Statt Wahl: Freistellung im Gesamtbetriebsrat erfolgt durch Beschluss
Sowohl der Gesamtbetriebsrat als auch der Konzernbetriebsrat können Mitglieder freistellen. Die Auswahl der freizustellenden Personen erfolgt dabei laut BAG nicht per (Verhältnis-)Wahl, sondern durch schlichten Mehrheitsbeschluss – ein Schlag ins Gesicht für die Minderheitsfraktionen in den überörtlichen Gremien.
Worum geht es?
Mitbestimmung. In einem Unternehmen stimmten Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat darin überein, dass vier Gesamtbetriebsratsmitglieder vollständig freigestellt werden sollen. Im Rahmen einer Gesamtbetriebsratssitzung traf das Gremium die Auswahlentscheidung über die Personen der freizustellenden Mitglieder. Es wurden zwei Wahlvorschläge mit jeweils vier Personen für die Freistellungsentscheidung eingebracht. Der eine Vorschlag entsprach dabei dem Wunsch der Minderheitsfraktion, der zweite Vorschlag wurde von der Mehrheitsfraktion favorisiert. Die Freistellungsentscheidung erfolgte – gegen den Willen der Minderheitsfraktion – durch einfachen Mehrheitsbeschluss. Dagegen klagte die Minderheitsfraktion. Sie hielt die Durchführung einer Freistellungswahl per Verhältniswahl nach § 38 Abs. 2 BetrVG für geboten.
Das sagt das Gericht
Das BAG wies die Klage ab. Zunächst stellten die Bundesrichter klar, dass der Gesamtbetriebsrat eine generelle (Teil-)Freistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder beanspruchen könne. Voraussetzung hierfür sei, dass er die Erforderlichkeit der beanspruchten generellen Freistellungen für seine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung konkret darlege. Seine Auswahlentscheidung über die freizustellenden Mitglieder treffe der Gesamtbetriebsrat durch einfachen Mehrheitsbeschluss. Eine Wahl entsprechend § 38 Abs. 2 BetrVG müsse nicht durchgeführt werden. BAG, Beschluss vom 26.09.2018, Az.: 7 ABR 77/16
Das bedeutet für Sie als Betriebsrat
Eine durchaus bemerkenswerte Entscheidung des BAG, denn während der örtliche Betriebsrat bei der Auswahl der freizustellenden Mitglieder das Wahlverfahren gemäß § 38 Abs. 2 BetrVG (Verhältniswahl) und damit den Minderheitenschutz zu beachten hat, erteilt er dem Minderheitenschutz bei der Auswahlentscheidung in überörtlichen Gremien eine Absage, indem er dort die Kandidatenkür für die Freistellung per Mehrheitsbeschluss gestattet.
Hinweis: Minderheitenschutz im BetrVG nachrangig
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung könnte man zu der Auffassung gelangen, dass das BAG dem Minderheitenschutz nicht die allerhöchste Priorität einräumt. Denn bereits in früheren Entscheidungen brachten die Bundesrichter zum Ausdruck, dass der Minderheitenschutz kein allgemeines Prinzip der Betriebsverfassung ist und regelmäßig nur dort beachtet werden muss, wo der Gesetzgeber dies durch ausdrückliche Regelungen punktuell vorschreibt, z. B. § 25 Abs. 2 (Nachrücken von Ersatzmitgliedern), § 27 Abs. 1 BetrVG (Wahl der Mitglieder für den Betriebsausschuss) und 28 BetrVG (Wahl der Mitglieder für andere Ausschüsse).
Freistellungsoption war überfällig
Engagierte Betriebsratsmitglieder mit Doppelfunktion (Mitglied im Betriebsrat und im Gesamt- oder Konzernbetriebsrat) wissen, dass die Aufgabenerfüllung in einem überörtlichen Gremium besondere Kenntnisse erfordert und einen Arbeitsumfang aufweist, der nicht selten über die Tätigkeit im örtlichen Gremium hinausgeht. Lange Zeit bestand Unklarheit über die rechtlichen Grundlagen, um diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen – bis das BAG eingesehen hat, dass auch im Gesamt- und Konzernbetriebsrat Bedarf an freigestellten Betriebsräten besteht (BAG, Beschluss vom 23.05.2018, Az.: 7 ABR 14/17).