15.06.2021

Schwerbehinderung: Einladung zum Vorstellungsgespräch

Dem Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG sind auch die durch das Benachteiligungsverbot von § 7 Abs. 1 AGG geschützten Personengruppen unterworfen. Deshalb ist eine Einladung eines Schwerbehinderten (oder Gleichgestellten) zu einem Vorstellungsgespräch entbehrlich, wenn dessen fachliche Eignung offensichtlich fehlt, die in einem zulässigen Anforderungsprofil als zwingendes Auswahlkriterium gefordert wird, beispielsweise der Nachweise einer bestimmten Mindestnote eines geforderten Ausbildungsabschlusses. Allerdings muss die Einstellungsbehörde nachweisen, dass die Note als Mindestanforderung im gesamten Bewerbungsverfahren konsequent beachtet worden ist. So entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 29. April 2021 – 8 AZR 279/20 (Pressemitteilung).

Vorstellungsgespräch

Welche Rechtsgrundlagen sind bei Schwerbehinderung zu beachten?

Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Dies kann anzunehmen sein, wenn der/die Bewerber/in eine in einem nach Art. 33 Abs. 2 GG zulässigen Anforderungsprofil als zwingendes Auswahlkriterium bestimmte Mindestnote des geforderten Ausbildungsabschlusses nicht erreicht hat. Daran ändert der Umstand nichts, dass § 165 Satz 4 SGB IX als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist. Dem Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG sind auch die durch das Benachteiligungsverbot von § 7 Abs. 1 AGG geschützten Personengruppen unterworfen.

Was war geschehen?

Im Sommer 2018 schrieb das Bundesamt für Verfassungsschutz für eine Beschäftigung mehrere Stellen als Referenten/Referentinnen aus. In der Stellenausschreibung heißt es u.a.: „Sie verfügen über ein wissenschaftliches Hochschulstudium der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften … mit mindestens der Note ‚gut‘.“ Der Kläger, der sein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen hat, bewarb sich innerhalb der Bewerbungsfrist unter Angabe seiner Schwerbehinderung. Er wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt mit E-Mail vom 17. Juli 2018 die Mitteilung, dass er nicht in die engere Auswahl einbezogen worden sei. Auf seine außergerichtliche Geltendmachung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wurde dem Kläger mitgeteilt, er erfülle, da er sein Studium mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen habe, nicht die formalen Kriterien der Stellenausschreibung und habe deshalb nach § 165 Satz 4 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen.

Argumente des schwerbehinderten Stellenbewerbers

Der Bewerber verfolgte seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung. Er hat die Auffassung vertreten, das Bundesamt habe ihn den Vorgaben des SGB IX und des AGG zuwider wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Dies folge daraus, dass es ihn entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Er sei auch fachlich für die Stelle geeignet gewesen. Die in § 165 Satz 4 SGB IX zugelassene Ausnahme von der Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Stellenbewerbern sei eng auszulegen. Damit sei es unvereinbar, die Abschlussnote eines Studiums als Ausschlusskriterium anzusehen. Das Bundesamt habe dieses Kriterium auch nicht während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe des BAG

Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Zwar hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass das Bundesamt berechtigt war, in der Stellenausschreibung für den von ihr geforderten Hochschulabschluss die Mindestnote „gut“ als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen, und dass dem Kläger angesichts dessen die fachliche Eignung für die ausgeschriebenen Stellen offensichtlich fehlte. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft, ob das Bundesamt auch niemand anderen, der das geforderte Hochschulstudium nicht mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossen hatte, zum Vorstellungsgespräch eingeladen bzw. eingestellt hat.

Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, die Anforderung eines bestimmten, mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossenen Hochschulstudiums im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren konsequent angewendet hat. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.

Autor*in: Werner Plaggemeier (langjähriger Herausgeber der Onlinedatenbank „Personalratspraxis“)