Kein Kündigungsschutz für Betriebsräte bei Betriebsstilllegung
Betriebsratsmitglieder sind unkündbar – bis auf zwei Ausnahmen: Es liegen die Anforderungen für eine fristlose Kündigung vor oder der Betrieb wird stillgelegt. Das BAG musste jüngst entscheiden, ob eine zur Kündigung berechtigende Stilllegung vorliegt, wenn nur ein einziger Standort eines großen Betriebes geschlossen wird.
Worum geht es?
Arbeitsrecht. Ein Konzern fasste auf der Grundlage eines mit der IG Metall ausgehandelten Strukturtarifvertrages seine Betriebsstätten in Hamburg, Berlin und Leipzig zu einem Betrieb „Region Nord-Ost“ zusammen. Kurz darauf beschloss die Konzernleitung, die Betriebsstätte in Berlin zu schließen und der gesamten Belegschaft ordentlich zu kündigen. Unter den betroffenen Beschäftigten befand sich auch ein Ersatzmitglied des Betriebsrats Region Nord-Ost, das kurz zuvor noch an einer Betriebsratssitzung teilgenommen und unter Berufung auf den Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Kündigungsschutzklage erhoben hatte. Nach dieser Vorschrift ist die Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes innerhalb eines Jahres nach Ende der Amtszeit nur aus wichtigem Grund mit Zustimmung des Betriebsrats möglich. Die Konzernleitung berief sich auf § 15 Abs. 4 KSchG, wonach die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern im Falle der Stilllegung eines Betriebes zulässig sei. Den Standort, an dem das Ersatzmitglied tätig gewesen sei, habe sie komplett still gelegt. Es habe keine Möglichkeit bestanden, den Arbeitnehmer an einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen weiterzubeschäftigen.
Das sagt das Gericht
Das BAG erklärte die ordentliche betriebsbedingte Kündigung des Betriebsratsmitgliedes für rechtens. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Betriebsstilllegung vorliege, sei nicht auf den durch einen Strukturtarifvertrag geschaffenen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern auf den allgemeinen, dem Kündigungsschutzgesetz zugrunde liegenden, Betriebsbegriff abzustellen. Bei einer durch Tarifvertrag geschaffenen Einheit handele es sich lediglich um eine begrenzte Fiktion eines Betriebes, die für das Kündigungsschutzgesetz ohne Bedeutung sei. BAG, Urteil vom 27.06.2019, Az.: 2 AZR 38/19
Das bedeutet für Sie als Betriebsrat
Betriebsratsmitglieder sind gemäß § 15 Abs. 1 KSchG vor ordentlichen Kündigungen ihrer Arbeitgeber geschützt – sowohl während ihrer Amtszeit als auch in den ersten zwölf Monaten danach. Durchbrochen werden kann dieser Sonderkündigungsschutz lediglich im Falle einer Betriebsstilllegung. Schließt der Arbeitgeber einen Betrieb, darf er den an diesem Standort tätigen Betriebsratsmitgliedern nach § 15 Abs. 4 KSchG ordentlich betriebsbedingt kündigen. Wird wie im Eingangsfall durch einen Strukturtarifvertrag ein neuer Betrieb mit mehreren Standorten geschaffen, so gilt diese neue Organisationseinheit zwar betriebsverfassungsrechtlich als „Betrieb“, laut BAG aber nicht im Kündigungsschutzrecht. Hier gilt der allgemeine Betriebsbegriff des § 3 BetrVG, wonach die Stilllegung einer Betriebsstätte als Betriebsschließung im Sinne des § 15 Abs. 4 KSchG anzusehen ist, die den Arbeitgeber dazu berechtigt, Betriebsratsmitgliedern ordentlich zu kündigen.
Hinweis: Kündigungsschutz für Ersatzmitglieder
Wer gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG als Ersatzmitglied in das Gremium nachrückt und ein verhindertes reguläres Betriebsratsmitglied ersetzt, genießt während der Vertretungszeit den für Betriebsratsmitglieder geltenden besonderen Kündigungsschutz. Endet der Vertretungsfall, tritt für die Dauer eines Jahres der nachwirkende Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG ein, sofern das Ersatzmitglied in der Vertretungszeit konkrete Betriebsratsaufgaben tatsächlich wahrgenommen hat.
So können Betriebsratsgremien neu strukturiert werden
Die Vorschrift des § 3 BetrVG ermöglicht es Gewerkschaften und Betriebsräten, gemeinsam mit dem Arbeitgeber vom gesetzlichen Leitbild abweichende Strukturen der betrieblichen Interessenvertretung zu schaffen. Dadurch kann die Arbeitnehmervertretung an die in der betrieblichen Praxis bestehenden Unternehmensstrukturen angepasst werden, um so die Effektivität der Betriebsratsarbeit auch zukünftig zu sichern.