Stress im Betriebsrat: Ihre Kollegen im Gremium sind auch nur Menschen
Dauernd engagiert, ständig präsent, geistig wie körperlich – Betriebsrat, das ist Stressjob pur. Wenn Sie als Betriebsrat nicht aufpassen, fackeln Sie ab wie ein Strohfeuer – und holen weniger für Ihre Kollegen heraus.
Stress im Betriebsrat – gibt es sowas überhaupt?
Geschäftsführung Betriebsrat. Ja, und wie! Aber offenbar scheint das niemand zu merken – oder wahrhaben zu wollen. „Stress und Belastung von betrieblichen Interessenvertretern sind ein bisher weitgehend weißes Forschungsfeld“, konstatierte schon 2000 Martin Seidl in den WSI-Mitteilungen. Viel hat sich daran bis heute nicht geändert. Er sah einen Grund dafür darin, dass man Berufslaufbahnen anderer Beschäftigungsgruppen als wichtiger empfindet als die eines. Eine Auswertung von Fragebogen aus dem Jahr 1996 habe gezeigt, dass die betrieblichen Interessenvertreter in der Tat vielen Varianten beruflichen Stresses ausgesetzt sind. Dies führe zu Symptomen, wie sie auch von anderen Stresssituationen außerhalb des Betriebsrates bekannt sind:
- Herzrhythmusstörungen,
- Schilddrüsenüberfunktionen,
- Magengeschwüre,
- Alkoholprobleme.
Trotzdem übe die Tätigkeit eines Betriebsrats trotz allen Belastungen aber auch eine stark Identität stiftende und damit den Stress kompensierende Wirkung aus.
Was kann Sie als Betriebsrat so richtig fertig machen?
Weniger die kurzzeitigen Belastungen, als vielmehr Ihr dauerhaftes Engagement und Ihre ständige Präsenz als Betriebsrat im betrieblichen „Wahnsinn“, wie es 2010 eine Handlungshilfe der IG Metall für Betriebsräte und Vertrauensleute formuliert. Sie findet folgende Belastungsfaktoren für Betriebsratsmitglieder, die einzeln oder in Kombination auftreten können und die Sie als Betriebsrat nicht unterschätzen sollten:
- keine zufriedenstellende Balance bei der Doppelbelastung zwischen Betriebsratsarbeit und Arbeitsplatz,
- unzureichende Verdauungsmöglichkeit erlebter Undankbarkeit, böser Vorwürfe, ungerechter Vorurteile von Seiten der Mitarbeiter,
- Empfinden von Bedrohlichkeit durch Konflikte, Aggressionen, Herablassung usw. von Seiten der Vorgesetzten oder der Geschäftsleitung,
- Schwindendes Selbstwertgefühl aufgrund von inkonsequentem Vorgehen, Konflikten oder fehlenden Erfolgen und ausbleibende Erfolgserlebnisse,
- Körperliche und seelische Verausgabung durch überstarkes Engagement an zu vielen Problemstellen,
- Verausgabung angesichts besonders problematischer betrieblicher Entwicklungen (Sozialplanverhandlungen, Personalabbau; usw.)
Wie gehen Sie als Betriebsrat mit Stressfaktor Nr. 1, dem Zeitdruck um?
Zeitdruck ist ein besonders wichtiger Widersacher von effektiver Betriebsratsarbeit. Er bedeutet Stress für alle Beteiligten:
- körperlich,
- seelisch,
- geistig.
Sie als Betriebsrat greifen unter Stress auf stereotype Handlungsmuster zurück, weil Sie keine Zeit haben, um in Ruhe über neue nachzudenken. Unter Zeitdruck handeln Sie im Betriebsrat:
- mit innerlicher Hektik,
- Ihre Betriebsratsmitglieder gewinnen den Eindruck, dass nicht einmal genügend Zeit vorhanden ist, um alle verfügbaren Informationen angemessen zu berücksichtigen.
- Auswahl von Informationen erfolgt hektisch und nach simplen Kriterien.
- Ihre Betriebsratskollegen nutzen in Stresssituationen nur noch ihnen vertraute, tatsächlich aber nicht unbedingt entscheidende Informationen, weil sie Handlungssicherheit suggerieren – oder irgendwie auffällige Informationen, die Wichtigkeit vorspiegeln.
Sie als Betriebsrat überprüfen Ihre eigenen Auswahlkriterien für Informationen aus Zeitgründen nicht mehr. Eine systematische Bearbeitung scheint ebenfalls zu viel Zeit zu kosten. Ihr Betriebsratsgremium gibt sich mit Informationen aus der Zeitnot heraus zufrieden, die aber nicht die notwendige Entscheidungssicherheit geben. Folge: Zeitdruck verursacht insofern stets besondere Angst vor einer Fehlentscheidung. Sie haben als Betriebsrat nicht genügend Zeit zum Nachdenken, Sie beschleicht das ungute Gefühl, die Folgen Ihres eigenen Handelns nicht mehr absehen zu können.
In einer solchen Situation helfen ein paar Ratschläge:
- Treten Sie als Betriebsrat aus dem Teufelskreis von Zeitdruck-Stress-Fehlentscheidung heraus!
- Entdecken Sie als Betriebsrat für sich die Langsamkeit!
- Suchen Sie sich Bündnispartner und rechtliche Unterstützung!
- Führen Sie mit Ihren Betriebsratskollegen beispielsweise eine Klausurtagung zu den anstehenden Themen durch!
- Geben Sie beispielsweise von der Arbeitgeberseite erzeugten Druck an diese zurück! („Dann verlagern wir die Produktion“ – „Dann erklären Sie uns erst einmal ausführlich, wie Sie das bewerkstelligen wollen!“)
- Arbeiten Sie die Themen Schritt für Schritt im eigenen Rhythmus ab!
Was können vom Stress geplagte Betriebsratsmitglieder selbst tun?
Gerade Ihre teilweise freigestellten Kollegen im Betriebsrat sind durch den Wechsel von Aufgaben und Personen besonders gestresst. An den äußeren Umständen und dem Arbeitsaufkommen lässt sich oft wenig ändern. An der eigenen Haltung kann hingegen jeder arbeiten. Doch wie soll das funktionieren? Durch eine Verringerung des Stresses? Bei einem solchen Vorschlag wird so mancher Kollege von Ihnen im Betriebsrat nur müde lächeln. Schließlich muss die Arbeit getan werden. Ihre teilweise freigestellten Betriebsratskollegen werden hier auf die Doppelbelastung durch Arbeitsplatz und Betriebsratsengagement verweisen. Und nicht zu Unrecht: an den Aufgaben, mit denen Sie es als Betriebsrat zu tun haben und die Sie unter Umständen belasten, werden Sie meistens wenig ändern können. Aber oft können Sie als Betriebsrat lernen, anders damit umzugehen.
An der eigenen Haltung arbeiten
Manches, was stresst, erzeugt man durch seine Haltung selbst. Dazu gehören Gedanken wie „Niemand macht es so gut wie ich“ oder „Keiner kann es mir Recht machen“. Wer so denkt, kann nicht delegieren und überlastet sich. Stellen Sie als Betriebsrat sich selbst die Frage: „Wer kann es so gut wie ich?“ Üben Sie sich darin, Aufgaben abzugeben. Überprüfen Sie sich auch auf weitere Stresshaltungen:
- Alles muss perfekt sein.
- Alles muss geschafft werden.
- Ich muss es alleine können.
In ruhigen Momenten werden Sie erkennen, dass das nicht stimmt. Aber im Alltag sind darauf aufbauende Verhaltensmuster sehr eingeschliffen. Damit Sie nicht immer wieder auf die alten Stresspfade geraten, müssen auch Sie als Betriebsrat Ihre Arbeitsweise ändern. Ein Beispiel: Wenn Sie eine Präsentation erstellen, arbeiten Sie sie zuerst so aus, dass sie akzeptabel ist. Ist dann noch Zeit übrig, verbessern Sie sie so gut wie möglich – und beenden die Arbeit, auch wenn sie nicht perfekt ist.
Aktiv Beziehungen zu Kollegen verbessern
Stress entsteht häufig aus negativen Beziehungen. Wenn Sie zu Kollegen in Ihrem Betriebsrat ein schlechtes Verhältnis haben, werden Sie unter Umständen schon beim Betreten des Betriebes oder beim Klingeln des Telefons gestresst sein. Hier einige Tipps, wie Sie als Betriebsrat vorbeugen können:
- Gewöhnen Sie sich eine gewaltfreie Sprache an!
- Bleiben Sie auch in Konflikten freundlich!
- Lösen Sie schlechte Stimmung durch neutrale Begegnungen auf! Gehen Sie mit Ihren Betriebsratskollegen anschließend gemeinsam zum Mittagessen und quatschen Sie über Gott und die Welt, alles Mögliche, nur nicht über den Gegenstand Ihrer Auseinandersetzung im der vorangegangenen Betriebsratssitzung. Dann sollen Sie mal sehen: den Streit in der Betriebsratssitzung haben alle schneller vergessen, als er entstanden war.
- Bedenken Sie als Betriebsrat bei einem Konflikt immer: es alles nicht persönlich gemeint. Ihre Gegner wollen nicht Sie selbst oder Ihre Vorhaben blockieren. Sie sind einfach anderer Meinung als Sie. So nehmen Sie Konflikte weniger persönlich.
- Lassen sich Dauerkonflikte mit Ihren Kollegen im Betriebsrat partout nicht lösen, versuchen Sie, negative Erlebnisse zu verringern. Sie können Konflikten ausweichen, wenn Ihnen ein Thema nicht am Herzen liegt. Persönliche Begegnungen mit Konfliktpartnern können Sie weitgehend vermeiden, indem Sie verstärkt über E-Mail und Telefon kommunizieren.
Negative Zeitgenossen ausbremsen
Sie werden vielleicht in Ihrem Betriebsrat Kollegen haben, die an starker Beanspruchung erst wachsen und viel Arbeit als befriedigend empfinden. Andere leiden darunter und fühlen sich gestresst. Entscheidend ist die Haltung zur Arbeit und der Umgang mit den Aufgaben und den beteiligten Menschen. Manch einer beklagt sich über alles: die Arbeit, die Kollegen und Vorgesetzten und die private Situation. Meiden Sie nach Möglichkeit den Umgang mit solchen negativen Einflüsterern. Können Sie den negativen Zeitgenossen nicht aus dem Weg gehen, suchen Sie nach Wegen, ihre Gefühle und Aussagen abzuwehren:
- Sagen Sie offen, dass Sie ständiges Jammern und Klagen nicht schätzen.
- Denken Sie bewusst an andere Dinge, wenn der Pessimist sich mal wieder auslässt.
- Halten Sie ihnen offensiv Ihre positive Grundhaltung entgegen, Motto: „Ich bin gerne Betriebsrat.“ Erheben Sie es zu Ihrem Mantra!
- Zeigen Sie gegenüber negativen Zeitgenossen kein Mitleid – sie würden das nur als Aufforderung verstehen, mit ihren Klagen fortzufahren. Sie sind nicht verantwortlich für Frustrationen oder andere negative Gefühle von anderen und müssen deshalb auch niemanden von seiner Haltung abbringen.
- Werden Sie sich der eigentlich Art Ihres Stresses bewusst! Wenn Sie tausend Briefe an einem Tag eintüten müssen, sind Sie vielleicht gelangweilt oder genervt, weil es so viel Arbeit ist. Aber Sie sind nicht gestresst, weil Sie sich vollständig sicher sind, diese Aufgabe in der zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen zu können. Stress kommt dagegen häufig auf, wenn man für die Erledigung einer Aufgabe nicht die notwendige Qualifikation oder Zeit hat: die tausend Briefe in einer Stunde eintüten zu müssen, wäre Stress, weil Sie es zeitlich vielleicht nicht schaffen.
- Vermeiden Sie deswegen Überforderung in zeitlicher und fachlicher Hinsicht! Lehnen Sie unsichere Aufgaben entweder ab oder holen Sie sich rechtzeitig Hilfe von Betriebsratskollegen. Planen Sie bei neuen Aufgaben Zeit für eine Einarbeitung ein!
Im Team arbeiten
Im Betriebsrat arbeiten Sie im Team. Eine gute Teamarbeit hat viele segensreiche Auswirkungen, sie wirkt unter anderem auch vorbeugend gegen Stress. Sie bekommen schnell Hilfe, wenn Sie überfordert sind oder können unkompliziert um Hilfe bitten. In Teams kommt es meist auch nicht so leicht zu einer fachlichen Überforderung, weil mehrere Personen unterschiedliche Defizite gegenseitig ausgleichen können. Was der eine nicht kann, kann der andere und umgekehrt. Wichtig ist die Kommunikation im Team. Sie verhindert, dass sich negative Stimmungen aufbauen, weil man diese im Austausch beseitigen kann. Wenn Sie im Betriebsrat also Aufgaben übernehmen, fragen Sie im Team nach Möglichkeit: „Wer kann mitmachen?“ Bieten Sie umgekehrt auch Ihre Hilfe an!
Meistens hat eine Situation zwei Seiten: eine negative und eine positive. Suchen Sie nach einem anderen Blickwinkel, wenn Sie sich gestresst fühlen: „Wenn ich die Serienbrieffunktion verstanden habe, kann ich Betriebsratsaussendungen in Zukunft schnell und einfach erledigen“ oder „Diese Recherche ist zwar kompliziert, aber damit helfe ich dem Arbeitnehmer enorm.“ Manchmal hilft auch die gedankliche Zeitmaschine. Denken Sie intensiv an den Zeitpunkt, an dem Sie die Aufgabe erledigt haben und eventuell die Früchte Ihrer Arbeit ernten können: „Wenn ich dem Kollegen morgen die Checkliste für das Verhalten beim Zielgespräch mit dem Arbeitgeber gebe, wird ihm das eine große Hilfe sein.“
Realistische Ziele entwickeln
In einem negativen Umfeld können Menschen erfolgreich ihren Weg gehen, wenn sie ihre Ziele an den realen Möglichkeiten ausrichten. Stress im Betriebsrat rührt dagegen häufig daher, dass Betriebsratsmitglieder ein Optimum anstreben und dieses in der Regel nicht erreichen. Entwickeln Sie deshalb realistische Ziele:
- einem ungerechtfertigt gekündigten Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz retten? Nicht immer ist das möglich. Aber Sie können ihm unter Umständen zu einer hohen Abfindung und einem guten Arbeitszeugnis verhelfen.
- Eng mit anderen Betriebsratsmitgliedern zusammenarbeiten und auch gelegentlich privat etwas zusammen unternehmen? Mancher Betriebsratskollegen will das nicht, einige sperren sich dagegen. Dann freuen Sie sich darüber, wenn das zumindest mit Einzelnen möglich ist.
- Alle Aufgaben optimal erledigen? Seien Sie realistisch! Das ist nicht immer möglich. Prüfen Sie stattdessen, was Ihnen wirklich am Herzen liegt und konzentrieren Sie Ihre Energie darauf!
Auch wenn Sie aus dem ernsthaften Bemühen, etwas für die Arbeitnehmer zu tun, Betriebsrat geworden sind: Es ist jederzeit legitim, Spaß an der Betriebsratsarbeit zu haben. Suchen Sie sich deshalb als Ausgleich zu unangenehmen, aber nötigen Aufgaben auch Dinge, die Ihnen Freude machen – dann klappt es auch mit den anderen Betriebsratskollegen und -Kolleginnen.