01.03.2021

Equal-Pay: Dürfen Stammkräfte mehr verdienen als Leiharbeiter?

Hunderttausende Leiharbeitnehmer können auf bessere Bezahlung hoffen. Denn das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob tarifvertraglich geregelte Abweichungen vom Gleichbehandlungsgebot (Equal-Pay-Gebot) zulasten der Leiharbeiter gegen EU-Recht verstoßen.

Betriebsrat Leiharbeit

Worum geht es?

Arbeitsrecht. Ein Mitglied der Gewerkschaft ver.di war von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages bei einer Zeitarbeitsfirma als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Sie wurde bei einem Einzelhandelsunternehmen im Auslieferungslager als Kommissioniererin eingesetzt. Für ihre Tätigkeit erhielt sie einen Stundenlohn in Höhe von 9,23 € brutto. Auf ihr Arbeitsverhältnis fand ein Tarifvertrag Anwendung, der eine Abweichung von dem im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) verankerten Grundsatz der Gleichstellung vorsah, insbesondere die Möglichkeit, Leiharbeitnehmer geringer zu vergüten als die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb. Die Leiharbeitnehmerin meinte, der Tarifvertrag verletze EU-Recht. Vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten einen Stundenlohn von 13,64 € brutto. Die Leiharbeitnehmerin verklagte die Zeitarbeitsfirma auf Zahlung der Differenzvergütung für den Zeitraum Januar bis April 2017 unter dem Gesichtspunkt des Equal Pay. Die Arbeitgeberin erwiderte, sie schulde nur die für Leiharbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung. EU-Recht sei nicht verletzt.

Das sagt das Gericht

Das BAG entschied, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. EU-Recht sehe vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Die einzelnen Mitgliedsstaaten könnten jedoch den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des „Gesamtschutzes“ enthalte die Richtlinie nicht. BAG, Beschluss vom 16.12.2020, Az.: 5 AZR 143/19 (A)

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Auf den Punkt gebracht müssen die Luxemburger Richter nun die Frage klären, inwieweit durch Tarifvertrag vom Gleichbehandlungsgebot abgewichen werden darf. Dieses seit 2008 in einer EU-Richtlinie geregelte Gebot schreibt für Leih- und Stammbeschäftigte gleichen Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen vor. In Deutschland gibt es Tarifverträge, die oft wesentlich ungünstigere Bedingungen für Leiharbeiter vorsehen, insbesondere bei der Bezahlung. Zwar lässt das EU-Recht Abweichungen vom Equal-Pay-Gebot zu, aber eben nur unter Beachtung des Gesamtschutzes beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Da eine Definition des Begriffes „Gesamtschutz“ fehlt, hat das BAG dem EuGH einen entsprechenden Fragenkatalog vorgelegt.

So gestaltet sich die Rechtslage

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG haben Leiharbeiter Anspruch auf die gleiche Bezahlung und die gleichen Arbeitsbedingungen wie das Stammpersonal. Von diesem Gleichstellungsgrundsatz kann nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AÜG durch Tarifvertrag abgewichen werden, indem z. B. ein geringerer Lohn für Leiharbeiter vorgesehen ist. In zahlreichen Arbeitsverträgen finden sich sogenannte Bezugnahmeklauseln, die auf Tarifverträge verweisen (Bezug nehmen) und somit die Anwendbarkeit der in Bezug genommenen Tarifverträge begründen.

Hinweis: Der Betriebsrat bestimmt auch bei Leiharbeit mit

Will Ihr Arbeitgeber Leiharbeitnehmer im Betrieb einsetzen, so haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen als Betriebsrat des Entleihbetriebes gemäß § 14 Abs. 3 AÜG ein Beteiligungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei der Einstellung der Leiharbeitnehmer.

Autor*in: Daniel Roth (ist Chefredakteur des Beratungsbriefs Urteils-Ticker Betriebsrat.)