25.10.2022

Jahresurlaub: Hinweispflicht des Arbeitgebers

Wenn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einige ihrer Urlaubstage nicht vor Ablauf der Frist nehmen, so drohen diese zu verfallen. Darauf müssen Arbeitgebende ihre Belegschaft hinweisen, was allgemein anerkannt ist. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) äußert sich nun aber hierzu wie folgt: Der Urlaubsanspruch verjährt auch nicht automatisch nach drei Jahren – sondern nur, wenn Beschäftigte tatsächlich in der Lage waren, ihren Urlaub wahrzunehmen.

Jahresurlaub

Klage wegen nicht genommener Urlaubstage

Hintergrund ist ein konkreter Fall einer Steuerfachangestellten und Buchhalterin, über den das Bundesarbeitsgericht entschied. Die Klägerin arbeitete von 1996 bis 2017 für eine Kanzlei. Sie verlangte von ihrem Arbeitgeber eine Erstattung von etwa 100 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2017, in denen sie ihren Urlaub über mehrere Jahre nicht vollständig nehmen konnte.

Der Eigentümer der Kanzlei berief sich auf Verjährung nach §§ 194, 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die allgemeine Verjährungsfrist beträgt drei Jahre, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Entsprechend der Auffassung des BAG seien gemäß dem Bundesurlaubsgesetz die Ansprüche der Arbeitnehmerin für die Jahre 2013 bis 2016 nicht erloschen. Denn ihr ehemaliger Arbeitgeber habe es ihr nicht ermöglicht, ihren bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit zu nehmen.

Arbeitgeber sei zum Hinweis verpflichtet

Das BAG beruft sich dabei auf das Urteil des EuGH vom 06.11.2018, wonach der Arbeitgeber verpflichtet sei, den Arbeitnehmer dazu aufzufordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihn über das mögliche Erlöschen seines Anspruchs informieren müsse (EuGH, 06.11.2018 – Rs. C-684/16). Das BAG zweifelt aus gleichem Grund, ob die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren auch auf den Urlaubsanspruch bzw. die Abgeltung des Urlaubs Anwendung finden kann. Es hat die Frage, wie sich der Schutz des Urlaubs zum Verjährungsrecht verhält, dem EuGH vorgelegt (BAG, 29.09.2020 – 9 AZR 266/20 (A)).

Rechtsgrundlagen des EuGH

Der EuGH weist auf die entsprechenden Rechtsgrundlagen hin: Dies sind Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union: Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestimmt: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.“
Beide Regelungen stehen „einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem dieser Anspruch entstanden ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch wahrzunehmen.“

Berechtigtes Interesse der Arbeitgeber

Der Gerichtshof argumentiert, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub konfrontiert zu werden, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche gestützt werden. Dieses Interesse sei allerdings dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich selbst in eine solche Situation gebracht hat, weil er es dem Arbeitnehmer erschwert hat, den Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen. Anders verhält es sich, wenn die längere Abwesenheit des Arbeitnehmers auf eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zurückzuführen ist, da der Arbeitgeber dann die Gefahr einer Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen sehe.

 

Autor*in: Andrea Brill (Andrea Brill ist Pressereferentin und Fachjournalistin.)