08.09.2022

Nachtarbeit: Unionsrecht bei der Vergütung nicht anwendbar

Es ist ein Unterschied, ob Nachtarbeit regelmäßig oder unregelmäßig ausgeführt wird. Das schlägt sich in unterschiedlichen Vergütungen nieder. Inwieweit handelt es sich dabei aber um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung? In dieser Frage sieht der Europäische Gerichtshof das Unionsrecht nicht als anwendbar. Daher verwies er einen aktuellen Fall zurück an das Bundesarbeitsgericht.

Nachtarbeit

Zuschlag für gelegentliche Nachtarbeit

Bei den konkret Betroffenen handelt es sich um zwei Beschäftigte, die im Rahmen ihrer regelmäßigen Schichtarbeit auch Nachtarbeit leisten. Der einschlägige Manteltarifvertrag sieht einen Zuschlag für regelmäßige schichtplanmäßige Nacharbeit von 20 Prozent und einen Zuschlag für gelegentliche Nachtarbeit von 50 Prozent vor. Der Arbeitgeber argumentiert für die unterschiedliche Vergütung, da unregelmäßig ausgeübte Nachtarbeit meist eine Form der Mehrarbeit bedeute und in geringerem Umfang anfalle als regelmäßig geplante Nachtarbeit. Die höhere Vergütung solle zudem den Arbeitgeber davon abhalten, spontan Nachtarbeit anzuordnen. Regelmäßige Nachtarbeit werde darüber hinaus durch andere Vergünstigungen wie Freizeit ausgeglichen.

Abweichende Vergütung war inakzeptabel

Für die beiden Kläger war die abweichende Vergütung inakzeptabel. Sie verlangten daher für ihre bisher geleistete Nachtarbeit eine Nachzahlung der Differenz zwischen beiden Vergütungen. Nach ihrer Auffassung sei die unterschiedliche Vergütung eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, da insbesondere die regelmäßige Nachtarbeit gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehe.

Nachdem die Arbeitsgerichte die Klagen abwiesen, sprach das Landgericht Berlin-Brandenburg im Rahmen der Berufung den beiden Klägern einen Teil der Ansprüche zu. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) legte im Zuge der Revisionsprüfung den Fall dem europäischen Gerichtshof vor. Zentral war dabei die Frage, inwiefern die unterschiedliche Vergütung eine Ungleichbehandlung (nach der Richtlinie 2003/88/EG) sowie Art. 20, 51 Abs. 1 der EU-Grundrechte-Charta darstelle.

EU-Recht regelt Arbeitszeitgestaltung, nicht aber die Vergütung

Obwohl aufgrund des Tarifvertrags EU-Recht gelten müsste, hielt der EuGH das europäische Recht in diesem Fall nicht für anwendbar, sodass er in der Sache keine Entscheidung fällte und sie zurückwies. Der Sinn und Zweck der Richtlinie liegt v.a. darin, den Schutz, die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu garantieren. Dazu zählen Regeln für die Arbeitszeitgestaltung, nicht aber für die Vergütung. Die EU-Mitgliedstaaten erfahren damit also keine Vorgaben hinsichtlich der Gehaltsregelungen. Im Rahmen eines Tarifvertrags wird bei der Gehaltsregelung insofern auch kein europäisches Recht angewendet, über das der EuGH zu entscheiden hätte. Daher sind für Fragen der Lohnfestsetzung die Tarifpartner auf nationaler Ebene und bei der Entscheidung über die Ungleichbehandlung aufgrund der Vergütung die nationalen Gerichte verantwortlich.

400 Klagen beim BAG

Den Unterschied zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit führen allerdings zahlreiche Tarifverträge. Das stößt aber schon seit Längerem auf Unverständnis der Betroffenen. Denn allein nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten liegen rund 400 entsprechende Klagen beim BAG zur Entscheidung vor. Es bleibt also abzuwarten, ob sich das BAG dem LAG Berlin-Brandenburg anschließt und eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung annimmt oder, wie das LAG Niedersachsen in einem anderen vergleichbaren Fall entschieden hat, eine solche ablehnt. Fiele die Entscheidung für die Kläger, dann würde das für Tausende Mitarbeitende einen Vergütungsausgleichsanspruch bedeuten (Aktenzeichen C-257/21, C-258/21, EuGH).

Autor*in: Andrea Brill (Andrea Brill ist Pressereferentin und Fachjournalistin.)