Deutschlandfunk, es gebe Zehntausende ausgebildete Pflegekräfte, die den Beruf wegen der hohen Belastung nicht mehr ausübten. Ein weiteres „riesiges Potenzial“ sei die große Teilzeitquote in der Pflege von 60 bis 70 Prozent.
2030 werden 300.000 Pflegekräfte fehlen
Nach Angaben des Online-Dienstes Tagesschau.de fehlt allerorten Personal, weil in der Vergangenheit – aus wirtschaftlichen Gründen – viele Stellen abgebaut und weniger Pflegekräfte ausgebildet wurden. 70.000 Fachkräfte fehlen laut der Gewerkschaft ver.di bereits jetzt bundesweit in der Krankenpflege. 40.000 zusätzliche Fachkräfte brauche es in der Altenpflege. Und dieses Problem wird sich in Zukunft noch deutlich verschärfen. 300.000 Pflegekräfte werden laut Prognosen des Deutschen Pflegerats bis 2030 fehlen, davon allein 200.000 in der Altenpflege. Und niemand weiß, woher die Tausende neuen Kranken- und Altenpfleger kommen sollen.
Mehr Leistungsempfänger in der Pflege
Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Leistungsempfänger in der Pflege überproportional gestiegen, teilt der Bonner Generalanzeiger mit. Ursache dafür sei der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Von Januar bis Juli 2017 seien bei den Pflegekassen nach Auskunft des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen 432.000 Menschen mehr registriert worden. Das sei eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 175.000 „Erste-Pflege-Bedürftigen“. Die Zahl aller Pflegebedürftigen beliefe sich derzeit auf 2,9 Mio Menschen, von denen mehr als zwei Millionen zu Hause ambulant versorgt werden.