Karlsruhe gestattet Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern
Gewerkschaften befinden sich in einem Dilemma: Sie streben bessere Arbeitsbedingungen für alle an, aber gleichzeitig wollen sie für ihre Mitglieder attraktiv sein. Das funktioniert aber nur, wenn bestimmte Vorteile nur Mitgliedern zugutekommen. Eine solche Bevorzugung ist verfassungsgemäß, meint das BVerfG.
Worum geht es?
Arbeitsrecht. Ein Arbeitnehmer, der nicht Mitglied in einer Gewerkschaft war, erhob Verfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen zu Überbrückungs- und Abfindungsleistungen in einem Sozialtarifvertrag. Bestimmte Leistungen sollten danach nur Beschäftigten zukommen, die an einem vereinbarten Stichtag Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft waren. Der Arbeitnehmer erhielt diese Leistungen nicht, weil er keiner Gewerkschaft angehörte. Er fühlte sich dadurch in seinem Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit (das Recht, einer Gewerkschaft nicht beizutreten) verletzt und zog deshalb vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Das sagt das Gericht
Die Verfassungsrichter nahmen seine Beschwerde jedoch nicht zur Entscheidung an. Der erste Senat des höchsten deutschen Gerichts argumentierte, dass eine unterschiedliche Behandlung gewerkschaftlich organisierter und nicht organisierter Beschäftigter in einem Tarifvertrag mit der negativen Koalitionsfreiheit vereinbar sei (und somit nicht die Grundrechte von Arbeitnehmern verletze), solange dadurch nur ein faktischer Anreiz zum Beitritt in eine Gewerkschaft erzeugt werde. Die negative Koalitionsfreiheit sei erst dann verletzt, wenn durch die Differenzierungsklauseln ein Zwang oder Druck erzeugt werde, der Gewerkschaft beizutreten. Gegen einen bloßen Beitrittsanreiz, der dadurch gegeben werden solle, dass bestimmte Leistungen nur Gewerkschaftsangehörigen vorbehalten seien, gebe es keine verfassungsrechtlichen Bedenken. BVerfG, Beschluss vom 14.11.2018, Az.: 1 BvR 1278/16
Das bedeutet für Sie als Betriebsrat
Auf Ihren Betrieb und Ihre Betriebsratsarbeit bezogen bedeutet die Entscheidung, dass sogenannte einfache Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen verfassungsgemäß sind. Damit bestätigte das BVerfG die Rechtsprechung des BAG, die einfache Differenzierungsklauseln (mit Stichtagsbezug) für zulässig erachtet (u. a. BAG, Urteil vom 15.04.2015, Az.: 4 AZR 796/13). Solche Klauseln sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Gewerkschaftsmitgliedern bestimmte Vorteile gegenüber Beschäftigten gewähren, die keiner Gewerkschaft angehören. Der Arbeitgeber hat in dieser Konstellation jedoch die Möglichkeit, diese Vorteile auch an Nichtmitglieder weiterzugeben. Zu diesem Zweck kann er sich des Instruments der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel bedienen.
Hinweis
Im Gegensatz zu einfachen Differenzierungsklauseln sind qualifizierte Differenzierungsklauseln, die dem Arbeitgeber die Weitergabe von Vorteilen an Nichtgewerkschaftsmitglieder untersagen wollen, unwirksam, weil sie gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßen.
Bezugnahmeklauseln sind auch in Betriebsvereinbarungen zulässig
Der Betriebsrat kann in eine Betriebsvereinbarung Bezugnahmeklauseln aufnehmen, sofern diese nicht Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen beinhalten, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Denn hier gilt der Tarifvorrang gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG. Die Bezugnahme in einer Betriebsvereinbarung auf Regelungen aus einem Tarifvertrag oder einer anderen Betriebsvereinbarung wird als Blankettverweisung bezeichnet.