Holen aus dem Frei: Wehren Sie als Betriebsrat den Anfängen
Sich aus Gutmütigkeit aus dem Frei holen zu lassen, zahlt sich nicht aus. Raten Sie als Betriebsrat Ihren Kollegen, Nein zu sagen – und wenn nötig, mit dem Dienstplan zu winken. Und: entwickeln Sie als Betriebsrat neue Konzepte wie den hier vorgestellten Stand-by-Dienst.
Muss sich Ihre Kollegin Krankenschwester aus dem Urlaub holen lassen?
Mitbestimmung. Grundsätzlich nicht. Wofür gibt es einen Dienstplan? Diesen stellt Ihr Arbeitgeber verbindlich auf – und zwar unter Ihrer Beteiligung als Betriebsrat. Der Plan ist verbindlich, wenn er ihn unterschrieben und ausgehändigt oder ausgehängt hat. Die Planung der Dienstzeiten muss für die Beschäftigten in Ihrem Betrieb eine gewisse Verlässlichkeit haben. Deswegen planen viele Kliniken und Pflegeeinrichtungen Vorlaufzeiten von rund vier Wochen ein. Eine kurzfristige Abänderung ist in aller Regel nicht zulässig.
Was dürfen die Kollegen im Frei, was dürfen sie nicht?
Ist der Dienstplan erst einmal unterschrieben und ausgehängt, eine ganze Menge. Die Kollegen sind frei von Pflichten und müssen nicht:
- erreichbar sein
- mit Vorgesetzten Dienstgespräche führen
- nicht dienst- oder fahrtüchtig sein
Die Kollegen sind frei zu handeln und dürfen:
- Dienste, die nicht im Dienstplan stehen, verweigern
- sagen, dass es eine Dienstverpflichtung nicht gibt
- den Hörer einfach auflegen
Was, wenn ein Notfall vorliegt?
Sagen wir es einmal so: Wenn ein verbindlicher Dienstplan vorliegt und dieser in einem Notfall nicht funktioniert, Ihre Kollegin oder Kollege bislang gute Erfahrung mit dem Chef als jemandem gemacht hat, der ihre Gutmütigkeit nicht ausnutzt, wird eine persönliche Abwägung sicherlich ergeben, sich nicht zu verschließen und einzuspringen. Doch Vorsicht! In vielen Kliniken und Pflegeeinrichtungen kennen Betriebsräte und Kollegen die Problematik des „Holen aus dem Frei“ aus leidvoller Erfahrung nur zu gut. Fast immer wird da planlos Ersatz gesucht, fast immer erklären sich dieselben Mitarbeiter bereit. Wozu das führen kann, zeigt das Beispiel der Helios-Klinik Schloss Pulsnitz. Hier hatten die Mitarbeiter mit 47 Jahren ein ziemlich hohes Durchschnittsalter. Folge: viele krankheitsbedingte Fehlzeiten. Folge hiervon wiederum: erhöhter Stress der Kollegen, die an ihrer Stelle Dienst schieben müssen.
Was können Sie als Betriebsrat tun, damit sich Holen aus dem Frei nicht häuft?
Dafür gibt es Konzepte. Sie können Abhilfe schaffen, wie z. B. der „Stand-by-Dienst“. Dies ist eine Möglichkeit, im Rahmen einer Betriebsvereinbarung Personalengpässe besser abfangen zu können. Dabei ist Ihre Interessenlage als Betriebsrat klar: Sie wollen sicherstellen, dass die Arbeitszeit des Stand-by-Dienstes nicht zusätzlich anfällt, sondern in die reguläre Arbeitszeit fällt. Ihre Bereichsleitung wird demgegenüber möglichst schnell und unkompliziert Ersatz finden wollen. Als Betriebsrat können Sie versuchen, mit Ihrer Leitung eine Interessensabwägung zu finden. Dann sollte es möglich sein, eine sinnvolle Betriebsvereinbarung zu schließen.
Wie funktioniert das Modell „Stand-by“?
Dabei steht jeder Beschäftigte alle zwei Monate einmal für ein Zeitfenster von zwei Stunden für zwei Stationen bereit. Brauchen Ihre Stationen die Arbeitskraft Ihres Kollegen nicht, bekommen sie die zwei nicht abgerufenen Stunden mit drei Arbeitsstunden vergütet. Leistet Ihr Kollege die zwei „Stand-by-Stunden“, erhält er insgesamt vier Stunden bezahlt. Neben dieser höheren Vergütung im „Stand-by- Dienst“ ergeben sich für beide Seiten weitere Vorteile:
- Die Bereichsleitung kann den betreffenden Mitarbeiter während seiner Einteilung auf „Stand by“ außerplanmäßig und kurzfristig zum Dienst bestellen.
- Ihre Kollegen andererseits können sich darauf einstellen. Sie wissen, dass sie außerhalb dieses Zeitraums in der Regel nicht mit überfallartigen Anrufen rechnen müssen, bekommen also mehr Planungssicherheit.
- Für beide Seiten eine Win-Win-Situation: Kliniken und Pflegeeinrichtungen, die mit dieser Maßnahme arbeiten, berichten von größerer Zufriedenheit des Pflegepersonals. Die Verteilung wird als gerechter empfunden.
Wie beginnen Sie als Betriebsrat einen solchen Stand-by-Dienst?
Am besten mit einem Pilotprojekt in einer Abteilung. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Arbeitgeber:
- in welchem Bereich ist der Leidensdruck besonders hoch?
- Wo eignen sich die Verhältnisse am besten für einen Testlauf?
- Fassen Sie etwa drei bis sechs Monate für die Erprobungsphase ins Auge.
- Tauschen Sie als Betriebsrat mit Ihrem Arbeitgeber mit der betreffenden Bereichsleitung und dem Pflegepersonal darüber aus!
- Bedenken Sie: Erfolgreich kann der „Stand-by-Dienst“ nur sein, wenn Sie Ihre Beschäftigten früh ins Boot holen.
- Erklären Sie das neue Konzept Ihren Kollegen eingehend und mehrfach.
- Binden Sie Ihre Kollegen in das Pilotprojekt so ein, dass sie praktisch erfahren können, welche Vorteile damit verbunden sind. Das wirkt oft vorhandenen Befürchtungen bei Beschäftigten entgegen, der „Stand-by-Dienst“ könne einen zusätzlichen Arbeitstag bedeuten. Tatsächlich fallen die zusätzlichen Stunden ja nur an, wenn der jeweilige Beschäftigte wirklich angefragt wird.
- Legen Sie fest, welche Erfahrungen sie mit dem Pilotprojekt sammeln wollen! So erhalten Sie einen Überblick darüber, was schon klappt und wo Sie eventuell nachjustieren müssen.
- Am Ende des Pilotversuches werten Sie dessen Ergebnisse gemeinsam aus!
Danach können Sie das Projekt aus der Pilotphase in weitere Abteilungen übertragen.
Welche Ziele sollte der Betriebsrat mit einem Stand-by-Dienst anstreben?
Zur Beantwortung dieser Frage schauen Sie sich zunächst den Ist-Zustand im Betrieb an. Darauf aufbauend entwickeln Sie im Betriebsrat die Ziele, die Sie durch eine Änderung in Organisation und Ablauf erreichen wollen. Bei der Helios-Klinik Schloss Pulsnitz beispielsweise standen im Vordergrund:
- geringere Fehlzeiten
- höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter
- verlässliche Dienstpläne
- verbesserte Pflege für die Patienten
Klinikleitung und Betriebsrat einigten sich auf die Neuorganisation des Pflegedienstes und Maßnahmen von:
- Gesundheitsmanagement
- Führungskultur
- Personalplanung
Was bringt ein Stand-by-Dienst dem Arbeitgeber?
Nach rund drei Jahren gingen die Notfälle, die die Ursache des Holens aus dem Frei waren, um weit mehr als die Hälfte zurück. Die Leitung bei Helios Pulsnitz kann jetzt der Gesundheit der Kollegen mehr Bedeutung beimessen. Ein höheres Budget steht für die betriebliche Gesundheitsförderung bereit. Die Klinik kann ihren Mitarbeitern inzwischen viele Kurse und Veranstaltungen anbieten, zum Beispiel für mehr bzw. bessere:
- Bewegung und Fitness
- Ernährung
- psychische Gesundheit
Welche Neuerungen brachten bei Helios Pulsnitz den Erfolg?
- Ein Springerpool mit fünf Kollegen: Sie kommen je nach Bedarf auf allen Stationen zum Einsatz. Die Leitung hat zusammen mit dem Betriebsrat die Stellen aus dem bestehenden Stellenplan umgewidmet.
- Leitung und Betriebsrat haben gemeinsam die Dienstpläne zentral und stationsübergreifend gestaltet. Dadurch kann die Leitung das Pflegepersonal über Stationsgrenzen hinweg einsetzen.
- Eine neue Betriebsvereinbarung: sie schafft mehr Flexibilität bei den Arbeitszeitkonten.
- Ein neues Case-Management: dieses steuert Zu- und Abgänge der Patienten zentral. Dadurch lässt sich der Personalbedarf der einzelnen Stationen besser bestimmen. Die Kräfte des Springerpools können da eingesetzt werden, wo sie am meisten gebraucht werden.
- Die Unternehmensleitung warb mehr ausländische Pflegekräfte an. Das brachte personelle Entlastung.
Was, wenn der Arbeitgeber beim Dienstplan nicht mitspielt?
Er muss. Vor allem: er muss Sie als Betriebsrat bei der Gestaltung einbeziehen. Wie Sie als solcher sich wehren können, wenn er Sie ignoriert, darüber haben wir hier berichtet.
Übrigens: nicht uninteressant dürfte es in diesem Zusammenhang sein, wie die Gerichte es beurteilen, wenn sich ein Mitarbeiter nach einem festgelegten Dienstplan während der „freien Zeit“ in der vom Dienstherrn zugewiesenen Unterkunft aufzuhalten und dort für mögliche Einsätze bereitzuhalten hat. Dazu mehr hier.