Lohngerechtigkeit: Besser Sie als Betriebsrat schalten sich ein
Zehn Prozent weniger Lohn als der Kollege: wer da selbst zum Chef geht, ist selber schuld. Er könnte es zwar. Das Gesetz gibt ihm seit anderthalb Jahren das Recht dazu. Doch besser, Sie als Betriebsrat schalten sich ein.
Entgelttransparenz – hat sich das neue Gesetz bewährt?
Mitbestimmung. Kaum. Seit Mitte 2017 ist das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Es soll sicherstellen, dass Frauen im selben Betrieb für gleiche und gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn erhalten wie Männer. Jedoch: Das Gesetz zeigt bisher „keine spürbaren Effekte“, wie die Betriebsrätebefragung 2018 des WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung belegt. Und das arbeitgebernahe Münchener ifo Institut kommt in einer Personalleiterbefragung im Auftrag des Leiharbeit-Dienstleisters Randstad zu einem ganz ähnlichen Befund.
An der WSI-Befragung 2018 nahmen Betriebsräte aus Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten teil. Ein Großteil der Unternehmen hatte zehn Monate nach Inkrafttreten noch keine Aktivitäten zur Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes unternommen:
- nur zwölf Prozent der Betriebsleitungen wurden von sich aus aktiv,
- 19 Prozent der mittelgroßen Betriebe mit 201 bis 500 Beschäftigten,
- 18 Prozent der großen Unternehmen ab 501 Beschäftigte.
Studien von Unternehmensberatungen haben gezeigt, dass gerade kleinere Firmen im Bereich von 200 bis 500 Mitarbeitern schlecht auf den Auskunftsanspruch vorbereitet sind. Offensichtlich sind viele Personalabteilungen nicht in der Lage, schnell und übersichtlich die entsprechenden Zahlen und die Kriterien für die Gehaltshöhe zu ermitteln. Fast alle Firmen können zwar ihren Beschäftigten zuordnen:
- Arbeitsverhältnis (Vollzeit/Teilzeit),
- Geschlecht,
- ausgeübte Tätigkeit und
- sämtliche Entgeltbestandteile.
Darüber hinaus zieht aber laut der Befragung lediglich ein Drittel der Betriebe zusätzliche Punkte wie Berufserfahrung oder Führungsverantwortung hinzu, wenn es darum geht, die Höhe der Vergütung konkret festzulegen. So bleibt der unbefriedigende Schluss, dass wohl die überwiegende Mehrheit der Firmen keinen oder nur unzureichenden Überblick darüber hat, ob Frauen und Männer für die gleiche Tätigkeit auch wirklich gleich entlohnt werden.
Unabhängig von der Betriebsgröße sind Unternehmen mit gutem Verhältnis zwischen Betriebsrat und Chefetage bei der Umsetzung des Gesetzes weiter.
Auch die Beschäftigten selbst zögern noch. Mindestens eine Person hat sich an den Betriebsrat gewandt zwecks Lohn-Check in nur:
- 13 Prozent der mittelgroßen Betriebe.
- 23 Prozent bei den großen Unternehmen.
Die Wahrscheinlichkeit einer Gehaltsüberprüfung durch Beschäftigte steigt mit Anzahl beschäftigter Hochqualifizierter. Der Frauenanteil spielt laut WSI dagegen keine Rolle. In gut einem Drittel der Betriebe mit Betriebsrat ließen Beschäftigte die Entgelte in den letzten zwei Jahren vor der Befragung, teilweise bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes, auf Ungleichheit überprüfen. Insgesamt taten das aber nur rund zehn Prozent mit anerkannten externen oder statistischen Prüfverfahren, wie es das Gesetz fordert. Betriebe mit junger Belegschaft haben überdurchschnittlich oft Prüfungen vorgenommen. Außerdem hätten um motivierte Mitarbeiter bemühte Betriebe mit menschengerechter Gestaltung von Arbeit oder mit Betriebsvereinbarungen zu Gleichstellung, Antidiskriminierung oder Familienfreundlichkeit häufiger die Entgelte überprüft.
Laut Randstad-ifo-Studie holten in nur knapp zehn Prozent aller Unternehmen Beschäftigte Erkundigungen ein, und auch dort nur vereinzelt. Selbst wenn die Mitarbeiter Auskunft verlangten, hätte dies eher selten eine Auswirkung gehabt: Nur rund jede siebte Auskunft bewirkte eine Anpassung des Gehalts. Befürchtungen, das Gesetz könnte Unfrieden unter den Mitarbeitern stiften, bewahrheiteten sich nicht. Nur vier Prozent der Personalleiter berichteten dergleichen. Auch habe es keinen überbordenden bürokratischen Aufwand für die Unternehmen verursacht. Für knapp 90 Prozent der Unternehmen hielt sich auch der bürokratische Aufwand in Grenzen, nur ein Prozent sah sich dadurch einer hohen Belastung ausgesetzt.
Kann sich jeder Arbeitnehmer mit einem Auskunftsersuchen an den Chef wenden?
Theoretisch ja. Er kann sich direkt an die Personalabteilung wenden. Dann wird dort allerdings sein Name bekannt. Die Frage ist: Sollte er das wirklich wollen?
Besser, Ihr Kollege oder Ihre Kollegin wendet sich an Sie als seinen Betriebsrat. Sie reichen als solcher dann seine Anfrage an die Personalabteilung weiter – und zwar anonym. Damit erfährt die Geschäftsleitung nicht, wer Auskunft haben möchte.
Warum sollte Ihr Kollege oder Ihre Kollegin besser Sie als Betriebsrat einschalten?
Aus mehreren Gründen. Früher, als Tarifverträge die Höhe der Bezahlung in der Mehrzahl der Betriebe geregelt haben, war die Welt noch in Ordnung, zumindest aus Sicht der Arbeitnehmer. Mit der Eingruppierung wusste jeder, woran er war. Durch den Rückgang der Flächentarifverträge wurden Vergütungssysteme je nach Branche regelrecht zur Mangelware. Heute ist sich hier jeder selbst der Nächste und versucht, in Gehaltsverhandlungen mit dem Chef das Beste herauszuholen. Das funktioniert in der Regel aus dem Blickwinkel der Geschäftsführung nicht schlecht. Die Kollegen meiden das Thema Geld und tauschen sich nicht über die jeweiligen Gehälter aus. Dann kommt auch kein Unmut in der Belegschaft auf – und im Zweifel kommt das Unternehmen damit günstiger weg und muss nur einigen wenigen Verhandlungskünstlern mehr zahlen.
Die Probleme fangen an, wenn ungleiche Vergütungen im Unternehmen bekannt werden. Eine ungleiche Bezahlung im Kollegenkreis sorgt generell schnell für Unmut und Neid. Und dann ist es eben besser, wenn der Name des Auskunftsersuchenden nicht bekannt ist. Sie als Betriebsrat müssen natürlich die Anonymität wahren.
Übrigens: Werden alle relativ schlecht bezahlt, nehmen das in der Regel mehr oder weniger alle klaglos hin. In der Tat ist natürlich eher die Frage, wie es zu der finanziellen Abweichung kommt, relevant. So kann es ja durchaus trotz grundsätzlich ähnlichem Aufgabenfeld spezielle Projekte, besondere Einsätze oder wichtige Zusatzqualifikationen geben, die eine bessere Bezahlung objektiv rechtfertigen.
Muss Ihr Arbeitgeber die genaue Lohnhöhe offenlegen?
Nein. Firmen müssen nicht darüber Auskunft geben, wie hoch das Gehalt einzelner Beschäftigter konkret ist. Das hängt von vielen Faktoren ab. Das Entgelttransparenzgesetz soll die im Einzelfall offenlegen. Diese Auskunftspflicht gilt allerdings nur für Unternehmen mit über 200 Mitarbeitern, kritisiert auf dem Deutschlandfunk Arbeitsrechtlerin Johanna Wenckebach von der IG Metall. Die meisten Lohndiskriminierungen finden ihr zufolge aber in kleinen Betrieben statt, wo genau dieser Anspruch nicht gilt. Und wo es oft auch keine Betriebsräte gibt.
Der Arbeitgeber wird mit dem Gesetz verpflichtet, das Durchschnittsgehalt aller Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit zu offenbaren wie z.B.:
- Grundverdienst,
- alle Zusatzleistungen wie Sonderzahlungen, Dienstwagen etc.,
- genaue Kriterien für ein Gehalt,
- größere Unternehmen ab 500 Mitarbeiter Überprüfung der Gehaltsstrukturen und regelmäßig Bericht darüber.
Wie schnell muss der Arbeitgeber auf das Auskunftsverlangen reagieren?
Innerhalb von drei Monaten.
Was geschieht, wenn der Chef ungleich entlohnt?
Zunächst einmal nichts. Wenn sich aufgrund der Auskunft herausstellt, dass jemand tatsächlich weniger verdient als Kollegen, sieht das Gesetz keine Sanktionen oder Maßnahmen vor. Es besteht nur der Auskunftsanspruch, das Gehalt muss Ihr Unternehmen aber nicht anpassen. Allerdings bietet der Auskunftsanspruch eine Grundlage für eine Klage. Diese wird dann in der Regel auf einen eventuellen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) abzielen. Dieses verbietet Benachteiligungen wegen des Geschlechts.
Was sind die wesentlichen Inhalte des Gesetzes zur Lohngerechtigkeit?
Im Grunde drei Stufen:
- individueller Auskunftsanspruch: Beschäftigt Ihr Unternehmen regelmäßig mehr als 200 Mitarbeiter, muss Ihr Arbeitgeber diesen auf Anfrage erläutern, nach welchen Kriterien er die Höhe des Gehalts bestimmt. Das gilt allerdings nur, wenn die Vergleichstätigkeit im Betrieb von mindestens sechs Beschäftigten des anderen Geschlechts ausgeübt wird.
- betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit: Ist Ihr Unternehmen privatwirtschaftlich geführt und beschäftigt es mehr als 500 Beschäftigte, muss es regelmäßig seine Entgeltstrukturen auf die Einhaltung der Entgeltgleichheit überprüfen.
- Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit: In diesem Fall muss Ihr Arbeitgeber, soweit er lageberichtspflichtig ist, zudem regelmäßig über Stand der Gleichstellung und der Entgeltgleichheit berichten.
Was ist eine gerechte Vergütung?
Das ist schon in konventionellen Unternehmen keine leicht zu beantwortende Frage, vor allem wenn sie nur nach Tätigkeitsbezeichnung oder Hierarchieebene bewertet. Deswegen gibt es insbesondere in Start-ups eine Tendenz, Mitarbeiter nur nach ihrer Leistung zu entlohnen. Der Fachbegriff dafür lautet Power Law Distribution. Danach erhalten Beschäftigte umso mehr Geld, je produktiver sie für die Firma sind. Was erst einmal wie ein Albtraum klingt, kann mitunter auch positiv sein: Es wird der Kollege belohnt, der mehr Leistung bringt. Trotz der Vorteile dieses Ansatzes hängt dessen Erfolg für mehr Motivation und gesteigerte Leistung davon ab, wie konsequent und transparent er umgesetzt wird. Er steht und fällt mit der Mess- und Vergleichbarkeit der Leistung der Mitarbeiter. Unter Umständen lässt sich diese aber nicht immer vergleichen, weil viele andere Faktoren eine Rolle spielen können. Dann entsteht hier statt verstärkter Motivation eher verstärkter Unmut und der gerechte Ansatz weicht der Willkür.
Verdienen Frauen nicht genauso viel wie Männer?
Nein, statistisch jedenfalls nicht. Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern liegt in Deutschland bei rund 22 Prozent. In kaum einem anderen Land Europas ist er so groß. Das hat viele Ursachen. Unter anderem beginnt die Gehaltsschere vor allem nach der Geburt des ersten Kindes auseinanderzugehen: Elternzeit und danach ein Teilzeitjob mit weniger Verantwortung und Gehalt tun ihr Übriges, um die Gehaltsentwicklung für die nächsten Jahrzehnte negativ zu beeinflussen. An diesem Mechanismus haben auch flexible Arbeitszeiten für Eltern und die Elternzeit für Väter nicht wirklich etwas ändern können. Darüber hinaus haben Forscher der Hans-Böckler-Stiftung festgestellt, dass es tatsächlich eine Lohndiskriminierung gibt, die sich durch die herkömmliche und eigentlich überkommene Rollenverteilung nicht erklären lässt – nämlich eine Lohnlücke von rund sieben Prozent.
Was können Sie als Betriebsrat Ihrem Arbeitgeber raten?
Vor allem Ihr Arbeitgeber ist aufgerufen, dieser Diskriminierung in Ihrem Unternehmen ein Ende zu bereiten. Es wird abzuwarten sein, wie sich das neue Gesetz über Lohntransparenz auswirkt. Gibt es objektive Gründe für eine abweichende Bezahlung, sollten Sie als Betriebsrat Ihrem Arbeitgeber klar machen, seine Haltung deutlich zu kommunizieren. Ansonsten können Betriebsklima und Produktivität der Beschäftigten auf Dauer ernsthaft Schaden nehmen. Hier sind Sie als Betriebsrat gefragt, darauf zu achten, wie sich Ihr Arbeitgeber verhält.