Ein Fall für den Betriebsrat: Kündigung per Algorithmus?
Die zunehmende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz und Big Data auch in der Arbeitswelt führt zu neuen Fragen und Herausforderungen: Welche Folgen haben immer ausgeklügeltere Datenerfassungs- und -auswertungssysteme im Hinblick auf die Überwachung der Beschäftigten? Werden Kündigungen künftig das Ergebnis automatisierter Prozesse sein?
Zunächst einmal die gute Nachricht vorweg: Zumindest zurzeit ist es rechtlich nicht zulässig, Kündigungen per Algorithmus generieren und aussprechen zu lassen. Denn Kündigungen erfordern gemäß § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Schriftform, und zwar ein persönlich unterschriebenes Originalschreiben. Das gilt allerdings nur für Festangestellte. Bei freien Mitarbeitern ist die Einhaltung der Schriftform nicht gesetzlich vorgeschrieben, kann allerdings vertraglich bestimmt sein. In jedem Fall ist auch in diesen Fällen eine menschliche Willenserklärung mit dem Inhalt, kündigen zu wollen, nötig. Auch diese Voraussetzungen würde eine auf der Grundlage künstlicher Intelligenz ausgesprochene Entlassung nicht erfüllen. Damit ist klar: Von Algorithmen generierte Entlassungen sind bei uns nicht zu befürchten.
Algorithmus als vorbereitende Entscheidungsgrundlage
Denkbar – und zumindest in einigen Betrieben durchaus auch umgesetzt – ist allerdings der Einsatz von Algorithmen, um solche Personalentscheidungen vorzubereiten. Das ist zum einen möglich, wenn es um das Recruiting neuer Mitarbeiter geht, aber auch dann, wenn Systeme künstlicher Intelligenz ständig Daten über die Beschäftigten sammeln: So werden Bewertungen von Vorgesetzten systematisch ausgewertet, die Leistung permanent kontrolliert, Bewegungsdaten getrackt und alle möglichen Details des Arbeitstages erhoben und automatisch ausgewertet. Das kann unter Umständen für die Rechtmäßigkeit einer Entlassung eine wichtige Rolle spielen. Denn das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine dokumentierte „konstante Minderleistung“ ein zulässiger Kündigungsgrund sein kann. Allerdings reicht dieser nicht allein aus, um eine Entlassung „wasserdicht“ zu machen: Denn es müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein, wie angebotene Maßnahmen des Arbeitgebers, um diese Minderleistung zu beheben, wie etwa durch Qualifizierungen oder auch das Zuweisen anderer, besser geeigneter Aufgaben und Tätigkeiten. Auch die bei jeder Kündigung vorzunehmende Interessenabwägung kann nicht von einem Algorithmus erledigt werden. Doch unbestritten bieten diese Systeme in rasanter Geschwindigkeit eine immer präzisere Auswertung der Leistung der Beschäftigten.
Nahezu unbegrenzte Verhaltenskontrolle möglich
Diese durch die sich schnell optimierenden Algorithmen weiter zunehmende – zumindest technisch mögliche – Verhaltenskontrolle und -bewertung der Beschäftigten ist neben der Vorbereitung von Abmahnungen oder verhaltensbedingten Kündigungen aber auch in vielen weiteren Fragen relevant – etwa wenn es um Beförderungen, Gehaltsfragen, Boni und Prämien geht. Daher ist es eine durchaus naheliegende Annahme, dass insbesondere in digitalisierten Branchen Vergütungssysteme schon sehr bald komplett auf künstlicher Intelligenz basieren und die jeweiligen Prämien per Algorithmus bestimmt werden (siehe Hinweis).
Nutzen Sie Ihre Mitbestimmungsrechte als Betriebsrat
So komplex das Thema ist – tröstlich bleibt, dass Sie als Betriebsrat wichtige Mitbestimmungsrechte haben, mit denen Sie wesentlich und im Sinne der Beschäftigten mitentscheiden können. Denn jede Einführung, Nutzung und Änderung von Software, die Beschäftigtendaten erfasst oder verarbeitet, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Die datenbezogene Verhaltens- und Leistungskontrolle gewinnt mit der Fortentwicklung der technischen Möglichkeiten an Bedeutung – und das gilt dementsprechend auch für Ihr Mitbestimmungsrecht. Hinzu kommt das Recht, einen Sachverständigen hinzuziehen zu können (§ 80 Abs. 3 BetrVG). Und immer dann, wenn Auswahlrichtlinien mithilfe künstlicher Intelligenz eingeführt und angewendet werden, haben Sie ein Mitbestimmungsrecht nach § 95 BetrVG.