Telematik in Dienstwagen: Hier bestimmen Sie als Betriebsrat mit
Patternizr – sagt Ihnen das was? Oder Social Credit? Schufa? Interessiert Sie als Betriebsrat alles nicht? Wie wäre es hiermit: Box im Dienstwagen. Spätestens jetzt sollten Sie hellhörig werden: wenigstens hier können Sie als Betriebsrat mitbestimmen – und das sollten Sie dann aber auch.
Datensammeln im Dienstwagen – auch bei Ihnen im Betrieb?
Mitbestimmung. Immer mehr Arbeitgeber wollen ganz genau wissen, wo ihre Beschäftigten mit ihren Firmenwagen herumkurven oder gerade stehen, wie sie fahren, ruppig, mal schnell, mal langsam, oder sanft, vorausschauend und deswegen Benzin sparend. Sie lassen entsprechende Telematik-System vor allem in Betrieben mit einer ganzen Flotte von Lkw oder Pkw einsetzen, die ihnen diese Informationen beschaffen und nach bestimmten Algorithmen aufbereiten – aus dem Dienstwagen selbst, aus der Betätigung von Gaspedal oder Bremse, Lenkrad, Position und Navigation per GPS.
42 Prozent aller Unternehmen mit mittleren Flotten von 50 bis 99 Fahrzeugen nutzen bereits TelematikSysteme, zitiert das Fachportal „Firmenauto“ Marktbeobachter Dataforce aus einer Befragung von fast 24.000 Fuhrparkleitern 2018. Der Anteil steige stetig. Gleichzeitig zeige die Studie: Nur zehn Prozent der kleinen Flotten setzen auf Telematik. Wer ein Telematik-System einsetzt, nutzt demnach in rund 63 Prozent aller Fälle auch GPS. Mit dem genauen aktuellen Standort können Firmenwagennutzer etwa ein elektronisches Fahrtenbuch führen.
Dienen Telematik-Systeme der Verkehrssicherheit?
Sie können es. Sie dokumentieren zu jeder Zeit den Spritverbrauch und erkennen, wann Ihr Kollege das vorgeschriebene Tempolimit überschritten hat. Die Systeme erfassen seinen Fahrstil. „Wenn Ihr Mitarbeiter immer volle Pulle fährt, dann können Sie das sehr schön über unsere Grafik sehen. Extrem steigender Verbrauch wird dann rot angezeigt“, erläutert Bastian Schössow von GPS-Watch aus Kisdorf in Schleswig-Holstein. Bei „Verizon Connect“ werden zum Beispiel Geschwindigkeit, Fahren ohne Sicherheitsgurt oder Kraftstoffverbrauch dokumentiert und in einer Scorecard ausgewertet.
Aber mal ehrlich: wenn Ihr Arbeitgeber an Ihrer Fahrtüchtigkeit als sein Arbeitnehmer Zweifel hat, sollte er Sie dann überhaupt ans Steuer lassen? Der Verkehrssicherheit dienen z.B.:
- Eine gute Fahrausbildung, belegt normalerweise für das Fahren eines Dienst-Pkw in einem Führerschein
- Funktionierende Bremsen und sonstige Fahrtechnik
- Enthaltsame Lebensweise vor allem ohne Alkohol und Nikotin
- Fahrergerechte Einsatzpläne, die ausreichende Ruhezeiten ermöglichen und eine Überanstrengung der Beschäftigten vermeiden
- Zufriedenstellende private Verhältnisse etwa durch ausgewogene Ruhe- und Urlaubsregelungen für die Arbeitnehmer
Telematik im Dienstwagen – wozu raten Sie als Betriebsrat den Kollegen?
Lassen Sie sich vom Argument der Verkehrssicherheit sich nicht überrumpeln! Hier gilt es, ein Auge auf die technischen Möglichkeiten des jeweiligen Gerätes zu haben:
- Werden beispielsweise harsches Anfahren und Abbremsen oder Kurvenfahrten mit zu hoher Geschwindigkeit festgehalten?
- Können Ihre Kollegen ihren Score ermitteln, um dann ihr Fahrverhalten zu ändern, anzupassen und zu verbessern?
- Gibt es eine Umschaltfunktion, mit der Ihr Kollege den von ihm benutzten Firmenwagen per Knopfdruck auf Privatfahrt umstellen kann?
Sie als Betriebsrat sollten sich aber eines stets bewusst sein: der Dienstwagen Ihrer Kollegen wird mit einem solchen Telematik-System auch zum Sammelgerät großer Mengen an Daten. Sie als Betriebsrat verfügen über die entsprechenden Überwachungs- und Mitbestimmungsrechte, um hier einer maßlosen Datenschnüffelei Einhalt zu gebieten. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gibt Ihnen als Betriebsrat in seinen §§ 80 und 87 das Recht dazu.
Wie arbeiten Telematik-Systeme?
Normalerweise verbinden sie zwei Datenverarbeitungssysteme über ein Telekommunikationssystem miteinander. Im Wesentlichen gibt es drei Grundtypen von Telematik-Systemen, die im Grunde gleich oder zusammen funktionieren:
- Handy-Apps: messen Ihren Fahrstil und vergeben Ihnen dafür Punkte – je regelkonformer und defensiver Sie fahren, desto mehr Punkte bekommen Sie.
- Box: nicht größer als eine Streichholzschachtel und fest im Fahrzeug montiert, sammelt das Gerät Daten des Fahrgeschehens und sendet sie über Mobilfunk an Ihren Arbeitgeber.
- Stecker: Diesen schließen Sie an die elektronische Diagnose-Schnittstelle Ihres Fahrzeugs an. Kontrollieren lassen sich durch ihn unter anderem Daten wie gefahrene Kilometer sowie technische Messwerte wie Drehzahl oder Motorlast.
Weitere Daten liefert ein GPS-Navigationssystem. Zur räumlichen Ortung lassen sich damit ermitteln:
- Fahrtstrecken und -ziele,
- Fahrtdauer,
- Geschwindigkeit und deren Lagerung,
- Kraftstoffverbrauch bei welchen Drehzahlen,
- Einhaltung der Abstände zu anderen Fahrzeugen,
- generelles Fahrverhalten.
Eine zunehmend wichtigere Anwendung wären Blackboxen als Unfalldatenspeicher im Fahrzeug zur Speicherung von Bremsverhalten kurz vor einem Unfall.
Bei der Datensammelwut im Dienstwagen: Wie steht es mit Datenschutz?
Dies ist der wunde Punkt: die umfassende Kontrolle, der Sie sich in einem Firmenwagen mit Telematik-System aussetzen. Sammeln und Auswerten unzähliger Daten – das schürt nicht zu Unrecht die Angst vor dem „gläsernen Dienstwagenfahrer“. Die Hauptherausforderung beim Einsatz von Telematik-Systemen besteht deshalb nach Ansicht eines großen Teiles von Experten darin, diese erhobenen Datenmengen sinnvoll und möglichst zum Nutzen aller Beteiligten zu verwenden. Datenschutz spielt also eine große Rolle.
Wie können Sie als Betriebsrat hier zum Datenschutz beitragen?
Zu allererst werden Sie bei Ihren Kolleginnen und Kollegen Bewusstsein dafür schaffen, dass hier in ganz erheblichem Umfang ein Datensammeln stattfindet. Früher waren Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft blauäugig, wenn es um die Datensammlung in Firmenfahrzeugen ging. Das hat sich nicht zuletzt seit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des neuen Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) zwar etwas geändert. Aber an erster Stelle für Sie als Betriebsrat stehen weiterhin Ihre unverminderten Anstrengungen zur Aufklärung Ihrer Kolleginnen und Kollegen:
- Sorgen Sie für deren umfassende Information darüber, welche personenbezogenen Daten so ein System im Firmenauto sammelt und speichert – und zwar schon vor Abschluss einer Vereinbarung über die Nutzung eines Dienstfahrzeugs.
- Achten Sie auf eine transparente Informierung darüber, wie diese Daten verarbeitet werden und zu welchem Zweck das geschieht.
- Sofern Ihr Arbeitgeber personenbezogene Daten zur Verwaltung des Fuhrparks speichern will, stellen Sie als Betriebsrat sicher, dass er nur denjenigen Personen Zugriff auf diese Informationen ermöglicht, für die diese zur Erledigung ihrer betrieblichen Arbeitsaufgaben erforderlich sind.
- Sorgen Sie als Betriebsrat dafür, für die GPS-Ortung von Firmenfahrzeugen nach Art. 35 DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchführen zu lassen.
- Achten Sie als Betriebsrat darauf, dass Ihr Arbeitgeber seinen umfassenden Dokumentationspflichten gegenüber dem jeweiligen Dienstwagennutzer nachkommt zu:
-
- Datenverarbeitung,
- Art der Daten,
- Zweck der Verarbeitung,
- Speicherdauer,
- Löschfristen.
- Willigt Ihr betreffender Kollege in die Ortung ein, muss er dies in einer Erklärung gemäß § 26 Abs. 2 BDSG 2018 und Art. 7 DSGVO festhalten.
- Treffen Sie mit Ihrem Arbeitgeber für die Kollegen eine Vereinbarung, die den Einsatzzweck des Systems definiert und transparent darüber informiert, welche Daten erfasst werden.
„Kann das Unternehmen über den Spritverbrauch, das Beschleunigungs- und Bremsverhalten Rückschlüsse auf das Fahrverhalten ziehen oder gar ein Bewegungsprofil erstellen, gilt es den Datenschutz zu wahren“, warnt Rechtsanwalt Lutz Fischer von der Kanzlei Fischer.Legal aus St. Augustin auf „Firmenauto“.
Ihr Chef will Telematik im Dienstwagen – Widerstand zwecklos?
Es sieht nicht so aus. Immer mehr Beschäftigte wehren sich dagegen. Sie berufen sich dabei auf den Datenschutz – erfolgreich. Offenbar hat die Datenschutzgrundverordnung das Bewusstsein der Beschäftigten für den Schutz ihrer Daten und ihrer Persönlichkeitsrechte geschärft, wie der Fall eines Außendienstlers zeigt, den das Arbeitsgericht Heilbronn Anfang 2019 zu entscheiden hatte (ArbG Heilbronn, Urteil vom 30.01.2019, Az.: 2 Ca 360/18). Dessen Arbeitgeber wollte im August 2018 in allen Dienstwagen eine Telematik-Box einbauen lassen. Mit deren Hilfe wollte er die Wagen in Echtzeit orten lassen und umfangreiche Details zu Fahrweise und -ablauf nachverfolgen können. Damit war der Arbeitnehmer nicht einverstanden. Einbau und Betrieb der Telematik-Box seien im Sinne einer fortlaufenden GPS-Ortung datenschutzrechtlich unzulässig, argumentierte er. Sein Chef mahnte ihn ab und kündigte ihm. Der Arbeitnehmer klagte dagegen.
Hatte die Kündigungsschutzklage Erfolg?
Ja. Zwar könne eine beharrliche rechtswidrige Arbeitsverweigerung per se ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung sein. Im Streitfall jedoch nicht, urteilte das Gericht. Das Unternehmen hätte zunächst mildere disziplinarische Mittel ergreifen müssen. Zudem verstießen die vom Unternehmen beabsichtigte Datenerhebung und Datennutzung gegen Datenschutzgrundverordnung und Bundesdatenschutzgesetz. Die aktivierte Telematik-Box sei für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich gewesen. Die gewünschten Zwecke hätte der Arbeitgeber auch anders erreichen können. Bei aktivierter Box würden Daten zu dem Fahrverhalten des Fahrers verarbeitet. Das stelle einen tiefgreifenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten dar, die Nutzung wäre mithin unzulässig.
Inwieweit ist hier das Persönlichkeitsrecht berührt?
Aufgrund von § 26 Abs. 1 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Nach dieser Vorschrift liegt ein erheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Arbeitnehmers vor, wenn Speicherung und Nutzung der von einer in das Dienstfahrzeug eines Außendienst-Mitarbeiters eingebauten Telematik-Box erfassbaren und speicherbaren Daten nicht erforderlich sind. Eine Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Ihres Kollegen wäre nur gestattet, wenn das Informationsinteresse des Arbeitgebers überwiegen würde und die Datenverarbeitung zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich wäre.
Was bedeutet dies für Sie als Betriebsrat?
Zweierlei:
- auf der einen Seite haben Sie als Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht,
- auf der anderen haben Sie eine Überwachungspflicht beim Datenschutz.
Plant Ihr Arbeitgeber den Einbau von GPS-Geräten in dienstlich genutzte Fahrzeuge, so benötigt er hierfür Ihre Zustimmung als Betriebsrat. Sie haben als solcher in dieser Frage ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Es handelt sich bei einem solchen Gerät um eine technische Einrichtung, um Verhalten oder Leistung einzelner Arbeitnehmer zu überwachen. Ob Ihr Arbeitgeber tatsächlich eine solche Überwachung anstrebt, spielt für das Mitbestimmungsrecht keine Rolle. Hierfür genügt die objektive Eignung der technischen Einrichtung zur Überwachung.
Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) legt Ihnen als Betriebsrat eine Überwachungspflicht zum Datenschutz auf. Das Bundesdatenschutzgesetz ist ein Gesetz im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dementsprechend haben Sie als Betriebsrat darüber zu wachen, dass Ihr Arbeitgeber das Gesetz durchführt. Um diese Aufgabe sachgerecht erfüllen zu können, benötigen Sie als Betriebsrat entsprechende Informationen. Zu diesem Zweck muss Sie der Arbeitgeber nach Absatz 2 dieser Vorschrift über Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der über Ihre Kolleginnen und Kollegen gespeicherten Daten informieren, z. B. über
- vorhandene Datenverarbeitungsanlagen einschließlich der benutzten Software,
- Bezeichnung und Art der gespeicherten Dateien,
- Zweck der Speicherung,
- Empfänger der Daten bei Übermittlung an Dritte sowie
- zugriffsberechtigte Personengruppen und Personen.
Ihr Arbeitgeber kann Ihnen als Betriebsrat die Vorlage entsprechender Dokumente nicht mit dem Argument verweigern, dem Verlangen stünden datenschutzrechtliche Bestimmungen entgegen. Das Bundesdatenschutzgesetz andererseits schränkt die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht ein.