Suchtprävention: Das kann der Betriebsrat tun
Zu wenig Personal, immer neue Aufgaben, Digitalisierung – der psychische Druck ist hoch. Der Ausweg für viele: das Suchtmittel. Ein Teufelskreis. Sie als Betriebsrat sollen (heraus)helfen. Wir zeigen, wie.
Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir von Suchtmitteln reden?
Betriebliches Gesundheitsmanagement. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) als Vertreterin von Suchthilfe und Suchtprävention untersucht im „DHS Jahrbuch Sucht 2018“ die Entwicklung des Konsums von
- Alkohol,
- Tabak,
- Arzneimitteln,
- illegalen Drogen
- sowie von Glücksspiel und
- Essstörungen.
Der Berater für Gesundheitsmanagement Jens Reppahn sieht als Spitzenreiter dabei mit großem Abstand 1,8 Millionen alkohol- und 1,5 Millionen medikamentenabhängige Menschen. Aber auch illegale Drogen und Glücksspiel sind ihm zufolge mit 300.000 bzw. 200.000 süchtigen Personen ein großes Problem. Sorgen machen überdies die nach wie vor mit 15 Millionen immer noch große Zahl an Rauchern und drei Millionen Menschen, die Cannabis konsumieren.
Welche Folgen hat die Sucht in der Arbeitswelt?
Die Sucht nach Alkohol wirkt sich ganz erheblich auf die Arbeitswelt aus:
- Fünf Prozent aller Beschäftigten gelten als alkoholsüchtig, weitere zehn Prozent als stark gefährdet.
- Elf Prozent der Beschäftigten trinken täglich Alkohol am Arbeitsplatz, 41 Prozent gelegentlich. Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch viel höher.
- Bis zu 30 Prozent aller Arbeitsunfälle gehen auf das Konto alkoholisierter Mitarbeiter. Diese weisen auch 16-mal höhere Fehlzeiten auf und bringen nur 75 Prozent ihrer Arbeitsleistung.
- Insgesamt riskieren Alkoholabhängige schwere Gesundheitsschäden sowie oft dramatische berufliche und private Konsequenzen.
Das Thema Rauchen am Arbeitsplatz ist nach wie vor ein Konfliktthema. Nichtraucher stören sich oft an dem Rauchgeruch, an gehäuften Pausen der rauchenden Kollegen, daran, schon mal zusätzliche Aufgabe von ihm mitübernehmen zu müssen etc. Grundsätzlich ist die Zahl der Raucher in den letzten Jahren zurückgegangen. 2018 rauchten etwa 28 Prozent der Menschen in Deutschland. Nichtraucher sind also in der Mehrzahl, Tendenz steigend.
Was können Sie als Betriebsrat zu Suchtprävention und -Hilfe beisteuern?
Eine ganze Menge. Sie als Betriebsrat müssen und können dazu beitragen, Ihre Kollegen vor der Suchtfalle durch Suchtprävention zu bewahren oder durch Suchthilfe daraus herauszuhelfen. Ein Suchtpräventionsprogramm bietet dazu die optimale Möglichkeit. Es schafft den organisatorischen Rahmen, um entsprechende Maßnahmen in ein betriebliches Gesundheitsmanagement einzubetten. Diese verknüpfen Sie dabei zudem mit Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung. Sie schaffen so eine Schnittstelle zu Personal– und Organisationsentwicklung.
Auf welchen Ebenen findet Suchtprävention im Betrieb statt?
Auf mehreren. Dazu gehören Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention mit Krankheitsvorbeugung, Früherkennung beziehungsweise Nachsorge. Zur Primärprävention gehören beispielsweise:
- Informations- und Aufklärungsveranstaltungen
- Veränderung der Konsumkultur im Betrieb, indem Sie sich zum Beispiel gegen den Verkauf von Suchtmitteln wenden
- Abbau physischer und psychischer Belastungen am Arbeitsplatz
Ihr Beitrag als Betriebsrat zur Primärprävention kann es beispielsweise sein:
- Auffälligkeiten so früh wie möglich anzusprechen,
- nichts unter den Teppich zu kehren, zu verschweigen oder zu verdecken,
- Beschäftigte, die während der Arbeit unter Einfluss von Suchtmitteln stehen, dringend darauf anzusprechen.
Besprechen Sie mögliche Maßnahmen mit auffälligen Kollegen und legen Sie Ziele, Fahrplan und Regeln für eine Abkehr von der Sucht fest. Wichtig ist dabei, bei dem betreffenden Mitarbeiter auch wirklich auf die Einhaltung der vereinbarten Regeln zu achten. Das kann im Ernstfall auch bedeuten, dass Sie auf die Konsequenzen hinweisen und sogar vor einem Verlust des Arbeitsplatzes warnen, wenn der Kollege sein Verhalten nicht bessert. Kleinere Betriebe, die nicht die Möglichkeit für eine ausreichende Suchtprävention haben, können sich an öffentliche Beratungsstellen wie zum Beispiel die DHS wenden oder eine Kooperation mit anderen Betrieben suchen.
Der betreffende Kollegen macht eine Therapie – und dann?
Oft hilft es alles nichts: Ihr Kollege muss eine Therapie machen. Ist er dazu unter keinen Umständen zu bewegen, bleibt dem Arbeitgeber manchmal keine andere Möglichkeit als die Kündigung. Wenn der Suchtkranke aber bereit ist, eine Therapie zu machen, ist das der erste Schritt in die richtige Richtung. Nun kommt alles darauf an, ob die betroffene Person die Therapie erfolgreich beendet. Gelingt ihm das, sollte zunächst einer Rückkehr zum Unternehmen auch nichts im Wege stehen. Aber jetzt beginnt die eigentliche Arbeit für Sie als Betriebsrat. Denn der Erfolg der Therapie kommt danach. Sie als Betriebsrat müssen zur Wiedereingliederung:
- den betroffenen Mitarbeiter unterstützen und
- sein kollegiales Arbeitsumfeld im Auge behalten.
Wie bereiten Sie sich als Betriebsrat auf das Gespräch mit einem suchtkranken Kollegen vor?
Sie werden feststellen, dass die Gespräche mit alkoholkranken Kollegen in der Regel besonders schwierig sind. Es kommt zum einen darauf an, wie sich der Alkoholkranke im Gespräch verhält, ob er Einsicht zeigt, einen festen Willen zur Abkehr von seiner Sucht an den Tag legt oder ob es sich dabei erkenntlich mehr oder weniger nur um Lippenbekenntnisse handelt. Zum anderen sind im Gespräch gleichzeitig Hilfsbereitschaft und Interesse wie auch die Fähigkeit zur Konfrontation gefordert. Gegenüber abhängigen Kollegen müssen Sie als Betriebsrat Ihr Selbstverständnis aufgeben, sich stets schützend vor Mitarbeiter zu stellen. Es hilft Betroffenen nicht, wenn Betriebsrat, Vorgesetzte und Kollegen aus falsch verstandener Nachsicht und Kollegialität wegschauen und Suchtprobleme zu vertuschen oder zu verharmlosen versuchen. Mit einem solchen Verhalten machen sie sich zu Co-Alkoholikern: Sie tragen dazu bei, dass der alkoholkranke Kollege seine bisherigen Gewohnheiten beibehält. Ein Abhängiger ist in der Regel erst dann bereit, sich professioneller Hilfe anzuvertrauen, wenn sein Leidensdruck sehr hoch ist. Dem suchtkranken Mitarbeiter müssen Sie daher unmissverständlich verständlich machen, dass sein Verhalten aufgefallen ist und er weiterhin unter äußerst kritischer Beobachtung steht. Er muss wissen, dass auch Sie als Betriebsrat ihn vor einer Kündigung nicht schützen können, wenn er sich nicht einem Arzt anvertraut, um seine Erkrankung attestieren zu lassen und sich notwendigen medizinischen Maßnahmen zu unterziehen.
Tipps für das erste Gespräch zwischen Betriebsrat und Süchtigen
Für Sie als Betriebsrat ist das natürlich eine Gratwanderung: Bei aller Unnachsichtigkeit gegenüber dem Suchtverhalten den betroffenen Kollegen muss der Betriebsrat wohlwollende Unterstützung unter der Bedingung zusagen, dass sie bereit sind, fachgerechte Hilfe anzunehmen. Nur dann können sie ihr Leben wieder in den Griff kriegen. Um im Gespräch die nötige Festigkeit zu bewahren, hat es sich bewährt, wenn Sie als Betriebsrat sich gut vorbereiten und sich als Gedächtnisstütze einige Stichworte und Fragen für das Erstgespräch notieren wie z.B.:
- Was wollen Sie in dem Gespräch erreichen?
- Welche Punkte wollen Sie unbedingt ansprechen?
- Wie wollen Sie das Gespräch beginnen?
- Wie wird der Kollege vermutlich reagieren?
- Wie verhalten Sie sich, damit es nicht zu einem Schlagabtausch kommt, Sie sich aber auch nicht einwickeln lassen?
Oft hilft es, wenn Sie als Betriebsrat Ihr Vorgehen anhand folgender Checkliste vor- bzw. nachbereiten, um in Folgegesprächen eventuell Fehler zu vermeiden:
Muss der Arbeitgeber auch etwas zur Suchtprävention beitragen?
Ja, selbstverständlich. Wenn es um den Umgang mit suchtkranken bzw. suchtgefährdeten Kollegen geht, sollten keine Fehler passieren. Hier trägt der Arbeitgeber ein hohes Maß an Verantwortung ebenso wie alle Vorgesetzten, Kollegen und Sie als Betriebsrat. Er hat eine Fürsorgepflicht für seine Mitarbeiter. Das gilt auch für die Suchtprävention. In deren Rahmen muss er:
- die Kollegen aufklären z.B. auf Aktionstagen, durch Vorträge von externen Fachleuten etc.
- Regeln aufstellen, wie in Ihrem Betrieb mit Alkohol und anderen Drogen umgegangen werden soll z. B. in einer Betriebsvereinbarung mit Alkohol- oder Rauchverbot am Arbeitsplatz und Sanktionen für den Fall von Verstößen.
- Führungskräfte schulen z. B. im Umgang mit Suchtgefährdeten und Suchtkranken, Gesprächsführung etc.
Dies bedeutet für den Arbeitgeber aber auch:
- Wenn er einen Beschäftigten wissentlich berauscht arbeiten lässt, verstoßen beide gegen das Arbeitsschutzgesetz. Denn der Arbeitgeber hat alle notwendigen Maßnahmen zur Prävention von Unfällen zu treffen, und der Beschäftigte hat ihn dabei zu unterstützen.
- Die „Grundsätze der Prävention“ in der Unfallverhütungsvorschrift (UVV) nach der Berufsgenossenschaftlichen Vorschrift (BGV) A1 enthalten kein absolutes Alkoholverbot. Dennoch verpflichtet deren § 7 den Arbeitgeber zum Einschreiten: „Der Unternehmer darf Versicherte, die erkennbar nicht in der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht beschäftigen.“
- Die gesetzliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber unter Drogen stehenden, von der Arbeit ausgeschlossenen Beschäftigten besteht weiter. Ein alkoholisierter Mitarbeiter darf keinesfalls sich selbst überlassen werden und womöglich mit dem eigenen Auto nach Hause fahren. Er muss – je nach Zustand – einem Krankenhaus übergeben, im Betrieb beaufsichtigt oder kontrolliert nach Hause gebracht werden.
Sofern dem Vorgesetzten das Alkoholproblem eines Mitarbeiters noch nicht bekannt ist oder er trotz besserem Wissen untätig bleibt, sollten Sie als Betriebsrat die Verantwortlichen informieren und erforderliche Maßnahmen mit ihnen beraten. Das ist in diesem Falle kein Anschwärzen, sondern die einzig sinnvolle Hilfe für den betroffenen Mitarbeiter.
Wie sieht Prävention gegen Nikotinsucht aus?
Der Arbeitsplatz gehört zum Machtbereich des Arbeitgebers. Deshalb kann er auch ein uneingeschränktes Rauchverbot am Arbeitsplatz verhängen. Er muss noch nicht einmal einen Raucherbereich zur Verfügung zu stellen. Ein Anspruch auf eine Zigarettenpause gibt es nicht. Der Mitarbeiter darf aber zum Rauchen vor die Tür gehen – auch ständig. Grundsätzlich muss der Mitarbeiter das Rauchen auf die festen Pausen legen, etwa die Mittagspause. Wurden Pausen vorher geduldet, sollte der Arbeitgeber vor einem Verbot Sie als Betriebsrat hinzuziehen. Wer rauchen geht, hat für diese Zeit keinen Anspruch auf Lohn. Pausen müssen nicht bezahlt werden, und das gilt für die Raucherpause genauso wie für die Joghurtpause in der Teeküche. Vor Gericht muss der Arbeitgeber unerlaubte Pausen detailliert nachweisen. Stattdessen kann er die Pflicht zum Ausstempeln anordnen. Aber auch dies müsste mit Ihnen als Betriebsrat abgesprochen werden.
Verstöße gegen ein klares Rauchverbot kann der Arbeitgeber mit einer Abmahnung ahnden und im Wiederholungsfall mit Kündigung. Ist das Rauchen zwar gestattet, ein Mitarbeiter macht aber zu viele oder zu lange Raucherpausen, verletzt er seine Hauptleistungspflicht aus dem Vertrag, die Erbringung der Arbeitsleistung. Auch das berechtigt zu Abmahnung und schließlich Kündigung. Überdies muss der Arbeitgeber auch die Rechte der nichtrauchenden Kollegen beachten. Gewährt er nur Rauchern Pausen, verstößt er gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Beschweren sich Kollegen über den Qualm, muss er sie davor schützen. Ist der Schutz organisatorisch nicht anders möglich, hilft nur ein Rauchverbot.
Was aber, wenn der Vorgesetzte selbst ein Suchtproblem hat?
Hierzu gibt es kein Patentrezept. Die Antwort hierauf hängt von einer Fülle von Faktoren ab, z.B.:
- vom persönlichen Verhältnis zum Kollegen,
- von der Dynamik im Team,
- von der Hierarchie,
- vom eigenen Status im Betrieb,
- vom eigenen Selbstbewusstsein.
Kollegen haben grundsätzlich die Chance, Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen. Rückmeldungen an betroffene Mitarbeiter können dazu anregen, das eigene Handeln zu überdenken und Veränderungen in Gang zu setzen. Dennoch rät Reppahn dazu, den ersten Schritt wohlüberlegt zu vollziehen und gegebenenfalls vorab mit Vertrauten oder betrieblichen Ansprechpartnern zu reden. Man muss mit abwehrenden oder ausweichenden Reaktionen des Betroffenen rechnen. Das kann die Beziehung dann zunächst verschlechtern und einen weiteren Zugang erschweren.
Muss Suchtprävention nicht auch am mobilen Arbeitsplatz erfolgen?
Ja, auch da ist Prävention gefragt. Je digitaler die Unternehmen agieren und je mobiler Arbeitnehmer sind, desto mehr müssen sie auch Präventionsangebote zum Arbeits- und Gesundheitsschutz digital und mobil zur Verfügung stellen. Nur so können Sie Mitarbeiter auch am mobilen Arbeitsplatz schulen und in Gefährdungen unterweisen. Das bedeutet: Unternehmen müssen Materialien für Unterweisungen digital aufbereiten. Sie müssen sie auf Datenbanken bereitstellen. Die Arbeitnehmer ihrerseits müssen sie innerhalb eines festgelegten Zeitraums abrufen. Dem Arbeits- und Gesundheitsschutz obliegt es, den Abruf der Unterweisungen zu kontrollieren.