Keine Verdachtskündigung ohne dringenden Tatverdacht
Laut Unschuldsvermutung gilt jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Im Arbeitsrecht gilt diese Unschuldsvermutung nicht. Hier kann bereits der bloße Verdacht einer Straftat den Job kosten. Da kein Beweis vorliegt, sind die Anforderungen allerdings hoch. LAG Hamm, Urteil vom 14.08.2017, Az.: 17 Sa 1540/16
Worum geht es?
Arbeitsrecht. Eine Sparkassenangestellte nahm von einem Geldtransportdienst einen verplombten Geldkoffer der Bundesbank entgegen. Darin sollte sich ein Geldbetrag in Höhe von 115.000 € befinden, den die Angestellte am Vortag selbst angefordert hatte. Nachdem der Koffer rund 20 Minuten im nur teilweise einsehbaren Kassenbereich gestanden hatte, wo sich die Angestellte zur fraglichen Zeit allein aufhielt, öffnete sie diesen unter Verletzung des von der Sparkasse vorgegebenen Vier-Augen-Prinzips allein. Erst dann rief sie einen Kollegen hinzu, der im Koffer je eine Packung Waschpulver und Babynahrung, aber kein Bargeld erblickte. Auf Nachfrage bestätigte die Angestellte, den Koffer nach dem Aufbrechen der Plombe so vorgefunden zu haben. Nach eigenen Aufklärungsbemühungen sowie Ermittlungsmaßnahmen der Polizei und der Staatsanwaltschaft, kündigte die Filialleitung der Angestellten fristlos, weil gegen sie der dringende Verdacht einer Straftat zulasten der Sparkasse bestehe. Dafür sprächen zahlreiche Indizien, insbesondere auffällige finanzielle Transaktionen, die die Angestellte nach dem Abhandenkommen des Geldes getätigt habe.
Das sagt das Gericht
Das Gericht gab der Kündigungsschutzklage der Angestellten Recht. Eine Verdachtskündigung komme zum Schutze des Arbeitnehmers nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Insbesondere sei eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür erforderlich, dass dem betroffenen Arbeitnehmer das fragliche Fehlverhalten wirklich vorzuwerfen sei (Dringlichkeit des Verdachts). Daran fehle es im Streitfall, weil die Täterschaft anderer Personen nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen sei. Zudem fehle es an einer die strengen Anforderungen der Rechtsprechung genügenden Anhörung der Angestellten. Diese müsse der Arbeitgeber im Rahmen seiner Aufklärungsbemühungen durchführen und dabei den Arbeitnehmer regelmäßig konkret mit den verdachtsbegründenden Umständen konfrontieren. LAG Hamm, Urteil vom 14.08.2017, Az.: 17 Sa 1540/16
Definition: Dringender Verdacht
Ein dringender Verdacht liegt vor, wenn nach der Sachverhaltsaufklärung ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad dafür besteht (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit), dass der Arbeitnehmer eine Straftat/schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat.
Das bedeutet für Sie als Betriebsrat
Die Voraussetzungen für eine wirksame Verdachtskündigung sind streng, weil dem Arbeitgeber der Beweis für das angebliche Fehlverhalten des Beschäftigten fehlt. Es besteht somit immer die Gefahr, dass sich der Verdacht später als unbegründet herausstellt. Vor diesem Hintergrund hat das BAG den Arbeitgebern hohe Hürden gesetzt, um eine Verdachtskündigung zu rechtfertigen. U. a. muss der Arbeitgeber dem verdächtigen Beschäftigten die Möglichkeit einräumen, sich zu den Vorwürfen zu äußern (sogenannter Anspruch auf rechtliches Gehör). Merken Sie sich für das im Vorfeld der Verdachtskündigung durchzuführende Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG also Folgendes: Eine Verdachtskündigung ist erst nach ordnungsgemäß erfolgter Anhörung des Beschäftigten durch den Arbeitgeber und anschließender Abwägung zulässig.