Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats können rückwirken
Generell hat der Betriebsrat keinen Einfluss auf Maßnahmen, die der Arbeitgeber vor der Konstituierung ergriffen hat, weil Beteiligungsrechte an die Existenz des Gremiums geknüpft sind – mit einer Ausnahme: Setzt der Arbeitgeber kurz vor der BR-Wahl eine aufschiebbare Maßnahme um, unterliegt diese der Mitbestimmung.
Worum geht es?
Mitbestimmung. Ein Arbeitgeber zahlte seinen Beschäftigten ab dem Jahr 2012 Prämien. Im November 2015 wurde erstmals ein Betriebsrat gewählt. Im März 2016 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen des Monatsgesprächs mit, ihn bei der Bestimmung der Kriterien für die Prämienzahlung 2016 – anders als für das Jahr 2015 – zu beteiligen. Nach dem Jahresabschluss für 2015 zahlte der Arbeitgeber Mitte 2016 die Prämien für das Jahr 2015 aus. Mit Schreiben vom 01.07.2016 forderte der Betriebsrat den Arbeitgeber zur Beantwortung zahlreicher Fragen mit dem Ziel einer Richtigkeitsprüfung bezüglich der Prämienzahlungen 2015 auf. In seiner Antwort listete der Arbeitgeber die Punkte für die einzelnen Beschäftigten laut seinem Prämiensystem auf. Der Betriebsrat meinte, er habe hinsichtlich der Prämienzahlung für das Jahr 2015 ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, weil die Auszahlung 2016 erfolgt sei.
Das sagt das Gericht
Das Gericht verneinte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Prämienzahlung für 2015. Beteiligungsrechte des Betriebsrats und Ansprüche der Arbeitnehmer aus einer Verletzung dieser Beteiligungsrechte knüpften an die Existenz eines Betriebsrats zum Zeitpunkt des Entstehens der Beteiligungsrechte an. Die Beteiligungsrechte und damit die Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat zu beteiligen, entstünden in dem Moment, in dem sich derjenige Tatbestand verwirkliche, an den das Beteiligungsrecht anknüpfe. Dem stehe nicht entgegen, dass spätere Maßnahmen des Arbeitgebers der Beteiligung eines jetzt bestehenden Betriebsrats unterlägen. Diese Maßnahmen erfüllten ggf. neue und andere Beteiligungstatbestände. Aus ihrer Beteiligungspflichtigkeit folge deshalb nicht, dass auch die vorausgegangene geplante Maßnahme nachträglich einer Beteiligung des Betriebsrats unterworfen werden müsse. Im Streitfall habe zum Zeitpunkt der Festlegung der Kriterien für die Prämie 2015 (im September 2015) der Betriebsrat noch nicht existiert. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.07.2018, Az.: 26 TaBV 1146/17
Das bedeutet für Sie als Betriebsrat
Bevor der Betriebsrat existiert, kann er nicht Träger von Rechten und Pflichten sein. Deshalb können Beteiligungsrechte des Betriebsrats grundsätzlich erst ab dem Zeitpunkt seiner Konstituierung entstehen. Etwas Anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn der Arbeitgeber im unmittelbaren Vorfeld der Betriebsratswahl bzw. der Konstituierung des neu gewählten Gremiums eine generell aufschiebbare Maßnahme einseitig durchführt. Ein solches Vorgehen kann dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit widersprechen und deshalb unwirksam sein. Das ist nach der Rechtsprechung z. B. der Fall, wenn der Arbeitgeber vier Tage vor der Konstituierung des Betriebsrats Urlaubsgrundsätze aufstellt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.02.2009, Az.: 11 TaBV 29/08).
Hinweis: Konstituierung des Betriebsrats
Die konstituierende Sitzung des Betriebsrats gemäß § 26 BetrVG dient der Wahl des Betriebsratsvorsitzenden und begründet die Handlungsfähigkeit des neu gewählten Gremiums. Erst nach der Konstituierung kann der Betriebsrat die ihm zustehenden Rechte wahrnehmen (BAG, Urteil vom 23.08.1984, Az.: 6 AZR 520/82).
Hat der Arbeitgeber aufschiebbare Maßnahmen im Alleingang ergriffen?
Eine der ersten Handlungen eines neu gegründeten Betriebsrats sollte stets darin bestehen, zu überprüfen, ob der Arbeitgeber kurz vor der Wahl bzw. der Konstituierung Maßnahmen ergriffen hat, die noch Zeit bis nach der konstituierenden Sitzung gehabt hätten. Ist das der Fall und finden sich auch mitbestimmungspflichtige Maßnahmen darunter, sollte der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht reklamieren (vgl. Musterschreiben).