09.01.2018

Schwellenwert: Bei Freistellungen zählen Leiharbeiter mit

Über die Frage, wie viele Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt werden, um sich voll auf die Betriebsratsarbeit konzentrieren zu können, entscheidet die Belegschaftsstärke. Das BAG hat unlängst bestätigt, dass bei deren Feststellung auch Leiharbeiter mitzuzählen sind. BAG, Beschluss vom 02.08.2017, Az.: 7 ABR 51/15

Freistellung Betriebsrat Leiharbeiter

Worum geht es?

Geschäftsführung Betriebsrat. Ein Automobilzulieferer setzte zusätzlich zur Stammbelegschaft über Jahre hinweg rund 150 Leiharbeiter ein. Von Oktober 2014 bis Juni 2015 beschäftigte das Unternehmen 433 Vertragsarbeitnehmer und mehr als 150 Leiharbeitnehmer. Ende Juni waren es 463 Vertragsarbeitnehmer und 165 Leiharbeitnehmer. Ein Betriebsratsmitglied war von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Der Betriebsrat forderte die Freistellung eines weiteren Mitgliedes, was die Arbeitgeberin jedoch ablehnte. Der Betriebsrat beantragte deshalb, feststellen zu lassen, dass die Arbeitgeberin zur Freistellung eines zweiten Betriebsratsmitgliedes verpflichtet sei.

Das sagt das Gericht

Die Klage hatte Erfolg. Der Betriebsrat könne die Freistellung von zwei seiner Mitglieder verlangen, entschieden die Bundesrichter. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG seien in Betrieben mit in der Regel 501 bis 900 Arbeitnehmern zwei Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen. Leiharbeitnehmer seien dabei mit zu berücksichtigen, wenn sie zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebes zählten. Denn nach § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG in der seit dem 01.04.2017 geltenden Fassung seien Leiharbeitnehmer auch im Entleihbetrieb zu berücksichtigen, wenn Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmern voraussetzten. Daher seien Leiharbeitnehmer bei der nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG maßgeblichen Beschäftigtenzahl für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder mitzuzählen. Die Arbeitgeberin beschäftige im Streitfall unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer in der Regel mindestens 501 Arbeitnehmer in ihrem Betrieb. BAG, Beschluss vom 02.08.2017, Az.: 7 ABR 51/15

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Für die Beantwortung der Frage, wie viele Arbeitnehmer in der Regel im Betrieb beschäftigt sind, ist die normale Beschäftigtenanzahl entscheidend, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Die Feststellung der Beschäftigtenanzahl erfordert nach Meinung des BAG sowohl eine rückblickende Betrachtung, als auch eine Prognose, bei der konkrete Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen sind. Für die rückblickende Betrachtung wird ein Zeitraum zwischen sechs Monaten und zwei Jahren als angemessen betrachtet. Hat der Arbeitgeber die Entscheidung, Personal abzubauen, getroffen und dargelegt, rechtfertigt dies die Prognose eines unmittelbaren Rückgangs der Mitarbeiteranzahl.

Übersicht: Erforderlichkeit einer zusätzlichen Freistellung

  • große räumliche Entfernungen wegen weitverzweigter Betriebsstätten
  • Betriebsgröße liegt knapp unter der nächsten Stufe der Mindeststaffel
  • Drei- bzw. Mehrschichtbetrieb
  • erhöhter Arbeitsanfall aufgrund betrieblicher Umstrukturierungsmaßnahmen
  • Mehrbelastung durch vom Regelfall abweichende Besonderheiten der betrieblichen Organisation
  • Betriebsänderung
  • Einführung eines EDV-Systems

Betriebsrat kann zusätzliche Freistellungen erzwingen

Über die Anzahl der mindestens freizustellenden Betriebsratsmitglieder entscheidet die Belegschaftsstärke. Bei 200 bis 500 Arbeitnehmern ist genau ein Betriebsratsmitglied für die erforderlichen Betriebsratsaufgaben freizustellen. Mit steigender Betriebsgröße wächst gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Die Schwellenwerte schreiben dabei lediglich die Zahl der Mindestfreistellungen fest, d. h., es sind auch darüber hinausgehende Freistellungen möglich. § 38 Abs. 1 Satz 4 BetrVG gestattet anderweitige Regelungen über die Freistellung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung. Für die Beurteilung der Frage der Erforderlichkeit einer Freistellung über die Anzahl der Mindestfreistellungen hinaus gibt es keine Richt- oder Erfahrungswerte. Entscheidend ist, ob zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben zusätzliche Freistellungen erforderlich sind (vgl. Übersicht).

Hinweis

Vor dem Hintergrund, dass in vielen Unternehmen die faktische Belegschaft zu einem nicht unerheblichen Teil aus Leiharbeitnehmern besteht, ist die Entscheidung des Gesetzgebers nur konsequent. Eine größere Belegschaft aufgrund des Einsatzes von Leiharbeitern darf nicht eine Schwächung der betrieblichen Mitbestimmung zur Folge haben. Der Betriebsrat muss über ausreichend Zeit-Ressourcen zur Bewältigung seiner Arbeit verfügen. Schließlich kümmert er sich auch um die Belange der Leiharbeiter. Je mehr Beschäftigte der Betriebsrat zu vertreten hat, desto mehr Zeit und Manpower benötigt er für diese Aufgabe.

Autor*in: Daniel Roth (ist Chefredakteur des Beratungsbriefs Urteils-Ticker Betriebsrat.)