Nicht jede Regelung aus „vorbetriebsratlicher“ Zeit hat Bestand
Betriebliche Regelungen aus einer Zeit, in der es im Betrieb noch keine Interessenvertretung gab, verlieren mit der Wahl eines Betriebsrats nicht automatisch ihre Gültigkeit. Das neu gewählte Gremium muss bestehende Alt-Regelungen akzeptieren – sofern diese wirksam vereinbart wurden, meint das LAG Hamm. LAG Hamm, Beschluss vom 09.05.2017, Az.: 7 TaBV 125/16
Worum geht es?
Geschäftsführung Betriebsrat. Eine Paketzustellungsfirma nahm im April 2015 ihren Betrieb auf. Im Februar 2016 konstituierte sich ein Betriebsrat. Laut dem auf die Arbeitsverhältnisse anwendbaren Tarifvertrag beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 39 Stunden. Die Arbeitsverträge enthalten zudem eine Klausel, wonach die Arbeitnehmer die für den Betrieb jeweils geltenden Betriebsordnungen anzuerkennen haben. Von Beginn an existiert u. a. eine „Arbeitszeit-Betriebsordnung“, die eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 52 Stunden gestattet. Der Betriebsrat meinte, dass die Anordnung von Mehrarbeit auf Grundlage der „Arbeitszeit-Betriebsordnung“ ohne seine Zustimmung unwirksam sei. Zum einen liege keine wirksame Vereinbarung der Betriebsordnung mit den Arbeitnehmern vor und zum anderen verletze dieses Vorgehen das Gremium in seinen Mitbestimmungsrechten. Deshalb müsse die Arbeitgeberin die einseitige Anordnung von Mehrarbeit auf Basis der „Arbeitszeit-Betriebsordnung“ künftig unterlassen.
Das sagt das Gericht
Das Gericht gab dem Betriebsrat Recht. Die von der Arbeitgeberin ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgte Anordnung von Mehrarbeit habe den Betriebsrat in seinen Mitbestimmungsrechten aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG verletzt. Danach habe das Gremium sowohl bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, als auch bei deren vorübergehenden Verlängerung mitzubestimmen. Der Unterlassungsanspruch sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die „Arbeitszeit-Betriebsordnung“ bereits vor der Konstituierung des Betriebsrats gegolten habe, weil diese nicht wirksam in die Arbeitsverträge einbezogen worden sei. Die Einbeziehung sei an der sogenannten Jeweiligkeitsklausel gescheitert, mit der sich die Arbeitgeberin das Recht vorbehalten habe, die in den Betriebsordnungen niedergelegten Arbeitsbedingungen einseitig zu ändern. Da Verträge grundsätzlich für beide Vertragspartner bindend seien, weiche ein solches einseitiges Vertragsänderungsrecht von allgemeinen Rechtsvorschriften ab und sei den Arbeitnehmern deshalb hier nicht zumutbar. LAG Hamm, Beschluss vom 09.05.2017, Az.: 7 TaBV 125/16
Das bedeutet für Sie als Betriebsrat
Der Umstand, dass in einem Betrieb Regelungen zur Anwendung kommen, die vor der erstmaligen Konstituierung einer Arbeitnehmervertretung vereinbart wurden, führt grundsätzlich nicht zu einem Unterlassungsanspruch des Betriebsrats. Das Gremium verfügt vielmehr lediglich über eine Verhandlungsoption unter Einberufung einer Einigungsstelle gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit § 76 BetrVG, um eine „neue“ Regelung zu schaffen. Denn nach der Rechtsprechung des BAG werden innerbetriebliche Regelungen, die auf Vereinbarungen des Arbeitgebers mit den Beschäftigten beruhen, nicht durch Wahl und Konstituierung eines Betriebsrats quasi unwirksam. D. h., der neu gewählte Betriebsrat muss solche Regelungen bis zu einer Verhandlungslösung billigen (BAG, Urteil vom 25.11.1981, Az.: 4 AZR 274/79). Das gilt, wie im Eingangsfall beleuchtet, allerdings nur für den Fall, dass die aus der „vorbetriebsratlichen“ Zeit stammenden Regelungen wirksam vereinbart wurden.
Hinweis: Jeweiligkeitsklausel
Eine „Jeweiligkeitsklausel“, wonach der Arbeitnehmer die „jeweils“ geltenden Betriebs- und Arbeitsordnungen anerkennt, ist unwirksam (BAG, Urteil vom 12.01.2005, Az.: 5 AZR 364/04).